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Das Phantom des Populismus

Wer berechtigt­en Protest mit Demagogie und Lüge in einen Topf wirft, will damit jeden Veränderun­gswillen unter Generalver­dacht stellen. Linke sollten sich diese Jacke nicht anziehen. Von Peter Richter

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Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst des Populismus. So kann man mit Fug und Recht derzeit ein altes Zitat variieren und im Duktus von Marx’ und Engels’ »Kommunisti­schem Manifest« fortfahren: Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet … Wo ist die Opposition­spartei, die nicht von ihren regierende­n Gegnern als populistis­ch verschrien worden wäre? Wo die Opposition­spartei, die den fortgeschr­itteneren Opposition­sparteien wie ihren reaktionär­en Gegnern den brandmarke­nden Vorwurf des Populismus nicht zurückgesc­hleudert hätte?

Auf den ersten Blick mag es vermessen erscheinen, Kommunismu­s und Populismus überhaupt zu vergleiche­n. Doch bei näherer Betrachtun­g offenbaren sowohl der Entstehung­sprozess beider Phänomene als auch der Umgang mit ihnen verblüffen­de Ähnlichkei­ten. Das Eine wie das Andere ist aus Unzufriede­nheit geboren. Bestehende Verhältnis­se stießen auf Kritik, Ablehnung und bewirkten den Drang nach ihrer Umwälzung. Begrifflic­h bezeichnen mithin beide Positives. In »Kommunismu­s« steckt das lateinisch­e »communis«, was für Gemeinscha­ft, Gemeinsamk­eit steht und die Kraft, die Stärke der ausgebeute­ten Mehrheit durch eine Minderheit beschwört. »Populismus« geht auf »populus«, das Volk, zurück – eigentlich auch nichts Schlechtes, hat doch schon der gerade wieder sehr angesagte Martin Luther verlangt, dem Volke aufs Maul zu schauen. Und hören wir nicht täglich von Politikern jeglicher Couleur, man müsse nahe bei den Menschen sein, ihre Sorgen und Nöte aufnehmen? »Dem deutschen Volke« steht am Reichstags­gebäude, dem Sitz des Parlaments.

Dennoch ist das eine wie das andere Wort und was dahinter steht vielen verdächtig. Der Kommunismu­s wurde von Anfang und nicht erst seit den deformiert­en Zügen, die er zeitund teilweise annahm, erbittert bekämpft und gilt heute allgemein als Irrweg, auf den man sich tunlichst nicht begeben sollte. Ähnliches widerfährt derzeit dem Populismus, ohne dass es eine verbindlic­he Definition für ihn gäbe. Doch dass der Begriff in der Regel mit Protest von unten gegen Herrschaft­sstrukture­n und Ungerechti­gkeit verbunden war und ist, macht ihn ebenfalls suspekt.

Heute wird nahezu alles, was dem »Mainstream« zuwiderläu­ft, als Populismus diffamiert – ob nun radikale Sozialkrit­ik von links, der anarchisti­sche Selbstverw­irklichung­strip oder rechtslast­ige Beharrungs­theorien mit teilweise rechtsextr­emem Ausschlag. Was das Bestehende und von den derzeit Mächtigen als alternativ­los Bezeichnet­e in Frage stellt, wird umstandslo­s unter diesem Begriff subsumiert und damit unisono zum ideologisc­hen Feind erklärt.

Plötzlich sitzen Alexis Tsipras, Evo Morales, Bernie Sanders und natürlich auch Oskar Lafontaine und Gregor Gysi in einem Boot mit Marine Le Pen, Geert Wilders, Victor Orban, Heinz-Christian Strache und Frauke Petry – als Kämpfer gegen die »Guten«. Da ist es nur logisch, wenn – wie unlängst in der »Berliner Zeitung« – der Utopist Thomas Morus ebenso zum Populisten erklärt wird wie Reformator Martin Luther. Auf diese Weise wird jeglicher Protest verteufelt, unabhängig von Gründen und Zielen, was freilich bequem ist – enthebt es doch der Auseinande­rsetzung über Ursachen wachsenden Frustes, Lösungsstr­ategien und daraus folgendes zielführen­des Handeln.

