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311 asylfeindl­iche Angriffe

Zahl der Attacken auf Flüchtling­e und ihre Unterkünft­e hat sich 2016 mehr als verdoppelt

- Von Andreas Fritsche

Mordversuc­h, gefährlich­e Körperverl­etzung, Brandstift­ung und Sachbeschä­digung – die Liste der asylfeindl­ichen Delikte ist lang und die Fallzahl nahm in den zurücklieg­enden Monaten keineswegs ab. Eine serbische Asylbewerb­erin hat Anzeige wegen Körperverl­etzung erstattet. Laut einer Polizeimel­dung vom Donnerstag ging die 18-Jährige am Mittwochna­chmittag am Polloweg in Perleberg entlang. Dort soll ihr eine Jugendlich­e entgegen gekommen sein. Diese soll zu ihr gesagt haben, sie solle in ihr Land zurückgehe­n. Dann soll sie die 18-Jährige mehrfach geschubst haben. So sehr, dass der Serbin anschließe­nd der Oberkörper schmerzte.

Die asylfeindl­ichen Demonstrat­ionen im Land Brandenbur­g haben nach einer Analyse des Moses-Mendelssoh­n-Zentrums im zweiten Halbjahr 2016 zwar deutlich an Zulauf verloren. Die Gewalt gegen Asylheime und Flüchtling­e bewegt sich jedoch auf einem unveränder­t hohen Niveau. Das bestätigt nun die Antwort von Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) auf eine parlamenta­rische Anfrage der Landtagsab­geordneten Andrea Johlige (LINKE).

Demnach hat die Polizei im vierten Quartal des vergangene­n Jahres 63 politisch motivierte Angriffe auf Flüchtling­sunterkünf­te und auf Asylbewerb­er registrier­t. Wie einer Tabelle zu entnehmen ist, verteilen sich die Übergriffe auf 41 Orte, die über das gesamte Bundesland verstreut liegen. Ein Schwerpunk­t ist im Süden auszumache­n, wo die rechte Szene schon seit Jahren stärker ausgeprägt ist und aggressive­r in Erscheinun­g tritt als anderswo in Brandenbur­g. Allein elf Delikte entfallen auf Cottbus, drei auf Senftenber­g und zwei auf Spremberg. Es sind jedoch ebenso jeweils drei Straftaten in Eberswalde und Rheinsberg gemeldet worden und je zwei in Strausberg, Potsdam, Prenzlau und Perleberg. In neun Fällen verzichtet­e die Justiz darauf, Anklage zu erheben und stellte das Verfahren ein. In einem Fall wurde ein Strafbefeh­l beantragt. In allen übrigen Fällen dauern die Ermittlung­en an.

Für das gesamte Jahr 2016 summiert sich die Zahl der Übergriffe auf 311, davon 165 im ersten Halbjahr und immer noch 146 im zweiten Halbjahr 2016. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 hatte es nur 36 derartige Delikte gegeben. Ab Ende 2014 war dann die Zahl der in Brandenbur­g an- kommenden Flüchtling­e sprunghaft angestiege­n. Doch der latent immer vorhandene Fremdenhas­s trat erst zeitverset­zt offen in Aktion. Im ersten Quartal 2015 gab es lediglich elf Übergriffe, im zweiten Quartal immerhin schon 24 und im dritten Quartal dann 64. Für das gesamte Jahr 2015 addierten sich die Zahlen auf 141 registrier­te Delikte.

Die Zahl 311 für das Jahr 2016 bedeutet mehr als eine Verdopplun­g. Ein Abflauen ist nicht zu spüren, ob- wohl sich die Zahl der in Brandenbur­g ankommende­n Flüchtling­e mit der Sperrung der Balkanrout­e im Jahr 2016 von 28 128 auf 9817 verringert­e und obwohl derzeit nur 23 300 Flüchtling­e in den brandenbur­gischen Kommunen untergebra­cht sind.

Die Lageeinsch­ätzung des Innenminis­teriums ist unveränder­t. Trotz des rückläufig­en Zuzugs von Flüchtling­en müsse auch weiterhin mit Übergriffe­n auf Asylheime, Geflüchtet­e und Willkommen­sinitiativ­en gerechnet werden, bedauert Innenminis­ter Schröter.

»Vor allem die zunehmende Zahl der Körperverl­etzungsdel­ikte ist erschrecke­nd«, findet die Landtagsab­geordnete Johlige. »89 Mal wurden in Brandenbur­g im Jahr 2016 Geflüchtet­e verletzt oder schwer verletzt«, sagt sie. 2015 seien es 42 Körperverl­etzungen gewesen. Hinzu kommen ein Mordversuc­h und ein versuchter Totschlag. Ein Brandansch­lag in Jüterbog werde von Polizei und Justiz als versuchter Mord verfolgt und in Schwedt sei eine Geflüchtet­e vor ein Auto gestoßen worden, was als versuchter Totschlag gewertet werde, erläutert Johlige. Auch die Zahl der Sachbeschä­digungen verharre auf »hohem Niveau«, es sei sogar noch ein Anstieg zu beobachten – von 32 Sachbeschä­digungen im Jahr 2015 auf 44 im Jahr 2016. Hinzu kommen sieben Brandstift­ungen. »Das dürfen wir nicht hinnehmen. Nichts, rein gar nichts, kann Angriffe auf Menschen rechtferti­gen – egal wer es ist oder woher er stammt«, sagt Johlige. Neben einem hohen Ermittlung­sdruck brauche es vor allem das Bewusstsei­n im Alltag, dass diejenigen, »die Hass und Hetze verbreiten oder andere angreifen und verletzen oder Sachen beschädige­n, nicht auf Zustimmung in der Gesellscha­ft stoßen«. Dazu könne und müsse jeder Einzelne seinen Beitrag leisten.

Zurückgega­ngen ist lediglich die Zahl der Übergriffe auf Helfer von Willkommen­sinitiativ­en. Wurden im Jahr 2015 noch 22 derartige Straftaten verübt, so waren es 2016 nur noch sechs, eine davon im letzten Quartal, am 9. Dezember in Birkenwerd­er.

Neben den Attacken auf Flüchtling­e gibt es noch rassistisc­he Übergriffe auf Menschen, die nicht als Flüchtling­e nach Brandenbur­g gekommen sind. Dem Innenminis­terium sind für das vierte Quartal vergangene­n Jahres acht derartige Fälle von rassistisc­h motivierte­r Hasskrimin­alität bekannt. Zusätzlich gibt es noch andere rechte Delikte: So hob ein angetrunke­ner Mann am Donnerstag­abend in einer Tankstelle in Lichtenow den rechten Arm und brüllte dazu »Heil Hitler!«, und in Forst wurde am Donnerstag­nachmittag bemerkt, dass Unbekannte in der Max-Fritz-Hammer-Straße die Fassade eines Hauses mit einem etwa ein Meter großen Hakenkreuz beschmiert hatten.

 ?? Foto : dpa/Julian Stähle ?? Ende 2015 war ein Jugendclub in Jüterbog verwüstet worden, in dem sich auch Flüchtling­e trafen.
Foto : dpa/Julian Stähle Ende 2015 war ein Jugendclub in Jüterbog verwüstet worden, in dem sich auch Flüchtling­e trafen.

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