Fesselnder Kompromiss
Die Große Koalition dringt auf eine Ausweitung der elektronischen Überwachung
Die Bundesregierung versucht mit zwei Gesetzentwürfen, die Schwelle für den Einsatz der elektronischen Fußfessel zu senken. Die Opposition zweifelt, ob eine solche Überwachung tatsächlich zu einer verbesserten Sicherheit führt. Eine Bedrohung ist real, die Gefährdungslage abstrakt hoch. Aussagen von Sicherheitsexperten über einen weiteren möglichen Terroranschlag in Deutschland ähneln sich seit langem. Fraglos steht die Sicherheitspolitik derzeit vor großen Herausforderungen. Ein für alle wahrnehmbar verbesserter Schutz vor möglichen Terroranschlägen würde deutlich mehr Polizei verlangen. Das zeigt schon die schlichte Rechnung, dass für die lückenlose Überwachung eines sogenannten Gefährders, dem ein Anschlag zugetraut wird, mehr als zwei Dutzend Beamte notwendig wären.
Ein Hochrüsten der Polizei steht derzeit aber nicht zur Diskussion. Nicht nur, weil es teuer wäre, sondern weil es stets gilt, das hohe Gut einer freien Gesellschaft mit notwendigen Sicherheitsmaßnahmen abzuwägen.
Folglich sucht die Bundesregierung das Heil in Kompromissen – etwa in Form einer elektronischen Beschattung. Im Bundestag fand am Freitag die erste Beratung für zwei von der Großen Koalition eingebrachte Gesetzentwürfe statt, mit denen der Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung ausgeweitet werden soll: Dem einen Entwurf zufolge sollen terroristische Gewalttäter nach der Haft mit einer Fußfessel überwacht werden. Der andere Entwurf sieht vor, die elektronische Überwachung auch bei sogenannten Gefährdern einzuführen, die noch nicht verurteilt wurden.
Die geplanten Gesetze ermöglichten es, Betroffenen das Betreten bestimmter Gebiete zu untersagen, er- läuterte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vor dem Plenum. Als mögliche Verbotszonen nannte er potenzielle Anschlagsziele wie Flughäfen, Bahnhöfe, Stadien oder Kraftwerke. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) räumte in der Debatte ein, die elektronische Aufenthaltsüberwachung sei sicherlich »kein Allheilmittel«. Aber, gab er zu bedenken, es sei besser, »zu wissen, wo sich ein Gefährder aufhält, als es nicht zu wissen«. Denn ein Untertauchen sei mit einer Fußfessel nicht mehr so einfach.
Zurzeit darf die elektronische Aufenthaltsüberwachung bei Personen eingesetzt werden, die mindestens eine dreijährige Gefängnisstrafe verbüßt haben und bei denen die Richter auch nach der Haft eine hohe Gefährdung für die Allgemeinheit ausgemacht haben. Vor allem bei entlassenen Sexualstraftätern und Gewalttätern wird eine solche Überwachung verhängt. Aktuell gibt es 89 Betroffene mit einer Fußfessel. Künf- tig rechnet das hessische Justizministerium, das für die zentrale Überwachung zuständig ist, mit rund doppelt so vielen Fällen.
Der Gesetzentwurf von Union und SPD sieht vor, für den Einsatz der Fußfessel die Haftzeit auf zwei Jahre zu verringern und bei weiteren vier Delikten anzuwenden: Erstens bei der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, zweitens bei Terrorismusfinanzierung, drittens bei der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder viertens beim Werben um Mitglieder einer terroristischen Vereinigung.
Für den zweiten Gesetzentwurf, dem Einsatz der Fußfessel bei sogenannten Gefährdern, wurde bereits Anfang Februar das BKA-Gesetz geändert. Es erlaubt dem Bundeskriminalamt fortan, Menschen per Peilsender überwachen zu lassen, von denen die »Gefahr einer terroristischen Straftat« ausgeht. Der Beschluss hatte eine Signalwirkung: Mehrere Bundesländer kündigten daraufhin an, ihre Polizeigesetze zu ändern, um das Gesetz anwenden zu können. De Maizière appellierte am Freitag noch einmal an die Länder, die rechtlichen Grundlagen für eine Überwachung von sogenannten Gefährdern in ihrem Zuständigkeitsbereich zu schaffen.
Ein Problem ist allerdings, dass es hierfür bislang noch keine einheitliche Definition gibt, wer zu dieser Personengruppen zählt. Es ist keineswegs ausgemacht, dass sich der Begriff »Gefährder« nur auf Islamisten bezieht. So schlug der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg im Bundestag vor, die Fußfessel auch bei potenziellen links- und rechtsextremistischen Tätern anzuwenden.
Grundlegende Bedenken gegenüber der Ausweitung der Fußfessel äußerte die Opposition. Hans-Christian Ströbele (Grüne) wies darauf hin, dass sie für »einen ganz anderen Tätertyp« eingeführt worden sei – nämlich für Sexualstraftäter. Für Extremisten sei die Überwachung ungeeignet. Da werde lediglich versucht, »eine trügerische Sicherheit zu schaffen«. Auch Ulla Jelpke (Linkspartei) sprach von einer Symbolpolitik. Auf reinen Verdacht hin werde in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen. Dabei hält sie die Wirkung für mehr als fraglich: »Glauben Sie denn tatsächlich im Ernst, Anis Amri hätte den Anschlag in Berlin unterlassen, wenn ihm ein Gericht verboten hätte, zum Weihnachtsmarkt zu gehen?«