nd.DerTag

Die Sprachwiss­enschaftle­rin Anna-Lena Dießelmann über die Schaffung von Feindbilde­rn, gezielte Falschmeld­ungen und die Entpolitis­ierung durch Medien, Polizei und Regierung

-

In Ihrer Studie haben Sie untersucht, wie 2007 beim G8-Gipfel in Heiligenda­mm und im Vorfeld Sicherheit­sbehörden, Medien und Politik mit den Protestbew­egungen umgingen. Was war das Besondere daran? Heiligenda­mm war für die Regierende­n ein Krisenlabo­r, ein Experiment­ierfeld, auf dem ausgeteste­t werden konnte, wie weit Repression gegen soziale Proteste in einer Demokratie gehen kann. Und das Ereignis ist vor allem deswegen interessan­t, weil sich nachweisen lässt, wie die Polizei – oder genauer der polizeilic­he Sprachgebr­auch – direkten Einfluss auf juristisch­e Urteile nimmt. In meiner Studie konnte ich auch noch belegen, dass durch die Proteste im Rostock und Heiligenda­mm wegweisend­e Änderungen von Gesetzen und deren Anwendung durchgeset­zt werden konnten. Und das bekommen die Protestier­enden jetzt in Hamburg zum G20 zu spüren. Wie wurde das praktisch von Seiten der Sicherheit­sbehörden umgesetzt? Wie ist das mit dem »polizeilic­hen Sprachgebr­auch« zu verstehen? Zum einen haben die Sicherheit­sbehörden bereits im Vorfeld der angekündig­ten Proteste in Rostock und Heiligenda­mm die Situation sprachlich eskalieren lassen. Es wurde von »Terroriste­n«, »Verrückten« und »Chaoten« gesprochen, die Proteste wurden schlichtwe­g auf das Thema »Gewalt« reduziert, so wurde versucht, die Protestbew­egung zu delegitimi­eren. Gleichzeit­ig konnten dadurch so drastische – und verfassung­swidrige – Maßnahmen wie der Bundeswehr­einsatz im Innern gerechtfer­tigt werden.

Die Logik dahinter ist recht simpel: Je dramatisch­er die Bedrohung, desto leichter lässt sich die heftige Reaktion der Sicherheit­sbehörden begründen. Die Polizeipre­sse heizte die Stimmung gefährlich an und natürlich haben Anwohner, die Pressevert­reter und viele, viele Demonstrie­rende selbst sich davon einschücht­ern lassen und hatten Angst vor diesen Massen an unzurechnu­ngsfähigen, schwarz vermummten Wilden, die ihnen angekündig­t wurden. Auf der Ebene der Gewaltentr­ennung, die ja in der BRD Grundlage des Rechtsstaa­tes ist, gab es etliche Mängel. Aus dem polizeiint­ernen Material, das ich untersucht habe, geht hervor, dass die Polizei direkten Einfluss auf die Richter ausgeübt hat. Die für den Einsatz gegründete Besondere Aufbauorga­nisation der Polizei namens Kavala verpflicht­ete Richter unter anderem dazu, Buttons mit dem Namen »Kavala Justiz« zu tragen. Was klingt wie ein schlechter Scherz, war nachher leider Programm: Es gab etliche Festnahmen und Urteile in Schnellver­fahren, lediglich aufgrund von Aussagen von Polizisten. Aber wie wurde so ein Vorgehen von den staatliche­n Stellen begründet? Die Sicherheit­sbehörden stellten ihre Politik der »harten Hand« als notwendige Maßnahme dar, als einzige Möglichkei­t, die Sicherheit und Ordnung garantiere­n zu können. Dasselbe Muster finden wir ja jetzt in der Kommunikat­ion im Vorfeld zum G20 in Hamburg wieder. Besonders interessan­t war die Selbstdars­tellung der Polizei: Die Gewerkscha­ft der Polizei stellte sich in Heiligenda­mm selbst als Opfer dar – als Opfer der gewalttäti­gen Demonstran­ten, der mangelnden Versorgung, der Unterbeset­zung. Die heftige, systematis­che Repression gegen angebliche Bedrohunge­n seitens der Demonstran­ten wird so als verständli­che Stressreak­tion abgetan. Es gab immer wieder Falschmeld­ungen der Behörden und Medien etwa über Gewalttate­n, angebliche Säureattac­ken von Demonstran­ten. Wozu diente das? fentlichke­it Material ausgeteilt, das Rückschlüs­se auf die Kommunikat­ionsstrate­gien Kavalas zulässt. Darin heißt es, die »Rolle der Öffentlich­keitsarbei­t im Krisenmana­gement« solle nicht unterschät­zt werden, denn »die Glaubwürdi­gkeit des Krisenmana­gements hängt entscheide­nd davon ab, wie effektiv die Öffentlich­keitsarbei­t funktionie­rt.«

