Hochstapelei im Versailles Westfalens
Schloss Nordkirchen ist Sitz der NRW-Landesfinanzschule – hässliche Wohnheimcontainer trüben das barocke Bild
Nordrhein-Westfalen braucht mehr Steuerbeamte. Deshalb verdreifachte sich in den letzten Jahren die Studentenzahl an der Landesfinanzhochschule in Nordkirchen. Doch wo die Studenten unterbringen? Es ist das größte unter den rund 100 Schlössern und Burgen im Münsterland und auch optisch so ausladend, dass Lokalpatrioten gern mal von einem westfälischen Versailles sprechen, wenn sie Schloss Nordkirchen meinen. Die barocke Anlage, gut 25 Kilometer südlich von Münster gelegen, wurzelt in einer Wasserburg, die im frühen 16. Jahrhundert zu einem der am besten befestigten Wasserschlösser ausgebaut wurde. Seither hatte sie mehrere blaublütige Besitzer.
Seit dem Jahr 1958 sind das Schloss, die barocke Venusinsel sowie Teile des umgebenden 170 Hektar großen Parks staatliches Eigentum. Und irgendwie schien es – zumindest nach gängiger finanztechnischer Logik – auch nachvollziehbar, dass die Landesbehörden im feudalen Ensemble dann eine Institution einquartierte, die gewissermaßen für Kontinuität beim Eintreiben von Steuertalern auch zur aufwendigen Restaurierung von Schloss Nordkirchen sorgen sollte: die Landesfinanzschule. Die größeren Räume des Komplexes wurden zu Hörsälen, die kleineren Räume in den oberen Etagen wurden Wohn- und Studierzimmer.
Heute heißt diese Einrichtung, die in den letzten Jahrzehnten rund 32 000 Diplom-Finanzwirte in die Beamtenstuben schickte, etwas zeitgemäßer Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen. Sie zählt aktuell fast 1300 Studenten – und hat trotz der Opulenz des riesigen Schlossgevierts akute Platzproble- me. Das liegt vor allem am stark wachsenden Bedarf des Landes an Betriebsprüfern, Steuerfahndern sowie Experten für Bilanz-, Umsatz-, Abgaben- und Einkommensteuerrecht im gehobenen Dienst. Alle Finanzbehörden des bevölkerungsreichsten Bundeslandes hätten Nachwuchssorgen signalisiert, heißt es in der Landeshauptstadt Düsseldorf. So stieg Anzahl der Neustudenten von 257 im Jahre 2008 auf 672 im letzten September.
Zugleich verhindern aber denkmalpflegerische Zwänge allzu pragmatische Eingriffe in den Schlosskomplex, der von der UNESCO inzwischen zum »Gesamtkunstwerk von internationalem Rang« erklärt und damit für schutzwürdig befunden wurde. Bauliche Erweiterungen sind demnach allenfalls an den Rändern des weitläufigen Ensembles möglich.
Doch was nun im Schlosspark geschieht, wertet mancher Beobachter als eine Art Treppenwitz: Da es mit der wachsenden Studentenzahl an Betten für die sogenannten Finanzanwärter fehlt, entstanden in Sichtweite der barocken Silhouette zwei hässliche Containerdörfer. Das zweite mit insgesamt 120, teilweise übereinander gestapelten Wohneinheiten wurde erst letztes Jahr unweit ei- nes Minigolfplatzes eröffnet. Es erinnert in seiner Enge und Kälte an eine provisorische Unterkunft, wie man sie von innerstädtischen Großbaustellen kennt.
Dabei war schon das erste Containerdorf – 2014 auf einem Parkplatz errichtet – nur als Notbehelf für drei Jahre gedacht, da inzwischen ein Architektenwettbewerb für einen neuen Wohnpark lief. Doch nichts lebt bekanntlich länger als ein Provisorium. Und inzwischen verschlangen die Arbeiten für die Hilfsinternate auch schon mehrere Millionen, noch nicht gerechnet jährliche Mietgebühren von 160 000 Euro für die geliehenen Wohnkästen. Dennoch nannte Schulleiter Martin Stirnberg zum Studienjahresbeginn im Herbst das Containermodell »die beste Lösung«, da jene Riesenquader halt am schnellsten verfügbar gewesen seien.
Der eigentliche Wohnpark, der nach wie vor im Umfeld des Schlosses entstehen soll, dürfte dagegen nicht vor 2019 fertig sein – und wird nach heutigen Berechnungen neun Millionen Euro kosten. Viel Geld für eine Einrichtung, deren wichtigster Behuf darin besteht, auch in Zukunft Steuergelder eintreiben zu können, statt diese zunächst auf jene Weise verbauen zu müssen.
Was im Schlosspark von Nordkirchen geschieht, wertet mancher Beobachter als eine Art Treppenwitz.