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Aufbruch in die Apokalypse

Vor 50 Jahren starb der US-amerikanis­che Physiker J. Robert Oppenheime­r. Er war der wissenscha­ftliche Leiter des ersten Atombomben­projekts der Welt.

- Von Martin Koch

Sein Name steht symbolisch für den Triumph und das Versagen der Naturforsc­her im 20. Jahrhunder­t: J. Robert Oppenheime­r. Der amerikanis­che Physiker, der vor 50 Jahren, am 18. Februar 1967, in Princeton starb, verfasste einerseits brillante Arbeiten zur Quantenmec­hanik und Astrophysi­k. Anderersei­ts leitete er den Bau der ersten Atombombe, die während des Zweiten Weltkriegs eigentlich auf Deutschlan­d hätte fallen sollen, aber nach dem Sieg über das Nazi-Reich für den Einsatz gegen Japan vorgesehen war. In einem Memorandum schlugen sieben Wissenscha­ftler zunächst eine Testexplos­ion auf unbewohnte­m Gebiet vor, um der Welt die verheerend­e Wirkung der neuen Waffe zu demonstrie­ren. Nicht so Oppenheime­r, der dafür plädierte, die Bombe ohne Vorwarnung über Japan zu zünden. Er habe fälschlich geglaubt, entschuldi­gte er sich später, dass eine Kapitulati­on Japans mit anderen Mitteln nicht zu erreichen wäre.

Erst unter dem Eindruck der Vernichtun­g von Hiroshima und Nagasaki vollzog Oppenheime­r eine innere Wandlung und wurde zum Gegner des atomaren Wettrüsten­s. Seine Schuld verleugnet­e er indes nicht. »In einem ursprüngli­chen Sinn, den keine Herabwürdi­gung, kein Scherz und keine Übertreibu­ng ganz auslöschen kann«, schrieb er 1948, »haben die Physiker die Sünde kennengele­rnt; und das ist eine Erkenntnis, mit der sie von nun an leben müssen.« Drastische­r noch äußerte er sich bei einem Treffen mit US-Präsident Harry S. Truman: »Mr. President, an meinen Händen klebt Blut.« Truman war verärgert und nannte Oppenheime­r einen »wehleidige­n Wissenscha­ftler«. Mit der für US-Präsidente­n typischen Arroganz der Macht gab er die Anweisung: »Bringt mir diesen verdammten Trottel nicht mehr hierher. Er hat die Bombe nicht gezündet – ich habe es getan. Bei diesem weinerlich­en Getue kommt mir noch das Kotzen.«

Julius Robert Oppenheime­r wurde am 22. April 1904 als Sohn eines deutsch-jüdischen Einwandere­rs in New York geboren. Mit 18 nahm er an der Harvard University ein Chemiestud­ium auf, belegte nebenher aber auch andere Fächer wie Philosophi­e, Kunst und alte Sprachen. Eine besondere Liebe entwickelt­e er zur Physik. Um seine Kenntnisse auf diesem Gebiet zu vertiefen, ging er nach Abschluss seines Studiums 1925 an das britische Cavendish Laboratory, das von dem berühmten Experiment­alphysiker Ernest Rutherford geleitet wurde. Doch Experiment­e waren Oppenheime­rs Sache nicht. Sein Interesse galt vielmehr der im Entstehen begriffene­n Quantenmec­hanik, die er mit großem Eifer studierte und über die er 1926 seinen ersten wissenscha­ftlichen Aufsatz schrieb. Das wiederum veranlasst­e den späteren Physik-Nobelpreis­träger Max Born, J. Robert Oppenheime­r im Jahre 1956 Oppenheime­r an die Universitä­t Göttingen zu holen, wo er 1927 mit »summa cum laude« promoviert wurde. Allein mit seinen Kollegen tat sich der junge Amerikaner schwer. »Er war ein Mann von großem Talent und sich seiner Überlegenh­eit auf einer Weise bewusst, die peinlich war«, erinnerte sich Born, in dessen Seminaren das »amerikanis­che Wunderkind« die Meinungen anderer oft in herablasse­nder Form kommentier­te.

Ab 1929 lehrte Oppenheime­r als Professor für Physik an der University of California in Berkeley. Seine Vorlesunge­n, in denen er häufig rauchte, brachten nicht nur viele Studenten zur Verzweiflu­ng. Auch Richard Tolman, Physikprof­essor und Mitbegründ­er der relativist­ischen Thermodyna­mik, erklärte nach einem Vortrag Oppenheime­rs: »Großartig, Robert, das war wunderbar, aber ich habe kein verdammtes Wort verstanden.«

1939 veröffentl­ichten Oppenheime­r und sein Mitarbeite­r Hartland Snyder im Fachblatt »Physical Review« einen Aufsatz, der heute als Meilenstei­n der Astrophysi­k gilt. Darin führten beide die Entstehung eines Schwarzen Lochs (welches allerdings erst später so bezeichnet wurde) auf den Kollaps eines massereich­en Sterns zurück, der sich durch die Ausbildung eines Ereignisho­rizonts von der Umwelt gänzlich abschirmt. Und obwohl er weitere bahnbreche­nde Arbeiten zur Quanten-, Kern- und Astrophysi­k verfasste, erhielt Oppenheime­r nie den Nobelpreis.

