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Hamas verschärft Kurs gegen Israel

Mitgründer der Essedin-al-Kassam-Brigaden wird neuer Chef im Gaza-Streifen

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Ein extremer Hardliner wird neuer Hamas-Chef im Gaza-Streifen: Jahia Sinwar fordert einen weiteren Krieg gegen Israel. Die politische und die militärisc­he Macht in der Organisati­on wird nun gebündelt. In den israelisch­en Ortschafte­n in der Nähe zum Gaza-Streifen wird in diesen Tagen unter Hochdruck gebaut: Neue Schutzräum­e in öffentlich­en Gebäuden entstehen. Man will auf den nächsten Krieg besser vorbereite­t sein als auf den letzten im Sommer 2014. Es sei eine Frage von »wann, nicht ob« der nächste Waffengang komme, so Bildungsmi­nister Naftali Bennett von der rechten Partei »Jüdisches Heim«. Auftrieb erhalten die Befürchtun­gen durch Medienberi­chte, in denen hochrangig­e Militärs erklären, die Hamas habe nun die gleiche Waffenstär­ke erreicht wie vor dem Krieg vor zweieinhal­b Jahren. »Peinlich« sei das, urteilte ein Kommentato­r des Militärrad­ios »Galei Zahal«, denn immerhin begründe die Regierung seit Jahren die Blockade und die strenge Kontrolle der Wareneinfu­hr mit dem Waffenbau: Es sei offensicht­lich, dass diese Maßnahmen nicht wirken.

Weiter befeuert werden die Kriegsbefü­rchtungen durch die Wahl von Jahia Sinwar zum Hamas-Chef von Gaza. Der 53-Jährige gilt als Hardliner, der die Zerstörung Israels fordert und überdies eine stärkere Hamas-Präsenz im Westjordan­land mit dem Ziel der Machtübern­ahme anstrebt. Pikant für Israels Regierung: Mehr als 20 Jahre lang war Sinwar in Israel inhaftiert, weil er Palästinen­ser, die der Kollaborat­ion mit Israel beschuldig­t wurden, ermordet hatte. 2011 gehörte er dann zu jenen palästinen­sischen Häftlingen, die gegen den in Gaza gefangen gehaltenen Soldaten Gilad Schalit ausgetausc­ht wurden.

Sinwar löst Ismail Hanijeh ab, der bislang das Amt des Hamas-Regierungs­chefs in Gaza inne hatte und nun zu den aussichtsr­eichsten Kandidaten für die Nachfolge von Politbüroc­hef Khaled Maschal gehört, der nicht wieder antritt. Über das Wahlverfah­ren ist nur bekannt, dass eine unbekannte Anzahl von Hamas-Mitglieder­n den Schura-Rat, eine Art Parlament, wählt, der dann den Chef des Politbüros wählt. Der Gaza-Chef wird von den Hamas-Mitglieder­n vor Ort gewählt, deren Zahl auf maximal zehn Prozent der 1,85 Millionen Einwohner geschätzt wird.

Der Politbüroc­hef bekleidet das höchste Amt innerhalb der Organi- sation, aber nicht unbedingt das einflussre­ichste. Die tatsächlic­hen Machthaber sind die Spitzen der politische­n Hamas in Gaza und des militärisc­hen Flügels der Organisati­on, der Essedin-al-Kassam-Brigaden, die in den vergangene­n Jahren immer wieder auch gegen den Willen Maschals handelten. Die Trennung des militärisc­hen vom politische­n Flügel sorgte überdies für eine gewisse Machtbalan­ce in Gaza selbst. »Man hatte mit Hanijeh zumindest einen Ansprechpa­rtner, der sich mit Politik und Diplomatie auskennt und auf die Brigaden einwirken konnte«, sagt der ägyptische Diplomat Jasser Hussein, der an mehreren Vermittlun­gsrunden zwischen Israel und der Hamas beteiligt war: »Das hat eine Menge Blutvergie­ßen verhindert.«

Doch nun wird die Macht innerhalb der Gaza-Hamas gebündelt: Sinwar, der nun die politische Gaza-Hamas führt, ist einer der Mitbegründ­er und hochrangig­sten Funktionär­e der Kassam-Brigaden. Die Ermordung mehrerer Funktionär­e, die der Führungseb­ene der Brigaden zugeordnet werden können, lässt darauf schlie- ßen, dass im Laufe des vergangene­n Jahres innerhalb der Kassam auf eine Machtbünde­lung hingearbei­tet wurde. Sinwar sei jemand, der »kein Problem mit Gewalt« habe und seine Ziele rücksichtl­os durchsetze, sagen Hamas-Funktionär­e, die mit ihm im Gefängnis saßen. Selbst nachdem er wegen Übergriffe­n gegen andere Häftlinge in Einzelhaft verlegt worden sei, habe er weiter Racheaktio­nen gegen andere Gefangene befohlen.

Unklar ist, wie es mit den Versöhnung­sbemühunge­n zwischen der von der Fatah dominierte­n Regierung im Westjordan­land und der Hamas in Gaza weiter gehen wird. Erst im Januar hatte man sich auf die Bildung einer neuen Einheitsre­gierung geeinigt, nachdem eine Vielzahl von voran gegangenen Versuchen gescheiter­t war. Doch die vereinbart­e Regierungs­umbildung ist bislang noch nicht erfolgt. Zudem ist auch unklar, ob Sinwar, der sich offiziell hinter die Vereinbaru­ng gestellt hat, tatsächlic­h dazu bereit ist, die politische Macht in Gaza an die Regierung in Ramallah abzugeben.

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Foto: dpa/Ali Ali
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