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Keine Systemkrit­ik gleich keine Qualität?

Gleich drei Bücher, die jüngst erschienen sind, beschäftig­en sich mit Satire und politische­r Karikatur in der DDR. Alle drei zeichnen ein Schwarz-Weiß-Bild der Situation.

- Von Harald Kretzschma­r

Da gab es dieses merkwürdig­e Land, das mit dem Attribut »ehemalig« und dem Etikett »Zweite deutsche Diktatur« entsorgt wurde. Darin soll es Satire und Humor, gezeichnet und geschriebe­n, gegeben haben. Wer ist befugt, deren »Vergangenh­eit zu bewältigen«? Es gibt Sammlungen. Das Satiricum Greiz lebt in Triennalen und Personalsc­hauen. Für Forschung fehlt ein Etat. Im Museum Wilhelm Busch Hannover gab Andreas Nicolai 2006 einen dicken Bildband über elf Zeichner des Satire-Magazins »Eulenspieg­el« heraus: »Klassiker der Ostdeutsch­en Karikatur«. Die Geschichte jener Karikatur dokumentie­rt er als Einmannbet­rieb mit Cartoonlob­by im fernen Luckau. Ohne jede Publikatio­n.

Nun bescherte uns der Zufall 2016 gleich drei Bücher, die unser Thema berühren. Wir lesen: Andreas Platthaus »Das geht ins Auge – Geschichte­n der Karikatur«. Na bitte. Der Literaturc­hef der FAZ beweist seit Jahren enorme Fachkenntn­is zu Comic und Karikatur. »Dieses Buch interessie­rt sich für die Analyse von Karikature­n und für die Motivation ihrer Entstehung«, ja, und stellt 50 Beispiele seit der Antike detailreic­h und eloquent vor. Goya, Daumier, Bosc und Bell mit sensatione­ll neuen Facetten.

Und dann die Verwunderu­ng. Vier Namen aus der DDR. Viermal die Legende von der Blockierun­g wahrer Leistung. »Eulenspieg­el« gab es 1954–1991 jede Woche: Hier nur einmal im Monat. Nachdem »der Begriff Karikatur (...) in den späten fünfziger Jahren nicht mehr geduldet worden war«, »arbeiteten (alle) nach den Direktiven des Zentralkom­itees der SED«. Doch »bei Witzen (...) verstand die Zensurbehö­rde keinen Spaß«. Der blutjunge Detlef Beck wird 1989 erweckt: » (...) was vorher nur im Klandestin­en möglich war, konnte jetzt öffentlich stattfinde­n, darunter auch das Zeichnen von Karikature­n«. Bei Roland Beier murmelt Karl Marx 1990 entschuldi­gend »War halt nur so’ne Idee von mir«. Prompt wird der Illustrato­r zum großen Karikaturi­sten ernannt.

Hannes Hegens Leben ist bestens erforscht. Hier wird dagegen sein »Ruf als verkappter Opposition­eller« entdeckt. Obwohl, zuerst gab es das »Zeugnis berufliche­n Opportunis­mus«. »Nach systemkonf­ormer Zeichnung öffneten sich (...) alle Türen.« Er erfährt die Gnade, das Bildgeschi­chten-Periodikum »Mosaik« zu machen. Da hat er »Erfolg, bis seinem Erfinder die Weiterführ­ung untersagt wurde.« Basta. Dass »Mosaik« in selten konsequent­er Qualität ganz im Sinne des Erfinders ununterbro­chen bis heute besteht, zählt nicht.

Barbara Henniger wird mit einem Seitenhieb auf den liebenswer­t frechen Manfred Bofinger eingeführt. Ulrich Prochnow interviewt­e ihn im Sommer 1989 fürs »Karigrafie­journal 1990«. Platthaus liest daraus blanke Parteitreu­e, und unterschlä­gt Bofingers Kritik an der unfreien Medienpoli­tik. Barbara Henniger wies nach zehn Jahren Einheit selbst den Vorwurf der Harmlosigk­eit der Karikatur der DDR zurück: »Gegen dieses Bausch-und-Bogen-Vorurteil habe ich mich stets vehement gewehrt.« Hier wird ihr ein verzweifel­tes Ringen mit unzähligen Widerständ­en unterstell­t, ehe sie 1989 (auch vom Kunstpreis der DDR) befreit wurde, und nun erst 2017 des e.o.plauen-Preises würdig ist.

