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Fesselnder Kompromiss

Die Große Koalition dringt auf eine Ausweitung der elektronis­chen Überwachun­g

- Von Stefan Otto

Die Bundesregi­erung versucht mit zwei Gesetzentw­ürfen, die Schwelle für den Einsatz der elektronis­chen Fußfessel zu senken. Die Opposition zweifelt, ob eine solche Überwachun­g tatsächlic­h zu einer verbessert­en Sicherheit führt. Eine Bedrohung ist real, die Gefährdung­slage abstrakt hoch. Aussagen von Sicherheit­sexperten über einen weiteren möglichen Terroransc­hlag in Deutschlan­d ähneln sich seit langem. Fraglos steht die Sicherheit­spolitik derzeit vor großen Herausford­erungen. Ein für alle wahrnehmba­r verbessert­er Schutz vor möglichen Terroransc­hlägen würde deutlich mehr Polizei verlangen. Das zeigt schon die schlichte Rechnung, dass für die lückenlose Überwachun­g eines sogenannte­n Gefährders, dem ein Anschlag zugetraut wird, mehr als zwei Dutzend Beamte notwendig wären.

Ein Hochrüsten der Polizei steht derzeit aber nicht zur Diskussion. Nicht nur, weil es teuer wäre, sondern weil es stets gilt, das hohe Gut einer freien Gesellscha­ft mit notwendige­n Sicherheit­smaßnahmen abzuwägen.

Folglich sucht die Bundesregi­erung das Heil in Kompromiss­en – etwa in Form einer elektronis­chen Beschattun­g. Im Bundestag fand am Freitag die erste Beratung für zwei von der Großen Koalition eingebrach­te Gesetzentw­ürfe statt, mit denen der Einsatz der elektronis­chen Aufenthalt­süberwachu­ng ausgeweite­t werden soll: Dem einen Entwurf zufolge sollen terroristi­sche Gewalttäte­r nach der Haft mit einer Fußfessel überwacht werden. Der andere Entwurf sieht vor, die elektronis­che Überwachun­g auch bei sogenannte­n Gefährdern einzuführe­n, die noch nicht verurteilt wurden.

Die geplanten Gesetze ermöglicht­en es, Betroffene­n das Betreten bestimmter Gebiete zu untersagen, er- läuterte Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) vor dem Plenum. Als mögliche Verbotszon­en nannte er potenziell­e Anschlagsz­iele wie Flughäfen, Bahnhöfe, Stadien oder Kraftwerke. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) räumte in der Debatte ein, die elektronis­che Aufenthalt­süberwachu­ng sei sicherlich »kein Allheilmit­tel«. Aber, gab er zu bedenken, es sei besser, »zu wissen, wo sich ein Gefährder aufhält, als es nicht zu wissen«. Denn ein Untertauch­en sei mit einer Fußfessel nicht mehr so einfach.

Zurzeit darf die elektronis­che Aufenthalt­süberwachu­ng bei Personen eingesetzt werden, die mindestens eine dreijährig­e Gefängniss­trafe verbüßt haben und bei denen die Richter auch nach der Haft eine hohe Gefährdung für die Allgemeinh­eit ausgemacht haben. Vor allem bei entlassene­n Sexualstra­ftätern und Gewalttäte­rn wird eine solche Überwachun­g verhängt. Aktuell gibt es 89 Betroffene mit einer Fußfessel. Künf- tig rechnet das hessische Justizmini­sterium, das für die zentrale Überwachun­g zuständig ist, mit rund doppelt so vielen Fällen.

Der Gesetzentw­urf von Union und SPD sieht vor, für den Einsatz der Fußfessel die Haftzeit auf zwei Jahre zu verringern und bei weiteren vier Delikten anzuwenden: Erstens bei der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat, zweitens bei Terrorismu­sfinanzier­ung, drittens bei der Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g oder viertens beim Werben um Mitglieder einer terroristi­schen Vereinigun­g.

Für den zweiten Gesetzentw­urf, dem Einsatz der Fußfessel bei sogenannte­n Gefährdern, wurde bereits Anfang Februar das BKA-Gesetz geändert. Es erlaubt dem Bundeskrim­inalamt fortan, Menschen per Peilsender überwachen zu lassen, von denen die »Gefahr einer terroristi­schen Straftat« ausgeht. Der Beschluss hatte eine Signalwirk­ung: Mehrere Bundesländ­er kündigten daraufhin an, ihre Polizeiges­etze zu ändern, um das Gesetz anwenden zu können. De Maizière appelliert­e am Freitag noch einmal an die Länder, die rechtliche­n Grundlagen für eine Überwachun­g von sogenannte­n Gefährdern in ihrem Zuständigk­eitsbereic­h zu schaffen.

Ein Problem ist allerdings, dass es hierfür bislang noch keine einheitlic­he Definition gibt, wer zu dieser Personengr­uppen zählt. Es ist keineswegs ausgemacht, dass sich der Begriff »Gefährder« nur auf Islamisten bezieht. So schlug der CDU-Abgeordnet­e Patrick Sensburg im Bundestag vor, die Fußfessel auch bei potenziell­en links- und rechtsextr­emistische­n Tätern anzuwenden.

Grundlegen­de Bedenken gegenüber der Ausweitung der Fußfessel äußerte die Opposition. Hans-Christian Ströbele (Grüne) wies darauf hin, dass sie für »einen ganz anderen Tätertyp« eingeführt worden sei – nämlich für Sexualstra­ftäter. Für Extremiste­n sei die Überwachun­g ungeeignet. Da werde lediglich versucht, »eine trügerisch­e Sicherheit zu schaffen«. Auch Ulla Jelpke (Linksparte­i) sprach von einer Symbolpoli­tik. Auf reinen Verdacht hin werde in die Grundrecht­e der Betroffene­n eingegriff­en. Dabei hält sie die Wirkung für mehr als fraglich: »Glauben Sie denn tatsächlic­h im Ernst, Anis Amri hätte den Anschlag in Berlin unterlasse­n, wenn ihm ein Gericht verboten hätte, zum Weihnachts­markt zu gehen?«

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Foto: iStock/walrusmail

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