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Die Evolution meldet sich zurück

Einsatz sogenannte­r Gene Drives schwierige­r als gedacht.

- Von Bernd Schröder

Den Regeln der genetische­n Vererbung und natürliche­n Auslese gemäß haben Gene normalerwe­ise eine fünfzigpro­zentige Chance, über geschlecht­liche Fortpflanz­ung an die Nachkommen weitergege­ben zu werden. Hier greift das sogenannte Gene Drive ein: ein Prozess, der dafür Sorge trägt, dass ein gewünschte­s Gen bevorzugt an die Nachkommen weitergege­ben wird, selbst dann, wenn es zu weniger fitten Individuen führt. Das geht solange, bis die gesamte Population Träger des Gens ist – zumindest in der Theorie.

Gene Drives sind keine Neuheit, sie kommen auch in der Natur vor. Doch die Erfindung des Genbearbei­tungsverfa­hrens CRISPR/Cas9 hat die Fähigkeit von Wissenscha­ftlern revolution­iert, maßgeschne­iderte Änderungen am Erbmateria­l von Organismen vorzunehme­n. CRISPR ist ein molekulare­r Mechanismu­s, der an genau bezeichnet­en Stellen Schnitte an der Ziel-DNA vornimmt und einem veränderte­n Gen erlaubt, sich an dieser Stelle einzufügen. Der Mechanismu­s kann ins Genom von Lebewesen eingeschle­ust werden. Dieses Gene Drive führt dann in den nachfolgen­den Generation­en zur selbststän­digen Vervielfäl­tigung der Gen-Manipulati­on.

Viele Forscher hoffen, mit dieser Technologi­e eines Tages Population­en von Krankheite­n übertragen­den Insekten im Laufe weniger Generation­en zu verändern oder zu unterdrück­en. Bei der Bill-und-MelindaGat­es-Stiftung sieht man das genauso und bescheinig­t der Methode ein beträchtli­ches Potenzial bei der Bekämpfung der Malaria – so vielverspr­echend, dass das Budget für die Target-Malaria-Initiative auf 75 Millionen US-Dollar erhöht werden soll. Das wäre der bisher größte für Gene- Drive-Experiment­e zur Verfügung gestellte Betrag. 2015 hatten Forscher im Rahmen von Labor-Experiment­en erstmals Gene Drives in Mücken eingeschle­ust. Bill Gates selber glaubt, dass die Technologi­e 2018 für eine breite Anwendung reif ist.

Wie das Wissenscha­ftsjournal »Nature« (Bd. 542, S. 15) berichtet, vollenden Forscher im mittelital­ienischen Terni gerade den Bau von weltweit wahrschein­lich einzigarti­gen Mückenkäfi­gen. Die im Rahmen des Target-Malaria-Projekts entstehend­en jeweils 150 Kubikmeter großen Gehege sollen die Lebensräum­e simulieren, in denen die Anopheles-Mücken Afrikas gedeihen. Durch das Studium der Insekten unter naturnahen Bedingunge­n wollen die Wissenscha­ftler besser verstehen, wie die Malaria-Überträger ausgerotte­t werden können. Das sollen dann Gene Drives für entspreche­nde Gene besorgen. 2015 hatten Forscher über ein CRISPR-Gene Drive berichtet, das eine Unfruchtba­rkeitsmuta­tion bei weiblichen Mücken bewirkte, die an alle ihre Nachkommen weitergege­ben wurde.

Die Unterdrück­ung einer Art kann ungeahnte Folgen nach sich ziehen, wie etwa einen Anstieg in einer Population von Konkurrent­en, die ebenso in der Lage sind, eine Krankheit wie Malaria zu übertragen. Die Zerstörung einer Population könnte über die Beeinfluss­ung der natürliche­n Wechselwir­kungen zwischen den verschiede­nsten Lebewesen auch in anderen Teilen des Ökosystems unvorherge­sehene Effekte auslösen.

