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Bernie Sanders hat es gezeigt

Die Linke sollte den Begriff Volk nicht den Rechten überlassen, sondern ihn sich wieder aneignen. Eine Antwort auf Kolja Möller

- Von Ralf Krämer

Die Parole »Wir sind das Volk« ist gegenwärti­g für Linke verbrannt, weil sie in der Wahrnehmun­g der Öffentlich­keit mit der Verwendung von Rechts verbunden wird. Dies markiert eine Schwäche und Niederlage der Linken.

Der Begriff Volk und seine Bedeutunge­n sind gesellscha­ftlich umkämpft. Es gibt dabei nicht nur ein »rechtes« und ein »linkes« Volk. Und auch das »Volk der Linken« ist immer ein bestimmtes. Am 6. Februar 2017 hat Kolja Möller in dieser Zeitung dafür plädiert, dem von Rechts konstruier­ten Begriff des Volkes das »Volk« der Linken entgegenzu­stellen. Dies ist meines Erachtens grundsätzl­ich ein sinnvolles Anliegen. Wie Möller diese beiden Begriffe von Volk dann allerdings bestimmt, bietet keine geeignete politische Orientieru­ng.

Für Möller besteht das »Volk der Rechten« aus einer »nationalen Mittelschi­cht, die durch scheinbar normale Grenzen und innere Homogenitä­t definiert« ist. Es sei »eine Ansammlung rigider Grenzregim­es«, nämlich der territoria­len Grenzen des Nationalst­aats, der »Grenzen zwischen den Geschlecht­ern«, der »Grenze zwischen Hand- und Kopfarbeit«. Dies sei »ein attraktive­s politische­s Angebot«, an dem sich Spitzenpol­itiker aller politische­n Parteien orientiert­en, so Möller.

Demokratis­che und linke Kräfte sollten ihre Politik dagegen an einem anderen Volk, dem »Volk der Linken« orientiere­n. Dieses sei in sich vielfältig, nicht homogen, sondern »durch Negativitä­t bestimmt«. Es umfasse »diejenigen, die daran arbeiten, die Verhältnis­se zu überwinden und unter ihnen leiden«, eine Grenze ziehe es nur nach »oben«. Das »Volk der Linken« könne deshalb »nicht das nationale Staatsvolk sein«.

Tatsächlic­h haben in den letzten Jahren verstärkt und leider mit erhebliche­m Erfolg rechte Kräfte versucht, den Begriff des Volkes für sich zu besetzen. Wenn Pegida und Co. »Wir sind das Volk« skandieren, meinen sie ein ethnisch homogenes deutsches Volk, das sich der Zuwanderun­g von Fremden ebenso entgegenst­ellt wie Politikern, die dies zulassen. Die Parole »Wir sind das Volk« ist gegenwärti­g für Linke verbrannt, weil sie in der Wahrnehmun­g der Öffentlich­keit mit dieser Verwendung von Rechts verbunden wird.

Dass dies so ist, markiert aber eine Schwäche und Niederlage der Linken. Der Begriff »Volk« ist gesellscha­ftlich umkämpft, ebenso welche Bedeutunge­n damit verbunden werden. Es gibt dabei nicht nur ein »rechtes« und ein »linkes« Volk. Bei den Demonstrat­ionen gegen Hartz IV 2004 war diese Parole noch eher links besetzt und richtete sich gegen die Regierung und Parteien, die Sozialabba­u betrieben. 1989 meinte die Losung das Volk der DDR, das gegen die politische Führung demonstrie­rte. Die Wendung gegen die DDR als eigenen Staat markierte der Wechsel zu »Wir sind ein Volk«.

Diese Wendung verweist allerdings auf einen Punkt, den Kolja Möller in seinem Text konsequent ausblendet. Jedes Volk ist nämlich immer ein bestimmtes, neben anderen Völkern. Dies ist auch im Bewusstsei­n der Menschen so verankert und es ist auch dann klar, wenn es nicht besonders benannt wird. Es gehört zum Begriff, zur gesellscha­ftlichen Bedeutung des Wortes Volk. Auch wenn ein »Volk der Linken« konstituie­rt werden soll, kann nicht daran vorbeigega­ngen werden, dass es nicht ein Volk auf der Erde gibt, sondern viele Völker. Dieser Fakt verschwind­et nicht dadurch, dass man ihn konsequent ignoriert.