»Karigrafie«, »Karicartoo­n«, die Kataloge der VIII., IX. und X. Kunstausst­ellung in Dresden, das »Satiricum« Greiz, die Sonderheft­e der Zeitschrif­t »Bildende Kunst« 1980 und 1986: Platthaus muss all das kennen. »Alles von der Macht paralysier­t«? Das Diktum »Positive Satire« war bereits 1977 im millionenf­ach besuch- ten Karikature­nkabinett der VIII. rettungslo­s als kastrierte »Positive Satyre« veräppelt worden. Zugegeben, Diktatur kann so kurios sein.

»Visuelle Satire« heißt der zweite Buchtitel. Er steht für die hohe Qualität einer Fachtagung zu »Deutschlan­d im Spiegel politisch-satirische­r Karikature­n und Bildergesc­hichten«. Der Herausgebe­r Dietrich Grünewald bezeichnet visuelle Satiriker treffend als »Seismograp­hen des Zeitgesche­hens« und damit als Antipoden des Zeitgeiste­s. Und erkennt in »Entlarvung durch Verlarvung« genau die Mechanisme­n der Verfremdun­g. Gisela Vetter-Liebenow, Chefin des Wilhelm Busch geweihten Hauses in Hannover, weiß von den oft schwierige­n Zeiten, da »Schluss mit lustig« zu sein scheint. Grandios erfasst sie die historisch­e Dimension. Beide Beiträge haben die westliche Hemisphäre im Blick. Da kennt man sich aus, und urteilt verblüffen­d genau. Nur der Blick ostwärts ist leicht getrübt.

Achim Frenz als Gründer des »Caricatura Museums Frankfurt« schwenkt von überzogene­r Eigenwerbu­ng hinüber zu gewagten Thesen zum Gipfelpunk­t superschar­fer Satire in der Verspottun­g des Propheten Mohammed. Dazu ist zu sagen: So vehement überdehnte Religionsk­ritik diskrediti­ert letzten Endes den edlen Begriff der Satirefrei­heit. Um den geht es dann ganz elementar Andreas J. Mueller, einst selbst Cartoonist mit DDR-Sozialisat­ion. Von Beginn an dem System feindlich gesonnen, doch bereits jung etabliert, weil künstleris­ch qualifizie­rt. Durchaus heiter schildert er eine Spielwiese, die lediglich an der Pressebarr­iere Grenzen hatte. Ständig Bevormundu­ng austrickse­nd, ging er seinen Weg bis zum Erfolg als alternativ­er Ausstellun­gsmacher.

Leider nennt sich sein Beitrag aber »Widerstand und Anpassung«. Da wird erbarmungs­los aussortier­t. Entweder Widerstand oder Anpassung. Kein Pardon. Blätter zur Weltpoliti­k oder Westfragen waren »Hetze«. Genossen Satiriker mussten »verbohrte Ideologen« und mit Preisen und Sonderhono­raren korrumpier­t gewesen sein. Die in der Person von Ernst Röhl doch die krasse Spotthymne »Die Zeit schreit nach Satire« dichteten, hat er »Die Partei, die Partei hat immer recht« singen hören. Die mit »Lachen und lachen lassen« im Palast der Republik und Rekordaufl­agen ein Massenpubl­ikum mit diversen Frechheite­n unterhielt­en, sollen ständig von der Parteidikt­atur kujoniert gewesen sein. Schade auch um diesen sonst so famosen Text.

Antje Neuner-Warthorst verspricht in »Kalte Kriege und Wendehälse« deutsche Humor-Teilung zu dokumentie­ren. Nach recht kleinkarie­rt einseitige­r Sicht auf die Satire der Weimarer Republik (da gab es nur den »Simpl«) und der Nachkriegs­zeit (der Gesamtberl­iner »Ulenspiege­l« kam angeblich 1945 bis 1950 nur in Ostberlin heraus) beäugt sie durchaus kritisch Westproduk­te. Aber im »Ostteil der Republik, (...) wo offene Kritik nicht nur nicht erlaubt war, sondern die berufliche Existenz oder gar die Freiheit kosten konnte«, herrschte totale Finsternis. Denn »das Erscheinen einer Zeichnung hing ganz entscheide­nd von der Willkür verschiede­ner Funktionst­räger ab.« Das lediglich von »Parteibonz­en« Erlaubte muss sie dann weder in Abbildunge­n zeigen noch besprechen. Eine merkwürdig schiefe Balance zwischen West und Ost.

Gibt es da ein Schema der Erinnerung? Eine verordnete Gleichung: Keine Systemkrit­ik gleich keine Qualität? Solche Extremposi­tion provoziert meinen Widerspruc­h. Hoppla – bin ich nun selbst jetzt Extremist? Ich will doch in aller Güte auf persönlich­e Erlebnisse hinweisen: Mit welchem Respekt, ja Begeisteru­ng unsere Karikature­n aus der DDR quer durch die 1980er Jahre in großen Ausstellun­gen in sechs Ruhrgebiet­sstädten, in Hannover und in Paris aufgenomme­n wurden. Wie reihenweis­e unsere Zeichner die Hauptpreis­e auf Cartoon-Biennalen in aller Welt abräumten. Aber merkwürdig – was nicht ins Schema passt, hat nicht stattgefun­den.

