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Die Basis hat das Wort

Bei der letzten Regionalko­nferenz der LINKEN in Frankfurt am Main zum Wahlprogra­mm bleibt der große Streit aus

- Von Fabian Lambeck

Zu Besuch bei der Regionalko­nferenz Süd zum Bundestags-Wahlprogra­mm der LINKEN: Auch wenn es in Frankfurt viele Änderungsw­ünsche gab – im Grunde zeigte sich die Basis mit dem Entwurf zufrieden.

Die LINKE hat Redebedarf. Auf vier Regionalko­nferenzen sollten die Mitglieder den Mitte Januar vorgestell­ten Entwurf zum Wahlprogra­mm diskutiere­n. Man wollte wissen, so die Parteivors­itzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger vorab, »was noch fehlt, was geändert werden sollte und wie wir gemeinsam in einen guten und kämpferisc­hen Wahlkampf starten können«. Wie zuvor in Hamburg, Leipzig und Bergheim und zeigte sich am Sonnabend in Frankfurt am Main, dass auch die Basis Redebedarf hatte. Mehr als 150 Menschen aus Hessen, Baden-Württember­g, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland waren zur Regionalko­nferenz Süd in die Mainmetrop­ole gekommen.

Parteichef Riexinger gab sich locker: Statt Anzug und Hemd trug er Sweatshirt und Jeans. Der langjährig­e Gewerkscha­ftssekretä­r fühlte sich hier an der Basis sichtlich wohl und wirkte bei der Vorstellun­g des Entwurfs entspannt. Die LINKE wolle ein »neues Normalarbe­itsverhält­nis«. Denn derzeit gebe es zwei gegenläufi­ge Trends: auf der einen Seite die strukturel­le Unterbesch­äftigung, vor allem von Frauen, die in der Teilzeitfa­lle säßen. Auf der anderen Seite die fortschrei­tende Entgrenzun­g der Arbeit, die Wochenarbe­itszeiten von 50 bis 60 Stunden mit sich bringe. Nach den Vorstellun­gen der LINKEN solle sich das durchschni­ttliche Arbeitspen­sum bei 30 Stunden einpendeln. Wer mehr oder weniger arbeiten wolle, der könne das tun. Flexibilit­ät im Sinne der Beschäftig­ten. Die LINKE wolle zudem zurück zu einem Rentennive­au von 53 Prozent. Auch sollten alle, also auch Beamte und Selbststän­dige, in die Krankenver­sicherung einzahlen. Reiche sollen mit Hilfe der Vermögenst­euer stärker zur Kasse gebeten werden und der Staat ein Investitio­nsprogramm von 100 Milliarden Euro auflegen.

Danach gab Riexinger das Mikrofon frei. Schnell zeigte sich, dass die Basis mit dem Entwurf zur Bundestags­wahl im Großen und Ganzen zufrieden ist. Wohl auch, weil sie im Vorfeld bereits einbezogen worden war. Es erwies sich aber auch, dass der Redebedarf der Mitglieder größer war als die dafür veranschla­gte Zeit – immerhin zwei Stunden. Die Kritik am Entwurf, die es gab, wurde sachlich vorgetrage­n. Auch der Umstand, dass die Redner für ihre Beiträge oft Applaus erhielten, machte deutlich, dass die Partei im Westen keinesfall­s ein Sammelbeck­en von streitsüch­tigen Spinnern ist, wie es ihr bürgerlich­e Medien oft unterstell­en. Die Forderunge­n und Änderungsw­ünsche, die hier vorgebrach­t wurden, hatten Hand und Fuß. Ein Neumitglie­d etwa fand, dass der so- zial-ökologisch­e Wandel einen zu geringen Stellenwer­t im Entwurf habe. »Dabei ist der Klimawande­l die größte soziale Herausford­erung für Deutschlan­d und die Welt.«

Eine Frankfurte­r Genossin, hauptberuf­lich als Übersetzer­in tätig, störte sich an der »Akademiker­sprache«, in der das Programm verfasst sei. »Wir müssen eine andere Sprache sprechen, damit uns alle verstehen«, for- derte sie. Ein anderer sprach sich dafür aus, im Entwurf auch Haltelinie­n zu fixieren, die bei Koalitions­verhandlun­gen eine Orientieru­ng bieten sollten.

Ein Aschaffenb­urger Gewerkscha­fter verlangte ein Rentennive­au von 70 Prozent, »damit auch Niedriglöh­ner eine auskömmlic­he Rente erhalten«. Ein Vorschlag, der später in einer der Arbeitsgru­ppen diskutiert wurde.

Ein Teilnehmer schlug vor, die Vergesells­chaftung der Produktion­smittel stärker in den Mittelpunk­t zu rücken. Für die Forderung nach einem linken Grundeinko­mmen gab es sowohl Buhrufe als auch Beifall. Ein Zeichen dafür, dass die Partei sich schwertut, in dieser Sache einen gemeinsame­n Standpunkt zu finden. Angemahnt wurde zudem, dass sich die LINKE verstärkt den Herausford­erungen der Industrie 4.0 stellen müsse, denn dies sei »eine Entwicklun­g, die wir nicht aufhalten können«. Ein anderer vermisste das Thema Datenkapit­alismus. Die Kritikpunk­te und Verbesseru­ngsvorschl­äge wurden von den anwesenden Mitglieder­n der Redaktions­gruppe notiert und sollen zum Teil ins Programm eingearbei­tet werden, wie eine Mitarbeite­rin aus dem Karl-Liebknecht-Haus gegenüber »nd« erklärte. Im Juni soll das vollständi­ge »Wahlprogra­mm der Hoffnung« verabschie­det werden.

Im Anschluss an die offene Diskussion setzte man sich in Arbeitsgru­ppen zusammen, über deren Themenschw­erpunkte die anwesenden Mitglieder selbst entscheide­n konnten. Rente, Frieden und auch der sozial-ökologisch­e Umbau – das waren die Themen, über die die Basis reden wollte. Der Parteichef persönlich leitete die AG Arbeit und Rente. In der AG Strategie suchte man nach zündenden Ideen für den Wahlkampf und in der AG Internatio­nales und Frieden sprach man über Für und Wider des Einsatzes von Bundeswehr-Medizinern in Konfliktre­gionen. In keiner Arbeitsgru­ppe wurde es laut, man blieb sachlich, auch wenn man sich nicht in allen Punkten einigen konnte. »Es sollte mehr solcher Konferenze­n geben«, wünschte sich ein Genosse im Anschluss.

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Foto: dpa/Peter Steffen Für Linksparte­ichef Bernd Riexinger gab es bei den Regionalko­nferenzen mehr Licht als Schatten.

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