Die Qual mit der Neuwahl-Frage
Seit zweieinhalb Jahren prüft Sachsens Landtag die Wahlbeschwerde eines AfD-Mannes
Muss die Landtagswahl in Sachsen wiederholt werden? Ein verhinderter AfD-Kandidat will das, im Landtag prüft und prüft man. Bald könnte eine Entscheidung fallen. Gleich ist Halbzeit. Ende Februar ist Sachsens Landtag 30 Monate im Amt; die Spanne bis zur nächsten Wahl ist dann kürzer als die Zeit, die seit dem Wählervotum Ende August 2014 vergangen ist. Dass die 126 Abgeordneten indes ihre Beschlüsse rechtmäßig fassen, zweifelt Arvid Immo Samtleben an. Der AfD-Mann hat Einspruch gegen das Wahlergebnis eingelegt und will eine Neuwahl erzwingen. Die Regularien sehen vor, dass ein eigens berufener Ausschuss im Landtag derlei Einsprüche prüft. Das geschieht – seit zweieinhalb Jahren. Es handle sich, stöhnte unlängst CDU-Ausschusschef Marko Schiemann, um das »umfassendste Wahlprüfungsverfahren in der Geschichte des Freistaats Sachsen«. Da hatte sich das Gremium gerade wieder einmal vertagt – zur »Klärung einer Rechtsfrage«, wie es vage hieß.
Die grundsätzliche Frage, die den Ausschuss quält, lässt sich knapp so formulieren: Durften zwei Vertrauensleute bei der AfD den Kandidaten Samtleben von der Landesliste der Partei streichen, nachdem die schon beim Wahlleiter des Freistaats eingereicht war? Samtleben stand auf Platz 14, der für ein Mandat gereicht hätte. Er selbst behauptet, gestrichen worden zu sein, weil er ein Darlehen nicht zahlen wollte, das von den Bewerbern für den Wahlkampf verlangt worden sei; die Landeschefin Frauke Petry sagt, Samtleben habe kein Engagement mehr gezeigt.
Die Äußerungen fielen in öffentlichen Anhörungen des Ausschusses, die ein Novum in Sachsen sind. Meist werden Wahleinsprüche anhand von Unterlagen geklärt. Das bisher aufwendigste Verfahren, in dem die damalige PDS-Politikerin Barbara Lässig gegen angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Listenaufstellung klag- te, wurde in einer Sitzung entschieden. Im Fall Samtleben dagegen hatte der Ausschuss bereits mehrfach einen Strich unter die Angelegenheit gezogen – und musste wegen neuer Fragen dann doch weiter ermitteln.
Kritiker sind überzeugt, dass dahinter Kalkül steht. Der Fall werde durch »langwierige Formaldebatten und teils monatelange Sitzungspausen« stetig verschleppt, war vor einiger Zeit im »Spiegel« zu lesen. Unterstellt wird, das Gremium drücke sich um ein Votum für eine Neuwahl – weil größter Nutznießer wohl ausgerechnet die AfD wäre. Petry hatte in ihrer Zeugenvernehmung mit Blick auf aktuelle Umfrageergebnisse kühl erklärt, sie sehe möglichen Neuwahlen gelassen entgegen.
Im Ausschuss will man solche Vorwürfe nicht gelten lassen. Zum einen sei das langwierige Verfahren mit der Anhörung von Zeugen nicht zuletzt der anfänglichen Weigerung der AfD geschuldet, dem Ausschuss angeforderte Unterlagen zu übergeben. Außerdem erweise sich die Frage, welche Befugnisse die bei jeder Wahl einer Kandidatenliste zu benennenden Vertrauenspersonen hätten, als unerwartet knifflig und sorge auch bei ausgewiesenen Experten in Sachen Wahlrecht für rauchende Köpfe. Man betrete, sagt ein Abgeordneter, »gewissermaßen juristisches Neuland«.
Inzwischen scheint das Urteil indes festzustehen; der Einspruch werde wohl zurückgewiesen, schrieb der »Spiegel« unter Berufung auf den internen Abschlussbericht. Dass dieser noch nicht beschlossen ist, liegt offenbar an Unklarheiten in der Frage, welche Ausschussmitglieder nach den formal mehrfach neu aufgenommenen Sitzungen stimmberechtigt sind. Für März oder April wird aber mit einer Entscheidung gerechnet. Danach dürfte der Fall, so wie einst der von Lässig, wohl zum Verfassungsgericht gehen. Ob dort noch vor Ende der Wahlperiode entschieden wird, bleibt abzuwarten. Die bis dahin gefassten Beschlüsse des Landtags, betont man dort, bleiben in jedem Fall gültig.