Geschlechterforschung unter Druck
Sind die »Gender Studies« Ausdruck einer Überhöhung von Identitätspolitik – und damit leichte Beute für rechtspopulistische Polemik?
Sind die »Gender Studies« Ausdruck einer Überhöhung von Identitätspolitik – und damit leichte Beute für rechtspopulistische Polemik?
Gescholten werden die »Gender Studies« nicht nur von der politischen Rechen, sondern manchmal auch von den Linken.
Mark Lilla hat eine heftige Debatte unter US-Intellektuellen ausgelöst. Hillary Clinton und die Demokratische Partei, so schrieb der Professor für Ideengeschichte an der Columbia-Universität in der New York Times, seien wegen ihrer Fixierung auf das Thema »Diversity« gescheitert. Das ständige Ansprechen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung habe Wähler irritiert und Donald Trump den Weg geebnet. Lilla bescheinigt dem liberalen Milieu »eine Art moralische Hysterie in Identitätsfragen«. In einem Hollywood-Film müsse jede Raumschiffbesatzung »nach den Farben des Regenbogens besetzt werden«, genauso schräg sei- en »die Debatten über verletzte Gefühle in Universitätsseminaren«. Er »teile zwar die Grundsätze, aber nicht die Priorität, die diesen Fragen in der Öffentlichkeit eingeräumt wird«.
Der Sound der Platte klingt bekannt. Er erinnert an den Druck, der seit einigen Jahren auf die »Gender Studies« an deutschen Universitäten ausgeübt wird. Die Schelte kommt dabei nicht nur von der politischen Rechten, sondern manchmal auch von links. In dieser Lesart verzetteln sich abgehobene Akademiker in theoretischen Diskursen, statt sich für die alltäglichen Sorgen der »einfachen Leute« zu interessieren. Wie kommt es »unten« an, wenn eigentlich Privilegierte in elaboriertem Duktus über Erfahrungen von Ausgrenzung und Randständigkeit berichten? Wenn sie die Deutungshoheit über Sprache und kulturelle Codes beanspruchen – und jede Abweichung als »unkorrekt« brandmarken?
Vorsicht, vermintes Gelände. Denn auch die AfD, Pegida und TalkshowRepräsentantin Birgit Kelle (die offiziell CDU-Mitglied ist) machen Front gegen »Gender-Ideologie«, »Genderismus« oder gleich »Gender-Gaga«. Das komplizierte G-Wort eignet sich bestens als leichte Beute für antifeministische Polemiken. Bei der Zeichnung eines stimmigen Feindbilds werden unterschiedlichste Dinge ständig vermischt: die von der Europäischen Union lancierte gleichstellungspolitische Strategie »Gender Mainstreaming« (die den Höhepunkt ihrer Wirkung längst überschritten hat), wissenschaftliche Forschung wie die »Gender Studies« und die Kritik an der Neufassung schulischer Lehrpläne, die das Thema sexuelle Orientierung stärker berücksichtigen sollen.
Im Sommer 2014 geriet die Kasseler Soziologin Elisabeth Tuider in einen Shitstorm. Netzkommentatoren hetzten gegen ihre Person, einzelne Posts drohten gar mit Vergewaltigung und Mord. Tuider ist Mitverfasserin eines sozialpädagogischen Buches zur Arbeit mit Jugendlichen, das Methoden zur Diskussion von sexueller Vielfalt vorstellt. Über manche, auch in Zeitungsberichten genüsslich zitierte Textpassagen (»Ist es möglich, dass deine Heterosexua- lität nur eine Phase ist und dass du diese Phase überwinden wirst?«) lässt sich sicher streiten. Es ging aber nicht um eine fachliche Kontroverse, sondern um einen Generalangriff auf die Geschlechterforschung: Diese werde von feministischen Männerhasserinnen betrieben, halte wissenschaftliche Standards nicht ein und gehöre deshalb abgeschafft: So argumentieren nicht nur Rechtspopulisten, Diffamierungen durchziehen immer wieder auch die bürgerlichen Feuilletons.
Wie in den Vereinigten Staaten hat sich das Forschungsfeld Gender an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland eine gewisse Bedeutung erkämpft. Es gibt zwar kaum eigenständige Lehrstühle, aber im- merhin rund 150 Professuren mit einem entsprechenden Schwerpunkt innerhalb einer Kerndisziplin (dass männliche Forscher darunter eklatant unterrepräsentiert sind, ist ein anderes Thema). Seminare und Vorlesungen zu Geschlechterrollen oder sexueller Orientierung sind meist gut besucht, üben auf Studierende eine große Faszination aus. Tritt gar Judith Butler auf, die Adorno-Schülerin aus Berkeley und theoretische Ikone des »konstruierten Geschlechts«, können die Hörsäle den Andrang der Interessierten kaum bewältigen. Doch sind die »Gender Studies« tatsächlich »überideologisiert«? Und werden Themen wie soziale Gleichheit und Gleichstellung wirklich nur nachrangig behandelt?
Ilse Lenz widerspricht. Die emeritierte Professorin, die lange an der Universität Bochum gelehrt hat, plädiert für ein differenziertes Betrachten der deutschen und der amerikanischer Situation. »Die Geschlechterforschung hierzulande hat die soziale Frage nie ignoriert, sondern meist integriert.« Selbstverständlich sei Kritik an Gender-Theorien wichtig und willkommen, aber sie »sollte auf ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung beruhen« – so argumentieren auch die Stellungnahmen der involvierten akademischen Fachgesellschaften. Lenz wundert sich »über selbst ernannte Hassprediger«, die eigenmächtig festlegen, was »unwissenschaftlich sein soll«. Geschlecht bilde an deutschen Hochschulen eine zentrale »Strukturkategorie für soziale Ungleichheit«. Sie werde verknüpt mit anderen Kriterien wie Klasse und Ethnie. Die Frage nach »wechselwirkenden Ungleichheiten«, in der Fachsprache »Intersektionalität« genannt, sei »leitend in der Geschlechterforschung«.
Was ist also dran an der These vom Ende des »Identity-Liberalismus«, die der US-Ideenhistoriker Mark Lilla vertritt? Auf jeden Fall ist es verkehrt, angesichts der Wahl von Trump die Bemühungen um »Antidiskriminierung« pauschal zu bashen. Die Interessen von Minderheiten müssen weiterhin geschützt werden – selbst wenn die Mehrheit diese Position nicht teilt. »Diversity« ist Teil eines wichtigen Inklusionsprozesses. Der aufmerksame Blick auf gesellschaftliche Spaltungen und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich täte den »Gender Studies« dennoch gut.