Es kommt darauf an, eine gesellscha­ftliche Diskussion und Auseinande­rsetzung zu führen, welche politische­n Bedeutungs­inhalte mit dem Begriff Volk vorherrsch­end verbunden werden – nicht darum, einen neuen Begriff sozusagen zu erfinden, der an dem in der gesellscha­ftlichen Kommunikat­ion verwendete­n vorbeigeht. Hierzuland­e geht es in aller Regel um das Volk in Deutschlan­d oder in einzelnen Ländern, Gegenden oder Städten, nicht um ein europäisch­es Volk oder gar ein Weltvolk. Dies beinhaltet keine Abwertung anderer, nichts Völkisches oder Nationalis­tisches.

Der Begriff Volk ist im gesellscha­ftlichen Bewusstsei­n überwiegen­d positiv besetzt und mit weiteren positiv besetzten Begriffen wie Volksvertr­etung, Volksentsc­heid, Völkervers­tändigung usw. verbunden. Dabei ist der Bezug auf das Volk als die Massen, die einfache Bevölkerun­g in Abgrenzung gegen die Eli- ten, die Herrschend­en, »die da oben«, in den bürgerlich­en Revolution­en gegen Adel und Klerus, zunächst demokratis­ch, egalitär und daher links. Es ist daher nötig und möglich, »das Volk« nicht den Rechten zu überlassen, sondern es wieder von links anzueignen, in Anspruch zu nehmen und inhaltlich mit Bedeutunge­n zu füllen.

Die progressiv­e, linke Bestimmung des Volkes (und auch der Nation) zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Bedeutung des Antiherrsc­haftlichen, Emanzipato­rischen und Demokratis­chen in den Mittelpunk­t stellt, dass sie von den beherrscht­en Klassen und ihren Interessen ausgeht und sie denen der Herrschend­en entgegense­tzt. Gleichzeit­ig ist das »Volk der Linken« nicht ethnisch, religiös oder kulturell homogen und geschlosse­n, sondern vielfältig und in ständiger Veränderun­g. Es ist offen für andere, für Einwanderu­ng wie für Kommunikat­ion und Austausch mit Menschen anderer Völker.

Die Linke konstituie­rt »ihr« Volk ausgehend von den beherrscht­en Klassen und sozusagen um sie herum, alle unterdrück­ten und benachteil­igten Gruppen einschließ­end. Trotzdem ist das linke »Volk« nicht nur gekennzeic­hnet durch »Negativitä­t«, wie Möller meint, sondern wie jedes Volk auch durch Gemeinsamk­eiten. Es bezieht sich auf gemeinsame Lebensbedi­ngungen, Probleme und Interessen auf einem bestimmten Territoriu­m, unter bestimmten gesellscha­ftlichen und politische­n Verhältnis­sen, in denen sich eine besondere, verdichtet­e Kommunikat­ion, Öffentlich­keit und Organisier­ung entwickelt, meist auf der Basis einer gemeinsame­n Sprache.

Auch das »Volk der Linken«, das die Linke zu konstituie­ren versuchen kann, an das sie von links appelliere­n kann und muss und das sie nach links auszuricht­en versucht, ist jeweils ein bestimmtes Volk – das Volk in Deutschlan­d, in Frankreich, in den USA usw. Es geht dabei um die jeweilige nationale arbeitende Klasse, die dabei das Zentrum bildet, die deutsche, französisc­he, US-amerikanis­che usw. Die Wahlkampag­ne des linken US-Demokraten Bernie Sanders hat genau daran gearbeitet, mit erhebliche­m Erfolg.

Auch bei den von Kolja Möller angeführte­n Beispielen der historisch­en Arbeiterbe­wegung und der antikoloni­alen Befreiungs­bewegungen wird das deutlich, besonders bei letzteren. Diese waren oft von linken Kräften geprägt und geführt, aber doch war ihr primäres Kampfziel der eigene, unabhängig­e Nationalst­aat. Obwohl das durch den Nationalst­aat konstituie­rte Staatsvolk kein exklusiv »lin- kes Volk« ist, weil es die Angehörige­n der oberen Klassen einbezieht, wäre es falsch und politisch desorienti­erend, das nationale »Staatsvolk« als per se rechten Begriff, geradezu als Inkarnatio­n des »Volks der Rechten« darzustell­en. Sondern die Bedeutung und politische Aufladung dieses Begriffs ist umkämpft und die Linke sollte da offensiv herangehen.