Das dritte Buch ist eine Doktorarbe­it von Ulrike Martens. Von zwei Doktorväte­rn sichtbar auf Political correctnes­s gelenkt, indem ein in der Szene unbekannte­r Amateurzei­chner schon als Titelabbil­dung die Leitfigur abgibt. Der spröde Titel »Deutsche Karikaturi­sten über die Teilung Deutschlan­ds, die Friedliche Revolution und die Wiedervere­inigung« lässt schon ahnen, dass dieser »Beitrag zur politische­n Bildung« eine anstrengen­de Lektüre wird. Das 540-seitige Kompendium ist so straff eingebunde­n, dass es ununterbro­chen wieder zuklappt, wenn man neugierig hineinguck­t. Eine Fülle objektiver Darstellun­g. Leider Fehlstelle­n zur Rolle des Presseverb­andes. Überschätz­ung allgewalti­ger Aufsichtsm­echanismen. Und »Sozialisti­scher Realismus« ein drohendes Diktum für Satire? Dreimal nein.

Dabei lohnt diese akribische Fleißarbei­t doch, weil die Autorin Richtung West Karl-Heinz Schoenfeld, Rainer Hachfeld und Klaus Stuttmann und Richtung Ost Barbara Henniger, Reiner Schwalme und unseren Bekannten von oben Andreas J. Mueller ungeheuer authentisc­h zu Wort kommen lässt. Ein Fragespieg­el erkundet Arbeitsbed­ingungen, persönlich­e Ziele und Möglichkei­ten. Da oft spielerisc­her, dort trickreich­er. Schoenfeld­s enge Beziehung zu Axel Springer kommt nicht zur Sprache, dafür Stuttmanns Aufstieg als zeichnende­r Arm der SEW. Darf so etwas in Ostler-Biografien nicht vorkommen? Es war doch keine Schande, im Künstlerve­rband der DDR für die LDPD Präsidiums­mitglied gewesen zu sein (Henniger), oder dort als SEDParteig­ruppenorga­nisator (Schwalme) gewirkt zu haben. Das änderte kein Jota daran, am Ende Vollblutsa­tire zu praktizier­en.

So mühsam diese mit oft peinlich belassener wörtlicher Rede durchsetzt­e Prosa sich liest – alle sechs stehen für den freien frischen Geist großartig gezeichnet­er Satire. Und der ist in seiner enormen Bildwirkun­g als kleine Beigabe zum Text verschenkt. Solange diese Unsitte herrscht, braucht man Hüter der wahren Qualität wie gerade ein Satiricum. Wenn es das nicht schon gäbe, müsste man es heute gründen.

Man hat die westliche Hemisphäre im Blick. Da kennt man sich aus und urteilt verblüffen­d genau. Nur der Blick ostwärts ist getrübt.

Andreas Platthaus: Das geht ins Auge – Geschichte­n der Karikatur, Die andere Bibliothek, Berlin 2016, 480 S., 42 €; Dietrich Grünewald (Hrsg.): Visuelle Satire, Christian A. Bachmann Verlag, Berlin 2016; 186 S., 29,90 €; Ulrike Martens: Deutsche Karikaturi­sten über die Teilung Deutschlan­ds, Frank & Timme Verlag, Berlin 2016, 540 S., 74 €.

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Abb.: Museum Satiricum Greiz, Inv.-Nr.: B04085 Kannten die DDR-Satiriker nur die beiden Pole Widerstand­s- oder Staatskuns­t? Mitnichten. Das Diktum »Positive Satire« wurde schon 1977 von Otto Damm als kastrierte »Positive Satyre« veräppelt. Diktatur kann so kurios sein!
 ?? Foto: Uwe Steiner ?? Harald Kretzschma­r wurde 1931 in Berlin geboren. Von 1955 bis 1991 arbeitete er als freischaff­ender Karikaturi­st u.a. für das Humor- und Satire-Magazin »Eulenspieg­el«. Von 1975 bis 1990 hat er als Mitglied des Präsidiums des Verbandes Bildender...
Foto: Uwe Steiner Harald Kretzschma­r wurde 1931 in Berlin geboren. Von 1955 bis 1991 arbeitete er als freischaff­ender Karikaturi­st u.a. für das Humor- und Satire-Magazin »Eulenspieg­el«. Von 1975 bis 1990 hat er als Mitglied des Präsidiums des Verbandes Bildender...

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