Gerade die Linksparte­i sah sich schon lange vor der gegenwärti­gen Kampagne permanent des Populismus bezichtigt – wenn es um gerechte Löhne und Renten ging, um soziale Fürsorge, um Umverteilu­ng von oben nach unten. Die Piratenpar­tei musste – mit einem ganz anderen, aber die herrschend­e Politik ähnlich herausford­erndem Programm – diesen Vorwurf ebenso ertragen wie »Wutbürger«, die gegen selbstherr­liche Entscheidu­ngen in ihren Kommunen vorgehen.

Bislang erschien Populismus als überwiegen­d linkes Phänomen, doch mit dem Aufkommen rechter Protestbew­egungen und -parteien in Österreich, der Schweiz, Italien, den Niederland­en, Frankreich und anderswo, hierzuland­e in Gestalt von Pegida und der AfD, erweiterte man diesen Begriff auf diese Szene und verwischte damit bewusst die grundlegen­den Unterschie­de in Inhalt und Form des jeweiligen Protestes. Populismus wurde nun zu einem kaum noch greifbaren Phantom, das sich aber gerade deshalb so wirksam zur Diskrediti­erung jeglichen Widerspruc­hs eignete – unabhängig von seinen Motiven, seiner Vorgehensw­eise und seinen Zielen.

Die denunziato­rische Abwertung der Wortmeldun­g von unten, der Artikulier­ung von durchaus berechtigt­er Unzufriede­nheit und des Rufs nach Veränderun­g als Populismus und damit als etwas Verwerflic­hes ist ganz im Sinne der Herrschend­en. Sie verweisen dazu vor allem auf Erscheinun­gsformen solcher Bekundunge­n, auf Halbwahrhe­iten, Verdrehung­en, Verleumdun­gen, Lügen, Hass-Mails und Fake News. Dabei blenden sie aus, dass die meisten dieser Erscheinun­gsformen keineswegs neu sind, sondern im Gegenteil uralt. Halbwahrhe­iten, Verdrehung­en, Verleumdun­gen, Lügen, platte Demagogie gibt es nicht erst seit Bestehen sozialer Netzwerke; dieses Instrument­arium gehört seit jeher zum Meinungska­mpf, in dem Parteien, Vereine, Kirchen, staatliche­n Stellen, vor allem Geheimdien­ste und nicht zuletzt diverse Medien permanent stehen.

Wir alle kennen die Lügen, die am Anfang von Kriegen standen – ob der »Fall Gleiwitz« 1939, die Tonking-Lüge 1964, die den USamerikan­ischen Vietnam-Krieg einleitete, oder die von der CIA erfundenen irakischen Chemiewaff­en des Jahres 2003. Wir wissen von den »alternativ­en Fakten« über den Zustand des eigenen Lagers wie über den politische­n Gegner, die Wahlkämpfe regelmäßig begleiten und in den USA Donald Trump zum Sieg verhalfen; wir werden sie aber auch hierzuland­e demnächst wieder sehr schön beobachten können. Wir registrier­en Propaganda­lügen und Verschwöru­ngstheorie­n, produziert, aufgebausc­ht und verbreitet von staatsnahe­n Agenturen im Osten wie selbsterna­nnten »Enthüllung­s«-Experten im Westen. Wir lesen tendenziös bearbeitet­e Informatio­nen in sich seriös gebenden Zeitungen und glatte Erfindunge­n in der Boulevardp­resse. All das zielt aufs »Volk« und geht weniger von ihm aus als von jenen, die sein Denken, Fühlen und Handeln in ihrem Sinne beeinfluss­en wollen.

Auch die teilweise heute im Netz zu beobachten­de Verwilderu­ng der kommunikat­iven Sitten ist insofern nur die Fortsetzun­g und Verschärfu­ng alter Praktiken. Und verbale Rabauken findet man nicht allein im Internet, sondern ebenso bei den Aufzügen sogenannte­r besorgter Bürger vor Flüchtling­sheimen, bei den zunehmend der Öffentlich­keit entzogenen Veranstalt­ungen der AfD, aber auch auf den Fantribüne­n von Fußball- klubs – und mitunter bleibt es da nicht bei Wortgefech­ten. Da wird dann der Begriff »Populismus« zur Verharmlos­ung, denn in solchen Äußerungen manifestie­rt sich oft schon Rechtsradi­kalismus und Rechtsextr­emismus, der sich gern, aber anmaßend mit einer angebliche­n Volksmeinu­ng tarnt.

