Spion gegen Spion
Michael T. Flynn ist als Nationaler Sicherheitsberater der USA zurückgetreten.
In den alten »Mad«-Comic-Heften gab es den Cartoon »Spion gegen Spion«: zwei Inkognito-Finsterlinge, die sich misstrauisch umkreisten, beide mit einer Bombe hinter dem Rücken. Das Bild illustriert, was gerade in den USA passiert: ein verstecktes Belauern, bis hin zum Undercover-Grabenkampf zwischen zwei Machtgruppen, die beide Anspruch auf die Führung erheben. Einen moralischen Vorsprung hat keine Seite. Die »Bombe« des einen Spions wurde gerade erfolgreich platziert – ein ehemaliger Oberspion wurde politisch zur Strecke gebracht. An diesem Dienstag ist der Nationale Sicherheitsberater der USA, der Dreisterne-General und Ex-Geheimdienstchef Michael T. Flynn, nach nur 24 Tagen im Amt zurückgetreten.
Der Vorwurf: Flynn hatte noch vor Amtsantritt telefonisch seine Fühler in Richtung russischer Botschafter ausgestreckt und dann öffentlich über den Gesprächsinhalt gelogen. Bewiesen werden konnte ihm das, weil ihn ein US-Geheimdienst abgehört hatte. Was kaum thematisiert wird: Wenn Spione die eigenen Politiker abhören und dieses Material dann nach Gutdünken und aus unlauteren Motiven an befreundete Zeitungen liefern, ist das kein Whistleblowing, sondern ein Problem. Einmal akzeptiert, wird diese Strategie bald auch linke Politiker treffen.
Flynn ist ein großer Fisch des USMilitärs. Der 56-Jährige begann als Fallschirmjäger, stieg auf zum Lieutenant General, war Kommandeur mehrerer zentraler Armee-Einheiten und Direktor der Defense Intelligence Agency (DIA), dem Geheimdienst der US-Armee, den er von 2012 bis zu seinem Rausschmiss 2014 leitete. Nebenbei hat er mehrere akademische Grade gesammelt.
Optisch ist er der schmissige Hardcore-Militarist wie aus dem Bilderbuch und bei seiner Karriere muss er fast unausweichlich mit Kriegsverbrechen belastet sein. Dennoch erfreute sich Flynn in den zwei Jahren seit sei- nem Aus bei der DIA großer Beliebtheit in eher pazifistischen Kreisen. Er war als Insider eine der ersten schwer angreifbaren Stimmen, die die westliche Deutung des islamistischen Söldnerkriegs gegen Syrien massiv erschütterten. Laut Flynn war diese Kritik auch der Grund für sein Ende bei der DIA.
Einst bezeichnete selbst die »Washington Post« den in einer Veteranen-Familie aufgewachsenen Vater zweier Söhne als »einen der meist respektierten militärischen Geheimdienst-Offiziere seiner Generation«. Doch diese Haltung änderte sich spätestens 2015 durch die juristisch erzwungene Veröffentlichung eines berühmten und schockierenden Dokuments aus Flynns Geheimdienst DIA, in dem schon 2012 die Entstehung des IS-Kalifats prophezeit wird. Das Dokument stellt außerdem bereits zu Beginn des Syrien-Kriegs klar, dass »die Salafisten, die Muslimbruderschaft und Al Qaida die dominierenden Kräfte des syrischen Aufstands« sind. Das DIA-Papier fährt fort: »Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei unterstützen diese Opposition. (...) Wenn die Entwicklung so weiter geht, besteht die Möglichkeit, dass in Ost-Syrien ein salafistisches Herrschaftsgebiet ausgerufen wird. Das ist exakt, was die Unterstützer der Opposition anstreben, um das syrische Regime zu isolieren.«
Doch warum hat Flynn die Waffenlieferungen an Al Qaida nicht gestoppt? Auf jenes Dokument Bezug nehmend, sagte Flynn 2015 im Sender Al Dschasira, dass er seinen Teil des Jobs erledigt habe: die ObamaAdministration mit Informationen zu versorgen. Auf die Nachfrage, warum die Politik diese Hinweise auf islamistische Terroristen ignoriert habe, sagte er: »Sie haben sie nicht ignoriert, es war alles eine bewusste Entscheidung. Und ich finde diese Politik sehr verwirrend.«
So ein Interview gibt einer der höchsten, bislang verschwiegen und loyal handelnden Militärs der USA nicht aus dem Bauch heraus. Vielleicht war es schon Vorbereitung der Trump-Kampagne. Auf jeden Fall war es eine Kampfansage, allerdings nicht an die Geheimdienste, denen er in dem Interview gute Arbeit bescheinigt, sondern an die Obama-Regierung, die Syrien mit ihren Verbündeten trotz der DIA-Infos mit Waffen und Kämpfern flutete. Dass Flynn nun Opfer seiner ehemaligen Kollegen wurde, ist daher vermutlich nicht persönlich gemeint. Soll es eher die gesamte Regierung Trump treffen?
Flynn äußert sich gegensätzlich. Einerseits verkündet er: »Die Geschichte wird hart mit jenen ins Gericht gehen, die 2003 die Entscheidung trafen, in Irak einzumarschieren.« Oder er lehnt öffentlich den Krieg mit Drohnen ab. Andererseits wirft sich der in Rhode Island Geborene für Folter in die Bresche, bezeichnet den Islam als »politische Ideologie« und vertritt noch einige andere irre Standpunkte. Im Wahlkampf engagierte er sich schließlich offen für Donald Trump.
Man wird bescheiden: Trotz Flynns teils hanebüchenen politischen Ansichten, seinem rein militärischen Horizont und seinen jüngsten glatten Lügen schien er einer der rationaleren Charaktere im Trump-Kabinett gewesen zu sein. Auch sein Draht nach Moskau hätte das Potenzial gehabt, viele Menschenleben zu retten. Sein jäher Absturz ist also ein Sieg für die hinter dem jeweiligen Geheimdienst stehende Machtgruppe, aber nicht unbedingt für den Weltfrieden. Und auf keinen Fall für die politische Moral.