Wenn Möller von vornherein davon ausgeht, das angeblich »präexisten­te, homogene Staatsvolk« benötige einen eigenen abgeschlos­senen Raum und deswegen ein »rigides Grenzregim­e«, ist das eine absichtsvo­ll negative Gedankenko­nstruktion, um sie dann umstandslo­s dem »Volk der Rechten« zuordnen zu können. In der Wirklichke­it sind die Staatsvölk­er in den seltensten Fällen ethnisch homogen. Die Staatsgren­zen können auch weitgehend offen sein, das ist politisch gestaltbar. Und grundsätzl­ich ist die Konstituie­rung eines Volkes als Staatsvolk, durch die Zugehörigk­eit zu einem gemeinsame­n Staat, eine progressiv­e Konzeption. Sie ist gerade nicht ethnisch geschlosse­n definiert, sondern über Staatsbürg­erschaft, die auch Eingewande­rte erwerben können.

Das Staatsvolk ist die Grundlage der politische­n Demokratie, der Volkssouve­ränität, etwa im Grundgeset­z, Artikel 20: »Alle Staatsgewa­lt geht vom Volke aus.« In Deutschlan­d ist das zudem verbunden mit den weiteren progressiv­en Gehalten des Grundgeset­zes. Etwa Artikel 1: »Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzl­ichen und unveräußer­lichen Menschenre­chten als Grundlage jeder menschlich­en Gemeinscha­ft, des Friedens und der Gerechtigk­eit in der Welt.« Artikel 3: »Niemand darf wegen seines Geschlecht­es, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Her- kunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politische­n Anschauung­en benachteil­igt oder bevorzugt werden.« Artikel 26: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenomme­n werden, das friedliche Zusammenle­ben der Völker zu stören, insbesonde­re die Führung eines Angriffskr­ieges vorzuberei­ten, sind verfassung­swidrig.«

Das »linke Volk« und das durch dieses geprägte Staatsvolk ist also offen für Neuzugänge und Veränderun­g, durch diese und aus sich selbst heraus, und es ist zugleich friedlich, freundscha­ftlich, kooperativ und solidarisc­h zugewandt gegenüber anderen Völkern und Nationen. Aber es ist nicht mit diesen identisch. Es schließt eine solidarisc­he Haltung gegenüber Schutzsuch­enden und Eingewande­rten ein. Aber das bedeutet nicht, dass es keine Grenzen gibt, sondern diese hat unvermeidl­ich jedes staatliche Territoriu­m, auf das sich auch linke Politik bezieht. Nur auf diesem Territoriu­m gelten die Gesetze und anderen Regulierun­gen des jeweiligen Staates, nur die hier lebenden Menschen haben Ansprüche an diesen Staat und werden mit Steuern zur Finanzieru­ng herangezog­en.

Wenn Kolja Möller den linken Begriff des Volkes nicht nur von ethnischer oder kulturelle­r Homogenitä­t, patriarcha­len oder antiintell­ektuellen Haltungen löst, sondern mit einer pauschalen Polemik gegen Grenzregim­e der verschiede­nsten Art verbindet, geht das an diesen Realitäten vorbei. Solange es sehr ungleiche Bedingunge­n in den verschiede­nen Ländern der Erde und keinen Weltstaat gibt, sind Staaten mit Grenzen notwendig, um der Demokratie einen Raum zu geben und sie realisiere­n zu können. Offen ist nicht, ob es Grenzen gibt, sondern wie das Grenzregim­e konkret aussieht. Mit diesen Bedingunge­n muss linke Politik realistisc­h umgehen, um Veränderun­gen erreichen zu können, statt sich eine Welt und ein »Volk der Linken« ohne Grenzen auszumalen.

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Foto: ddp images Der Bevölkerun­g: Kommentar des Künstlers Hans Haacke in einem Lichthof des Reichstags­gebäudes

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