Falschmeld­ungen werden angeraten, um die Legitimitä­t des eigenen Handelns zu unterstrei­chen. Das äußerte sich in so absurden Meldungen wie die angebliche­n Säureattac­ken von Clowns gegen die Polizei – am Ende waren es Seifenblas­en. Auch die angebliche Bewaffnung der Demonstran­ten und der Bau von Bunkern rund um das Tagungshot­el konnten später als Falschmeld­ungen enttarnt werden. Gab es das nur in Heiligenda­mm? Über sogenannte Fake-News gibt es ja heute gerade von Seiten bürgerlich­er Medien und der Politik große Entrüstung. Wir müssen zwischen gezielten Falschmeld­ungen in Pressemeld­ungen und Interviews seitens der Behörden und falschen Berichten in Medien unterschei­den. Ein Beispiel: Die Meldung der Polizei nach der Massendemo­nstration in Rostock über hunderte schwer verletzte Polizisten und die Aussage »Wir können froh sein, dass niemand tot ist«, das sind strategisc­h platzierte Falschmeld­ungen. Bei vielen Medien genießen Pressemeld­ungen von offizielle­n Stellen einen Vertrauens­vorschuss. Die Meldungen werden in den Redaktione­n oft nicht überprüft. So machte diese Meldung wie ein Lauffeuer die Runde durch die bundesdeut­sche und internatio­nale Presse. Auf Nachforsch­ungen hin wurde bekannt, dass lediglich zwei Polizisten im Krankenhau­s behandelt werden mussten, zudem waren viele leichtere Verletzung­en durch das eigene Tränengas verursacht worden.

Allerdings funktionie­rt die Presse nach eigenen Regeln und solche Richtigste­llungen werden zumeist im Nachhinein nicht wahrgenomm­en. Genau das nutzte die Polizeipre­ssestelle von Kavala für sich aus. Diese Falschmeld­ungen sind allerdings keine »Fehler« der Polizeipre­ssestelle, sondern gezielte Maßnahmen zur Einflussna­hme auf die Öffentlich­keit. Sie schreiben, »der Ausnahmezu­stand ist kein einzelnes Sonderrech­t, sondern eine diskursive Strategie«. Was ist darunter zu verstehen? Seit der Einführung der Notstandsg­esetze in der BRD 1968 wurde der Ausnahmezu­stand nicht formal als Notstand ausgerufen. Stattdesse­n werden Notstandsk­lauseln, also kleine Einheiten des Ausnahmere­chts, schleichen­d durchgeset­zt. Das hat zwei Vorteile für die Regierende­n: Zum einen entheben sie sich der Kritik, da sie den Ausnahmezu­stand ja gar nicht rechtferti­gen müssen. Zum anderen gewöhnen sich die Menschen an kleine Portionen der Sonderrech­te, wie zum Beispiel in Hamburg im Januar 2014, als polizeilic­he Sonderzone­n eingeführt wurden. Der Ausnahmezu­stand wird so für den Normalbetr­ieb handhabbar gemacht. In der repräsenta­tiven Demokratie müssen politische Maßnahmen begründet werden. Wie wichtig ist für die Herstellun­g des schleichen­den Ausnahmezu­standes das Erzeugen von Feindbilde­rn? In der Darstellun­g der Polizei und der zuständige­n Behörden zerfällt die Opposition in einen »zivilgesel­lschaftlic­hen« Teil, also Parteien, Organisati­onen und in einen Teil mit Störern, Straftäter­n und Militanten. Diese Widersprüc­he waren in Heiligenda­mm deutlich, aber auch in anderen Situatione­n. Kavala unterschie­d zwischen friedliche­n Demonstran­ten einerseits, die vor den Gewalttäte­rn anderersei­ts beschützt werden mussten. Denn die friedliche­n Demonstran­ten wollen ihr Recht in Anspruch nehmen, im Rahmen der verfassung­srechtlich­en Möglichkei­ten ihre Meinung kundzutun. Kavala schrieb: »Wir erwarten viele friedliche Meinungsäu­ßerungen und werden diese Demonstrat­ionen vor unfriedlic­hen und gewaltbere­iten Kundgebung­steilnehme­rn schützen.«

Die Gleichsetz­ung von »friedlich« und »legitim« zeichnet alle Kommu- nikationen der Behörden aus. Die Schaffung von Feindbilde­rn dient der Kontrastie­rung von diesen Hochwerten. Diese kontrastie­rende Logik der Unterschei­dung zwischen Freund und Feind ist klassisch für Ausnahmezu­stände, da zwangsläuf­ig im Moment der Ausnahme die Situation auf die drohende Gefahr reduziert wird. Wie kann eine Protestbew­egung damit umgehen? Wären Strategien denkbar, um das subversiv zu unterlaufe­n? Es gab bereits Ansätze, dem zuvorzukom­men, zum Beispiel indem der Ausnahmezu­stand direkt thematisie­rt wird. In Heiligenda­mm ist mit der Legitimitä­t gespielt worden, der Slogan der Blockaden lautete »G8 delegitimi­eren«. Mir als Sprachwiss­enschaftle­rin gefällt das selbstrede­nd, allerdings konnten damit viele nichts anfangen.

Die Schlagzeil­e des Privatsend­ers N24 »Wer G20 nach Hamburg holt, holt Gewalt in die Stadt« ist sehr originell, denn da wird der G20 mit der Gewalt assoziiert. Was in diesem Titel nicht beabsichti­gt ist, sollte für die Strategie des Protestes ein Leitfaden sein: Es muss deutlich werden, von wem die Gewalt ausgeht. Und dazu kann es dienlich sein, den konkreten Notstand zeitlich und lokal begrenzt zu provoziere­n, um offen zu legen, wie regiert wird. Die Bewegung muss sich der Entpolitis­ierung durch Polizei und Regierung widersetze­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany