In der Kreide
Mara Liebal über neue Schuldenkrisen und die Vertiefung sozialer Ungleichheiten
Aktuell steuern wir im globalen Süden wieder auf eine Staaten-Überschuldungskrise zu. Inwiefern ähnelt die Situation der vor über 30 Jahren? Da im Moment in den reichen Ländern wegen der niedrigen Zinsen kaum Gewinne erzielt werden, können die Länder im globalen Süden heute – ähnlich wie in den 1980ern – verhältnismäßig einfach Kredite aufnehmen, was sie auch in großem Umfang tun. Wie damals droht die Überschuldungsfalle. Die Kredite in den 80er Jahren wurden allerdings in der Regel mit flexibler Verzinsung vergeben. Als der Zins dann stieg, wurde es für die Länder schwierig, Schulden zurückzuzahlen. Heute nehmen die Länder festverzinste Kredite am internationalen Kapitalmarkt auf. Sie sprechen von einer rechnerischen Überschuldung. Hat diese überhaupt soziale Auswirkungen? Spätestens wenn diese Kredite zurückgezahlt werden müssen, wird es problematisch. Sobald der Zins wieder steigt, wird es ungemein schwerer, Schulden durch neue Kredite zu refinanzieren. Erste Anzeichen gibt es jetzt schon. Diese sind? Als erstes der damals im Rahmen der Initiative für hoch verschuldete arme Länder entschuldeten Staaten ist nun Mosambik in die Zahlungsunfähigkeit geraten. Die im Januar fällige Rate auf die fragwürdige EMATUM-Anleihe (Empresa Mocambicana de Atum) konnte nicht gezahlt werden. Andere Länder wie Sambia und Ghana können durch die fallenden Rohstoffpreise in Schwierigkeiten geraten. Wie hängt die Überschuldung mit der Verteilungsgerechtigkeit in den betroffenen Ländern zusammen? Wenn ein überschuldeter Staat keine Kredite mehr aufnehmen kann und sparen muss, treffen diese Sparmaßnahmen vor allem die Ärmsten in der Bevölkerung. In der Regel heißt das Steuererhöhung, Schulgebühren oder Kürzungen in der Gesundheitsversorgung. Die alte weltweite Erlassjahr-Kampagne mündete 2000 in eine partielle Entschuldung dutzender Länder. War das für die Katz? Beim G8-Gipfel 1999 wurde ein Schuldenerlass für 39 der ärmsten, hoch verschuldeten Länder beschlossen – das hat den Ländern einen Neuanfang ermöglicht, aber es war eben nur ein einmaliger Erlass. Mittlerweile musste sogar der Internationale Währungsfonds einsehen, dass das nicht ausgereicht hat, um Schuldenkrisen ein für alle Mal zu lösen. Laut unseren Schätzungen waren 2016 insgesamt 108 Länder im globalen Süden kritisch verschuldet. Wo setzt Ihre Kampagne an? Die UN-Vollversammlung beschloss 2015 neun Prinzipien für ein solches Verfahren, die jedoch unverbindlich sind und damit weit hinter den Forderungen zurückbleiben. Die Kampagne Erlassjahr 2000 hatte damals schon die Einrichtung eines internationalen Staateninsolvenzverfahrens als Teil des internationalen Rechts gefordert. Für uns heißt das: Wir müssen weiter kämpfen. Wie sieht das Insolvenzverfahren aus, nach dem Sie rufen? Während eines solchen Insolvenzverfahrens sind Gesprächsrunden von Gläubigern und Schuldnern vorgesehen, ein unparteiischer Richter oder eine Richterin soll zwischen Schuldner- und Gläubigerseite vermitteln. Wichtig ist, dass in einem solchen Verfahren alle Schulden verhandelt werden. So kann verhindert werden, dass ein Gläubiger von den Zugeständnissen anderer Gläubiger profitiert. Ziel dabei ist, die Kreditwürdigkeit der Schuldnerländer wiederherzustellen. Mit Griechenland erleidet ein europäischer Staat Strukturanpassungsmaßnahmen, ähnlich denen der 80er Jahre. Erlassjahr.de kooperiert vor allem mit Entschuldungsnetzwerken in Ländern des globalen Südens, zurzeit besonders in Subsahara-Afrika und in der Karibik. Wie divers das Überschuldungsproblem ist, zeigen wir in unserer aktuellen Kampagne Debt20. Unter den 20 Stimmen aus kritisch verschuldeten Ländern sind daher auch Menschen aus Griechenland und Spanien. Mit Ghana, Mosambik und Sambia stecken dieselben Länder wieder in der Schuldenfalle. Folge einer ungerechten Marktordnung oder von Misswirtschaft der Regierungen? Durchaus kann Misswirtschaft eine Ursache sein. Im Falle Mosambiks gab es zum Beispiel Schulden, die vor den ausländischen Gläubigern versteckt wurden. Als diese Schulden dann entdeckt wurden, geriet das Land in die Krise. Allerdings muss man sehen, dass interne und externe Faktoren zu einer Schuldenkrise führen können. Können Gläubiger zur Verantwortung gezwungen werden? Wir denken, das ein gültiges internationale Insolvenzrecht bei den Gläubigern zu mehr Umsicht bei der Kreditvergabe führen wird. Wenn ein Gläubiger damit rechnen muss, dass er im Falle von Zahlungsschwierigkeiten auf seine Forderung verzichten muss, wird er anders handeln, als wenn er davon ausgehen kann, dass er unter allen Umständen sein Geld zurückbekommt. Es macht dann aus seiner Sicht auch einen Unterschied, ob mit einem Kredit eine Straße zum Hafen oder zum Präsidentenpalast gebaut wird. Welches Echo finden Ihre Forderungen bei der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer? Die reichen Länder haben den von den Entwicklungs- und Schwellenländern in der UN-Vollversammlung initiierten Prozess zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens bislang komplett boykottiert. Sie haben einfach keinen Vertreter zu den entsprechenden Verhandlungen geschickt. Die G20-Länder wollen die Schuldenfrage lieber bei den Treffen des Internationalen Währungsfonds behandeln, wo nur sie das Sagen haben. Immerhin aber hat China als G20-Mitglied das Thema Staatsverschuldung beim Treffen 2016 auf die Agenda gesetzt hat.