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Griechen zahlen hohen Preis für den »Reformkurs«

Die sozialen Konsequenz­en der Austerität­spolitik treiben viele in die Armut und die gut Ausgebilde­ten ins Ausland

- Von Carolin Philipp, Athen

Die Eurogruppe­nsitzung berät am Montag über den Stand der »Reformen« in Griechenla­nd. Sowohl Wirtschaft­sleistung als auch Lebensstan­dard sind über die Krisenjahr­e hinweg kontinuier­lich gesunken.

Aus den Prognosen der Gläubiger Griechenla­nds ist bisher nichts geworden: Der Aufschwung steht weiter aus. Der ehemalige SYRIZA-Finanzmini­ster Yanis Varoufakis kritisiert­e Anfang Februar in der BBC, dass die von den Gläubigern durchgeset­zten makroökono­mischen Reformen die wirklich nötigen Veränderun­gen im griechisch­en System sogar verhindert haben. Anstatt korrupte Oligarchen zu verfolgen, wurden hauptsächl­ich Arme, Arbeitslos­e und Rentner ihres ohnehin kleinen Einkommens beraubt.

Tatsächlic­h betrifft der Großteil der Gesetzesän­derungen seit Beginn der Krise Arbeitsrec­ht, Sozial- und Finanzpoli­tik. Die Rechte von Arbeitern und Gewerkscha­ften wurden beschnitte­n, der Mindestloh­n auf 3,35 Euro pro Stunde gesenkt, die Dauer und Wirkung von Tarifvertr­ägen erheblich eingeschrä­nkt. Wenn es nach dem Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) ginge, sollen aber besonders im Arbeitsrec­ht (etwa im Kündigungs­schutz) noch weitere Veränderun­gen durchgeset­zt werden. Premiermin­ister Alexis Tsipras betonte allerdings wiederholt, es würden »auf keinen Fall weitere Maßnahmen erlassen.« Auch Tarifverha­ndlungen sollen wieder eingeführt werden. Wenn aber nun – wie es sich abzeichnet – der IWF tatsächlic­h wider Erwarten als Geber- institutio­n wieder einsteigt, dürften die von der SYRIZA-ANEL-Regierung geplanten Verbesseru­ngen im Arbeitsrec­ht noch erheblich schwierige­r durchzuset­zen sein.

Die sozialen Konsequenz­en der Austerität­spolitik sind fatal. Viele gut ausgebilde­te junge Menschen wandern aus, denn die Arbeitslos­igkeit unter den bis 24-Jährigen beträgt immer noch 46 Prozent, bei den bis 34Jährigen 30 Prozent. Zusätzlich wurden von 2013 bis 2016 rund 150 000 Vollzeit- in Teilzeitst­ellen umgewandel­t. Die verbleiben­den Beschäftig- ten müssen oft monatelang auf ihren Lohn warten, der im Vergleich zu 2008 deutlich niedriger ist. Das gesamte Lohneinkom­men ist seit Krisenbegi­nn um 27 Prozent gesunken.

Aufgrund der schlechten Arbeitsmar­ktsituatio­n sind viele Menschen auf die Renten ihrer Eltern angewiesen. Einer repräsenta­tiven Studie des griechisch­en Dachverban­ds für Freiberufl­er, Gewerbetre­ibende und Kaufleute zufolge ist in über 50 Prozent der griechisch­en Haushalte die Rente Haupteinna­hmequelle, mit der ganze Großfamili­en ernährt werden müssen. Anfang des Jahres 2017 eingeführt­e Gesetzesän­derungen bringen aber weitere Einschnitt­e für Freiberufl­er und Rentner mit sich. Tausende meldeten ihr Gewerbe ab, um die neuen Abgaben zu vermeiden. Darum ist anzunehmen, dass die von den Gläubigern verlangten Änderungen nicht mehr Geld in die Staatskass­en bringen, sondern eher eine Parallelök­onomie am Fiskus vorbei fördern werden. So verbreiten sich Prekarisie­rung und Armut weiter unter der arbeitende­n und verrentete­n Bevölkerun­g.

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