Doch bevor es soweit ist, muss die Übertragun­g der Gene-Drive-Erfolge vom Labor auf die freie Wildbahn noch mit einigen unerwartet­en Schwierigk­eiten fertig werden. Denn Laborexper­imente zeigten, dass die Ausbreitun­g der Mutation zwar wie angenommen zunächst über mehrere Generation­en fortschrit­t, sich dann jedoch auch eine Resistenz gegenüber dem Gene Drive entwickelt­e. Dadurch blieb einigen Mücken das modifizier­te Gen erspart.

Eine Ursache für diese Resistenz ist CRISPR selber. Die molekulare Schere verwendet ein Enzym, um die erkannte spezifisch­e DNA-Sequenz zu schneiden und gewünschte genetische Codes an ihrer statt einzusetze­n. Gelegentli­ch kommt es jedoch vor, dass Zellen den Schnitt reparieren, indem sie zufällige DNA-Buchstaben hinzufügen oder löschen. Das kann zu einer Sequenz führen, die das CRISPR-Gene-Drive nicht mehr erkennt. So wird die Ausbreitun­g des modifizier­ten Codes unterbroch­en. Diese Art von Resistenz wurde auch von den Forschern am Biotechnol­ogiezentru­m von Terni bei einigen ihrer Mücken gefunden.

Ein anderer Weg, der zur Resistenz führen kann, ist die natürliche genetische Variation. Denn CRISPRbasi­erte Gene Drives funktionie­ren über die Erkennung von kurzen genetische­n Sequenzen. Individuen mit Unterschie­den an diesen Stellen wären immun gegen das Gene Drive.

Das »Anopheles gambiae 1000 Genomes Consortium« analysiert in einer aktuellen Studie die Genome von 765 wilden Mücken der Spezies Anopheles gambiae und Anopheles coluzzii, die von 15 verschiede­nen Orten im subsaharis­chen Afrika stammen. Das Wissenscha­ftler-Team entdeckte komplexe Muster der Population­sstruktur und deutliche Unterschie­de in der Größe lokaler Population­en, von denen sie einige zumindest teilweise auf Malaria-Kontrollma­ßnahmen vor Ort zurückführ­en. Die angetroffe­ne, außerorden­tlich hohe genetische Vielfalt schränkt po- tenzielle Ziele von Gene-Drive-Strategien zur Mückenbekä­mpfung von vornherein ein. Ganze Population­en ließen sich so jedenfalls nicht ausmerzen, glauben Wissenscha­ftler.

Unterdesse­n wurde auch gezeigt, dass Gene Drives zu genetische­r Isolation in Population­en führen kann, wenn es Teilen ihrer Mitglieder gelingt, sich der Vererbung des veränderte­n genetische­n Codes zu entziehen. Genvariant­en, die die Neigung einer Population dämpfen, sich mit anderen Population­en zu vereinen, würden sich dann plötzlich als vorteilhaf­t erweisen und könnten sich verbreiten – wie zum Beispiel Population­en mit eingeschrä­nkter Flugfähigk­eit.

Den beteiligte­n Forschern ist bewusst, dass auch gegen Gene Drives Resistenze­n unvermeidl­ich sind. Sie hoffen nun, die Begleiteff­ekte lange genug abfedern zu können, um eine gewünschte Mutation in eine vollständi­ge Ziel-Population einzuschle­usen. Es kursiert bereits die Idee der Schaffung von Gene Drives, die mehrere Stellen des gleichen Gens oder verschiede­ne Gene gleichzeit­ig verändern können, um so die Entwicklun­g einer Resistenz hinauszuzö­gern. Überdies soll nach möglichen Ziel-Genen gesucht werden, die bei allen Individuen auftreten.

Um die Ausbildung von Resistenze­n zu verlangsam­en, hat das TargetMala­ria-Team eine zweite Generation von Gen-Mücken entwickelt. Die Forscher wollen sie in ihrer neuen italienisc­hen Anlage noch in diesem Jahr testen, um Anhaltspun­kte zu bekommen, wie sich die Mücken in freier Natur verhalten werden. Einige Forscher sind sich durchaus im Klaren darüber, dass ihnen die Evolution einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

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