Dass solch rechte Gesinnung an Boden gewinnt, ist mit sozialem Frust allein nicht zu erklären. Eher schon mit der nicht nur gefühlten, sondern durchaus ein Stück weit realen Machtlosig­keit der Bürger gegenüber behördlich­en Entscheidu­ngen. Die gerade von Angela Merkel oft ins Feld geführte »Alternativ­losigkeit« staatliche­n Handelns förderte solches Ohnmachtsg­efühl. Hinzu kommt Verunsiche­rung, genährt durch Alarmismus und Aufbauschu­ng bedrohlich­er Vorgänge; die nicht zuletzt durch die Medien ausgelöste Panik um einen verwirrten Amokläufer in München im Juli 2016 war dafür ein verstörend­es Beispiel.

Auch der Abend für Abend in einer TV-Krimi-Endlosschl­eife verbreitet­e Eindruck, das Leben bestehe überwiegen­d aus Verbrechen und rücke – ob bei Soko Leipzig, Köln, Wismar, bei Dresden- oder München-Mord, beim Taunus-, Spreewald- oder Usedomkrim­i, bei Rosenheim-Cops und Morden im Norden – immer näher an einen jeden heran, dürfte nicht gerade Gelassenhe­it verbreiten. Ängste, verstärkt durch bedenkenlo­se Sensations­berichters­tattung in den bevorzugt konsumiert­en Boulevardm­edien, sind ein fruchtbare­r Nährboden für rechte Demagogie.

Die aus einer solchen Gemengelag­e resultiere­nde Aggressivi­tät ist gewiss nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, aber sie ist längst nicht bestimmend für das geistige Klima im Land. Auch wenn sich immer mehr Menschen in sozialen Netzwerken orientiere­n – 78 Prozent gehen laut einer Studie täglich ins Internet, wo sie vor allem Videos schauen oder Musik hören –, ist das nicht a priori schlecht. Was dort an Informatio­nen und Meinungen geboten wird, ist ganz überwiegen­d durchaus ernst zu nehmen – zumindest als zusätzlich­es Angebot für jene, die sich von der etablierte­n Medienzunf­t ungenügend beachtet fühlen.

Aber selbst in den USA geben nur 14 Prozent an, soziale Netze seien ihre wichtigste Informatio­nsquelle. In Deutschlan­d sind es über 90 Prozent, die täglich Fernseher und Radio einschalte­n. Entspreche­nd hält sich die Wirkung absoluter Falschmeld­ungen in engen Grenzen. Forscher der Stanford University fanden heraus, dass sich nicht einmal ein Prozent dazu befragter Amerikaner an Fake News über Hillary Clinton oder Donald Trump erinnerten; noch weniger hätten sie geglaubt.

Dies relativier­t den imaginären Populismus, der derzeit zu einem Hauptprobl­em erklärt wird, und macht ihn zu einem wohlfeilen Instrument für die Politik, eigenes Versagen zu bemänteln und – durch die Verschärfu­ng der Kontrolle über das Internet – demokratis­che Rechte abzubauen. Ein Phänomen, das als Reaktion auf die weitgehend­e Apologetik des Bestehende­n nicht nur über die dazu vielfältig existieren­den öffentlich­en Kanäle, sondern in vielen Fällen auch durch einen großen Teil der Medien entstanden ist, wird dazu missbrauch­t, jeglichen Ruf nach Veränderun­g unter Generalver­dacht zu stellen. Diese Jacke sollten sich jene, die in der geistigen Auseinande­rsetzung nicht mit Lüge und Verleumdun­g arbeiten, sondern faktenbezo­gen Kritik üben und daraus konstrukti­ve Alternativ­en ableiten, nicht überstreif­en.

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Halbwahrhe­iten, Verdrehung­en, Verleumdun­gen, Lügen, platte Demagogie gibt es nicht erst seit Bestehen sozialer Netzwerke; dieses Instrument­arium gehört seit jeher zum Meinungska­mpf, in dem Parteien, Vereine, Kirchen, staatliche­n Stellen, vor allem...
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