Hamas verschärft Kurs gegen Israel
Mitgründer der Essedin-al-Kassam-Brigaden wird neuer Chef im Gaza-Streifen
Ein extremer Hardliner wird neuer Hamas-Chef im Gaza-Streifen: Jahia Sinwar fordert einen weiteren Krieg gegen Israel. Die politische und die militärische Macht in der Organisation wird nun gebündelt. In den israelischen Ortschaften in der Nähe zum Gaza-Streifen wird in diesen Tagen unter Hochdruck gebaut: Neue Schutzräume in öffentlichen Gebäuden entstehen. Man will auf den nächsten Krieg besser vorbereitet sein als auf den letzten im Sommer 2014. Es sei eine Frage von »wann, nicht ob« der nächste Waffengang komme, so Bildungsminister Naftali Bennett von der rechten Partei »Jüdisches Heim«. Auftrieb erhalten die Befürchtungen durch Medienberichte, in denen hochrangige Militärs erklären, die Hamas habe nun die gleiche Waffenstärke erreicht wie vor dem Krieg vor zweieinhalb Jahren. »Peinlich« sei das, urteilte ein Kommentator des Militärradios »Galei Zahal«, denn immerhin begründe die Regierung seit Jahren die Blockade und die strenge Kontrolle der Wareneinfuhr mit dem Waffenbau: Es sei offensichtlich, dass diese Maßnahmen nicht wirken.
Weiter befeuert werden die Kriegsbefürchtungen durch die Wahl von Jahia Sinwar zum Hamas-Chef von Gaza. Der 53-Jährige gilt als Hardliner, der die Zerstörung Israels fordert und überdies eine stärkere Hamas-Präsenz im Westjordanland mit dem Ziel der Machtübernahme anstrebt. Pikant für Israels Regierung: Mehr als 20 Jahre lang war Sinwar in Israel inhaftiert, weil er Palästinenser, die der Kollaboration mit Israel beschuldigt wurden, ermordet hatte. 2011 gehörte er dann zu jenen palästinensischen Häftlingen, die gegen den in Gaza gefangen gehaltenen Soldaten Gilad Schalit ausgetauscht wurden.
Sinwar löst Ismail Hanijeh ab, der bislang das Amt des Hamas-Regierungschefs in Gaza inne hatte und nun zu den aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Politbürochef Khaled Maschal gehört, der nicht wieder antritt. Über das Wahlverfahren ist nur bekannt, dass eine unbekannte Anzahl von Hamas-Mitgliedern den Schura-Rat, eine Art Parlament, wählt, der dann den Chef des Politbüros wählt. Der Gaza-Chef wird von den Hamas-Mitgliedern vor Ort gewählt, deren Zahl auf maximal zehn Prozent der 1,85 Millionen Einwohner geschätzt wird.
Der Politbürochef bekleidet das höchste Amt innerhalb der Organi- sation, aber nicht unbedingt das einflussreichste. Die tatsächlichen Machthaber sind die Spitzen der politischen Hamas in Gaza und des militärischen Flügels der Organisation, der Essedin-al-Kassam-Brigaden, die in den vergangenen Jahren immer wieder auch gegen den Willen Maschals handelten. Die Trennung des militärischen vom politischen Flügel sorgte überdies für eine gewisse Machtbalance in Gaza selbst. »Man hatte mit Hanijeh zumindest einen Ansprechpartner, der sich mit Politik und Diplomatie auskennt und auf die Brigaden einwirken konnte«, sagt der ägyptische Diplomat Jasser Hussein, der an mehreren Vermittlungsrunden zwischen Israel und der Hamas beteiligt war: »Das hat eine Menge Blutvergießen verhindert.«
Doch nun wird die Macht innerhalb der Gaza-Hamas gebündelt: Sinwar, der nun die politische Gaza-Hamas führt, ist einer der Mitbegründer und hochrangigsten Funktionäre der Kassam-Brigaden. Die Ermordung mehrerer Funktionäre, die der Führungsebene der Brigaden zugeordnet werden können, lässt darauf schlie- ßen, dass im Laufe des vergangenen Jahres innerhalb der Kassam auf eine Machtbündelung hingearbeitet wurde. Sinwar sei jemand, der »kein Problem mit Gewalt« habe und seine Ziele rücksichtlos durchsetze, sagen Hamas-Funktionäre, die mit ihm im Gefängnis saßen. Selbst nachdem er wegen Übergriffen gegen andere Häftlinge in Einzelhaft verlegt worden sei, habe er weiter Racheaktionen gegen andere Gefangene befohlen.
Unklar ist, wie es mit den Versöhnungsbemühungen zwischen der von der Fatah dominierten Regierung im Westjordanland und der Hamas in Gaza weiter gehen wird. Erst im Januar hatte man sich auf die Bildung einer neuen Einheitsregierung geeinigt, nachdem eine Vielzahl von voran gegangenen Versuchen gescheitert war. Doch die vereinbarte Regierungsumbildung ist bislang noch nicht erfolgt. Zudem ist auch unklar, ob Sinwar, der sich offiziell hinter die Vereinbarung gestellt hat, tatsächlich dazu bereit ist, die politische Macht in Gaza an die Regierung in Ramallah abzugeben.