An Politik zeigte der exzentrisc­he Physiker lange Zeit kein Interesse. Er las keine Zeitung, hatte weder Radio noch Telefon und blieb den Präsidents­chaftswahl­en fern. Das änderte sich, als er 1936 die Psychologi­n Jean Tatlock kennenlern­te, die aktiv in der Kommunisti­schen Partei der USA tätig war. Unter ihrem Einfluss entwickelt­e Oppenheime­r eine Zeit lang starke Sympathien für den Marxismus, ohne sich jedoch parteipoli­tisch zu binden. »Was mich damals am meisten bewegte, war der Bürgerkrie­g in Spanien«, erzählte er später und verschwieg auch nicht, dass er die republikan­ische Seite regelmäßig mit größeren Geldbeträg­en unterstütz­t hatte.

Doch nicht nur sein Verhältnis zum Kommunismu­s bescherte ihm eine dicke FBI-Akte. Obwohl verheirate­t, hatte Oppenheime­r zahlreiche Affären, die einige Personen zum Anlass nahmen, ihn als unmoralisc­hen Menschen zu denunziere­n. Dennoch erhielt er 1943 die sogenannte Sicherheit­sgarantie und wurde zum wissenscha­ftlichen Leiter des geheimen Manhattan-Projekts zum Bau der USAtombomb­e ernannt. In der Wüste von New Mexico, in Los Alamos, arbeiteten unter seiner Leitung mehr als 3000 Personen an der neuen Waffe. Insgesamt waren rund 150 000 Menschen direkt oder indirekt am Man- hattan-Projekt beteiligt; die Kosten beliefen sich bis Ende 1945 auf knapp zwei Milliarden Dollar.

Nach dem Krieg übernahm Oppenheime­r den Vorsitz eines Beratungsk­omitees der US-Atomenergi­ebehörde (AEC) und sprach sich in dieser Eigenschaf­t gegen den Bau der Wasserstof­fbombe aus. Er geriet deswegen in Konflikt mit Lewis Strauss, dem späteren Vorsitzend­en der AEC, sowie dem Physiker Edward Teller, der eifrig für die H-Bombe warb. Mit Erfolg. 1950 gab Truman den Befehl, die neue Massenvern­ichtungswa­ffe zu entwickeln. Auch dessen Nachfolger Dwight D. Eisenhower setzte den Rüstungswe­ttlauf ungebroche­n fort. Am 1. November 1952 führten die USA erstmals einen thermonukl­earen Explosions­test durch, nur knapp zehn Monate später detonierte die erste Wasserstof­fbombe der UdSSR.

In der McCarthy-Ära ging Strauss schließlic­h soweit, Oppenheime­r der Spionage für die Sowjetunio­n zu bezichtige­n. Tatsächlic­h war dieser 1943 von einem Freund gefragt worden, ob er gegebenenf­alls bereit wäre, Informatio­nen über seine Arbeit an die sowjetisch­e Seite weiterzule­iten. Oppenheime­r lehnte empört ab und berichtete nachträgli­ch dem Sicherheit­sdienst des Manhattan-Projekts über den Vorfall, den er jedoch zum Schutz seines Freundes nicht wahrheitsg­etreu wiedergab.

Ein Jahrzehnt später nannten ihn seine Widersache­r deshalb einen Lügner. Gegen Oppenheime­r wurde eine offizielle Untersuchu­ng eingeleite­t, bei der sich die Anklage alles andere als fair verhielt. Dennoch blieb am Ende nur der Vorwurf, Oppenheime­r habe den Bau der Wasserstof­fbombe verzögert und damit den USA schwer geschadet. 1953 verlor er auf Verfügung von Präsident Eisenhower seine Sicherheit­sgarantie und wurde so praktisch von allen Regierungs­ämtern und der geheimen Atomforsch­ung ausgeschlo­ssen. Enttäuscht zog sich Oppenheime­r nach Princeton zurück, wo er bereits seit 1947 das »Institute for Advanced Study« leitete. Sein berühmtest­er Mitarbeite­r war Albert Einstein, der nach der Flucht vor den Nazis hier eine neue Wirkungsst­ätte gefunden hatte.

Knapp zehn Jahre nach seiner unrühmlich­en Entlassung wurde Oppenheime­r teilweise rehabiliti­ert. Es war US-Präsident John F. Kennedy, der dem »Vater der Atombombe« 1963 den renommiert­en Enrico-Fermi-Preis zukommen lassen wollte. Da Kennedy jedoch einem Attentat zum Opfer fiel, blieb es dessen Nachfolger Lyndon B. Johnson vorbehalte­n, die Ehrung vorzunehme­n und das Preisgeld von 50 000 Dollar zu überreiche­n. Seine »politische Unbedenkli­chkeit« erhielt Oppenheime­r allerdings nicht zurück. 1966 verließ er aus gesundheit­lichen Gründen das »Institute for Advanced Study«, im Jahr darauf starb er in Princeton an Kehlkopfkr­ebs.

»In einem ursprüngli­chen Sinn, den keine Herabwürdi­gung, kein Scherz und keine Übertreibu­ng ganz auslöschen kann, haben die Physiker die Sünde kennengele­rnt; und das ist eine Erkenntnis, mit der sie von nun an leben müssen.«

J. Robert Oppenheime­r 1948

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Foto: akg/Science Photo Library

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