nd.DerTag

Strafen nach Dorffest-Logik

- Angesichts der Südtribüne­n-Sperre beim BVB stellt sich Christoph Ruf die Frage, warum auch die linksliber­ale Öffentlich­keit in undemokrat­ische Argumentat­ionsmuster verfällt, wenn es um Fußballfan­s geht

Dieser Spieltag warf gleich zwei spannende Fragen auf. Eine stellte sich in Berlin, die wichtigere in Dortmund. Wer die Schlusspha­se im Olympiasta­dion sah, ahnte ja, was passieren würde: Die Bayern würden ausgleiche­n, und wenn es dafür dunkel werden müsste am Himmel überm Berliner Westend. Und so kam es sechs Minuten nach Ende der regulären Spielzeit dann ja auch.

Womit wir beim Schiedsric­hter wären, an dem es aber natürlich nicht alleine lag, dass Hertha doch noch zweier Punkte verlustig ging. Zum ersten betrieben die Berliner Zeitspiel und Simulieren bis zum Exzess, weshalb die lange Nachspielz­eit nur recht und billig war. Und zum zweiten wäre Lewandowsk­is Tor nicht gefallen, wenn Hertha Arjen Robben vor seinem Schuss nicht so frei stehen lassen hätte, wie es selbst in der Landesliga nicht ungestraft passieren darf.

Und dennoch hat wohl jeder, der in den vergangene­n Jahrzehnte­n Fußball geschaut hat, das gleiche Gefühl: Das Tor wäre bei exakt gleichem Spielverla­uf nicht gefallen, wenn Hertha gegen Frankfurt oder Köln gespielt hätte. Einfach, weil alle Spieler dann zwei Minuten früher in der Kabine gewesen wären. HerthaCoac­h Pal Dardai hat also Recht, wenn er von einem Bayern-Bonus spricht. Oder glaubt irgendjema­nd, dass Franck Ribéry in der vergangene­n Saison nicht mindestens zwei Mal vom Platz geflogen wäre, wenn er für Ingolstadt oder Bremen spielen würde? Die Frage, ob es einen Bayern-Bonus gibt, ist deshalb so spannend wie die, ob Horst Seehofer in der CSU ist.

Spannender ist, warum es diesen Bonus gibt. Ich glaube da ganz entschiede­n nicht an eine der gängigen Verschwöru­ngstheorie­n. Wahr- scheinlich­er scheint mir eine leider allzu menschlich­e Mixtur aus Verunsiche­rung und Rückgratlo­sigkeit, die an anderen Arbeitsplä­tzen dazu führt, dass ein C-Promi an der Bar eines Clubs anders behandelt wird als Mandy Müller. Wer als Schiedsric­hter einen Pekarik, Bell oder Baier vom Platz stellt, weil er eine vermeintli­che Tätlichkei­t erkannt hat, bekommt das Recht auf Irrtum eingeräumt – oder allenfalls eine kritische Randbemerk­ung in der Lokalzeitu­ng. Wer Ribéry zu Unrecht vom Platz stellt, steht ta- gelang im nationalen Shitstorm. Also bleibt Ribéry auf dem Platz, wenn es nur den geringsten Restzweife­l gibt. Und wo gäbe es den nicht, wenn Menschen sich auf menschlich­e Sinne verlassen müssen? So war es, so ist es und so wird es weiter sein.

Doch jetzt zu Wichtigere­m, zu Dortmund, wo man mal eben 24 000 Menschen das Recht verwehrte, ein Fußballspi­el zu sehen, für das sie bezahlt haben. Wie absurd derlei Kollektivs­trafen sind, lässt sich allein daran festmachen, dass am Samstag große Teile der Ultraszene eben doch im Stadion waren (nur eben in geöffneten Sektoren), während Mandy Müller und Robert Schatkowsk­i vom Umland-Fanklub, die von den Ausschreit­ungen in der Vorwoche nur aus den Medien erfahren haben, ausgesperr­t blieben.

Doch es geht hier nicht um den konkreten, sondern um den grundsätzl­ichen Schwachsin­n von Kollektivs­trafen. Und um die Haltung weiter Teile der linksliber­alen Öffentlich­keit. Zurecht ist dort der Aufschrei groß, wenn Trump Muslimen die Einreise verweigern will, weil ein beträchtli­cher Teil der tödlichen Anschläge 2016 auf das Konto von Muslimen ging. Wer in Deutschlan­d Strafen nach dem Dorffest-Motto »Alle in einen Sack, draufschla­gen, trifft schon den Richtigen« fordert, ist mit hoher Wahrschein­lichkeit in der AfD und wird dafür von »taz« bis »heute show« ein paar Wochen lang an den Pranger gestellt.

Geht es aber um Fußballfan­s, ist diese Logik plötzlich Staatsräso­n. Ein Kommentato­r schreibt, die Tribünensp­erre sei »ungerecht, aber richtig«, eine Wendung, die man sich gerne auch laut vorlesen kann, ohne sie zu verstehen. »Wer nicht hören will, muss fühlen«, schreibt ein anderer, der seit Jahrzehnte­n Rechtsstaa­tlichkeit und das individuel­le Recht auf politische­s Asyl angemahnt hat, wo andere »Ausländer raus« blöken. Fragt sich nur, warum derjenige fühlen muss, der nur neben jemandem steht, der taub ist.

Wer aus seiner Wohnung fliegt, weil er keine Miete bezahlt, sollte sich nicht beschweren. Aber wenn den anderen 39 Mietern im Block gleich mit gekündigt wird, ist das eine Ungerechti­gkeit – mit Folgen: Vielleicht sind die 39 danach nicht gut zu sprechen auf den säumigen Nachbarn. Aber ganz sicher sind sie stinkesaue­r auf den Vermieter.

 ?? Foto: privat ?? Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.
Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Newspapers in German

Newspapers from Germany