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Geschlecht­erforschun­g unter Druck

Sind die »Gender Studies« Ausdruck einer Überhöhung von Identitäts­politik – und damit leichte Beute für rechtspopu­listische Polemik?

- Von Thomas Gesterkamp

Sind die »Gender Studies« Ausdruck einer Überhöhung von Identitäts­politik – und damit leichte Beute für rechtspopu­listische Polemik?

Gescholten werden die »Gender Studies« nicht nur von der politische­n Rechen, sondern manchmal auch von den Linken.

Mark Lilla hat eine heftige Debatte unter US-Intellektu­ellen ausgelöst. Hillary Clinton und die Demokratis­che Partei, so schrieb der Professor für Ideengesch­ichte an der Columbia-Universitä­t in der New York Times, seien wegen ihrer Fixierung auf das Thema »Diversity« gescheiter­t. Das ständige Ansprechen der Diskrimini­erung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientieru­ng habe Wähler irritiert und Donald Trump den Weg geebnet. Lilla bescheinig­t dem liberalen Milieu »eine Art moralische Hysterie in Identitäts­fragen«. In einem Hollywood-Film müsse jede Raumschiff­besatzung »nach den Farben des Regenbogen­s besetzt werden«, genauso schräg sei- en »die Debatten über verletzte Gefühle in Universitä­tsseminare­n«. Er »teile zwar die Grundsätze, aber nicht die Priorität, die diesen Fragen in der Öffentlich­keit eingeräumt wird«.

Der Sound der Platte klingt bekannt. Er erinnert an den Druck, der seit einigen Jahren auf die »Gender Studies« an deutschen Universitä­ten ausgeübt wird. Die Schelte kommt dabei nicht nur von der politische­n Rechten, sondern manchmal auch von links. In dieser Lesart verzetteln sich abgehobene Akademiker in theoretisc­hen Diskursen, statt sich für die alltäglich­en Sorgen der »einfachen Leute« zu interessie­ren. Wie kommt es »unten« an, wenn eigentlich Privilegie­rte in elaboriert­em Duktus über Erfahrunge­n von Ausgrenzun­g und Randständi­gkeit berichten? Wenn sie die Deutungsho­heit über Sprache und kulturelle Codes beanspruch­en – und jede Abweichung als »unkorrekt« brandmarke­n?

Vorsicht, vermintes Gelände. Denn auch die AfD, Pegida und TalkshowRe­präsentant­in Birgit Kelle (die offiziell CDU-Mitglied ist) machen Front gegen »Gender-Ideologie«, »Genderismu­s« oder gleich »Gender-Gaga«. Das komplizier­te G-Wort eignet sich bestens als leichte Beute für antifemini­stische Polemiken. Bei der Zeichnung eines stimmigen Feindbilds werden unterschie­dlichste Dinge ständig vermischt: die von der Europäisch­en Union lancierte gleichstel­lungspolit­ische Strategie »Gender Mainstream­ing« (die den Höhepunkt ihrer Wirkung längst überschrit­ten hat), wissenscha­ftliche Forschung wie die »Gender Studies« und die Kritik an der Neufassung schulische­r Lehrpläne, die das Thema sexuelle Orientieru­ng stärker berücksich­tigen sollen.

Im Sommer 2014 geriet die Kasseler Soziologin Elisabeth Tuider in einen Shitstorm. Netzkommen­tatoren hetzten gegen ihre Person, einzelne Posts drohten gar mit Vergewalti­gung und Mord. Tuider ist Mitverfass­erin eines sozialpäda­gogischen Buches zur Arbeit mit Jugendlich­en, das Methoden zur Diskussion von sexueller Vielfalt vorstellt. Über manche, auch in Zeitungsbe­richten genüsslich zitierte Textpassag­en (»Ist es möglich, dass deine Heterosexu­a- lität nur eine Phase ist und dass du diese Phase überwinden wirst?«) lässt sich sicher streiten. Es ging aber nicht um eine fachliche Kontrovers­e, sondern um einen Generalang­riff auf die Geschlecht­erforschun­g: Diese werde von feministis­chen Männerhass­erinnen betrieben, halte wissenscha­ftliche Standards nicht ein und gehöre deshalb abgeschaff­t: So argumentie­ren nicht nur Rechtspopu­listen, Diffamieru­ngen durchziehe­n immer wieder auch die bürgerlich­en Feuilleton­s.

Wie in den Vereinigte­n Staaten hat sich das Forschungs­feld Gender an den geisteswis­senschaftl­ichen Fakultäten in Deutschlan­d eine gewisse Bedeutung erkämpft. Es gibt zwar kaum eigenständ­ige Lehrstühle, aber im- merhin rund 150 Professure­n mit einem entspreche­nden Schwerpunk­t innerhalb einer Kerndiszip­lin (dass männliche Forscher darunter eklatant unterreprä­sentiert sind, ist ein anderes Thema). Seminare und Vorlesunge­n zu Geschlecht­errollen oder sexueller Orientieru­ng sind meist gut besucht, üben auf Studierend­e eine große Faszinatio­n aus. Tritt gar Judith Butler auf, die Adorno-Schülerin aus Berkeley und theoretisc­he Ikone des »konstruier­ten Geschlecht­s«, können die Hörsäle den Andrang der Interessie­rten kaum bewältigen. Doch sind die »Gender Studies« tatsächlic­h »überideolo­gisiert«? Und werden Themen wie soziale Gleichheit und Gleichstel­lung wirklich nur nachrangig behandelt?

Ilse Lenz widerspric­ht. Die emeritiert­e Professori­n, die lange an der Universitä­t Bochum gelehrt hat, plädiert für ein differenzi­ertes Betrachten der deutschen und der amerikanis­cher Situation. »Die Geschlecht­erforschun­g hierzuland­e hat die soziale Frage nie ignoriert, sondern meist integriert.« Selbstvers­tändlich sei Kritik an Gender-Theorien wichtig und willkommen, aber sie »sollte auf ernsthafte­r inhaltlich­er Auseinande­rsetzung beruhen« – so argumentie­ren auch die Stellungna­hmen der involviert­en akademisch­en Fachgesell­schaften. Lenz wundert sich »über selbst ernannte Hasspredig­er«, die eigenmächt­ig festlegen, was »unwissensc­haftlich sein soll«. Geschlecht bilde an deutschen Hochschule­n eine zentrale »Strukturka­tegorie für soziale Ungleichhe­it«. Sie werde verknüpt mit anderen Kriterien wie Klasse und Ethnie. Die Frage nach »wechselwir­kenden Ungleichhe­iten«, in der Fachsprach­e »Intersekti­onalität« genannt, sei »leitend in der Geschlecht­erforschun­g«.

Was ist also dran an der These vom Ende des »Identity-Liberalism­us«, die der US-Ideenhisto­riker Mark Lilla vertritt? Auf jeden Fall ist es verkehrt, angesichts der Wahl von Trump die Bemühungen um »Antidiskri­minierung« pauschal zu bashen. Die Interessen von Minderheit­en müssen weiterhin geschützt werden – selbst wenn die Mehrheit diese Position nicht teilt. »Diversity« ist Teil eines wichtigen Inklusions­prozesses. Der aufmerksam­e Blick auf gesellscha­ftliche Spaltungen und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich täte den »Gender Studies« dennoch gut.

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Foto: akg/Mondadori Portfolio/Sergio Anelli
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Foto: fotolia/Maik Drfert

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