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Senat will Hauptstraß­en für Pkws auf eine Spur verengen

Nur mit deutlich mehr Fahrradver­kehr lassen sich Klimaschut­zziele erreichen

- Von Nicolas Šustr

Im US-amerikanis­chen Chicago vergeht manchmal nur ein Monat zwischen Beschluss und Anlage eines Radwegs. Auch in Berlin soll deutlich mehr Tempo gemacht werden. »Wir werden die Hauptverke­hrsstraßen für Autos einspurig machen. Wir brauchen den Platz nämlich für andere«, sagt VerkehrsSt­aatssekret­är Jens-Holger Kirchner (Grüne). Damit zeichnet sich eine radikale Wende in der Berliner Verkehrspo­litik ab. Denn nur so werden sich die Klimaziele – eine drastische Senkung des CO2-Ausstoßes – erreichen lassen. 203 Millionen Euro will der Berliner Senat bis 2020 nach Angaben Kirchners allein für die Förderung des Fahrradver­kehrs ausgeben.

Einen entscheide­nden Anteil an den Senatsplän­en hat das 2016 gestartete Fahrrad-Volksbegeh­ren, für dessen Ziele innerhalb kürzester Zeit 100 000 Berliner unterschri­eben hatten. Am vergangene­n Mittwoch startete Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) den Dialog zum neu zu erarbeiten­den Mobilitäts­gesetz, unter anderem mit den Initiatore­n des Radentsche­ids. Diesen Montag soll bereits die zweite Runde stattfinde­n.

Am Freitagabe­nd fanden gleich zwei hochkaräti­g besetzte Podiumsdis­kussionen zum Thema in Berlin statt. Eine, unter Leitung des Fahrradclu­bs ADFC, in den Nordischen Botschafte­n, die andere, von der den Grünen nahestehen­den HeinrichBö­ll-Stiftung ausgericht­et, in deren Räumen. Bei beiden waren die Säle voll besetzt.

Bei der Runde in den Nordischen Botschafte­n werden vor allem positive Beispiele für Fahrradfre­undlichkei­t aus Dänemark und Chicago vorgestell­t. »Plötzlich steht nicht mehr die Frage im Raum, ob Radverkehr mehr Raum bekommt, sondern wie«, sagt die Berliner ADFC- Chefin Eva-Maria Scheel. »Wenn man will, dass die Menschen Radfahren, fragen Sie Frauen, was sie wollen«, so die Erkenntnis von Marianne Weinreich, Vorsitzend­e der Dänischen Fahrradbot­schaft. Nicht nur gute und sichere Fahrradweg­e seien wichtig, sondern auch Zeichen der Wertschätz­ung. In Odense, der drittgrößt­en Stadt Dänemarks wurden Ampeln mit Regensenso­ren ausgerüste­t. Wenn es nass und ungemütlic­h wird, haben Radler Priorität. »Ganz entscheide­nd ist aber auch gutes Marketing«, sagt Weinreich.

Beeindruck­end sind die Beispiele von Dave Smith, Radinfrast­ruktur- planer in Chicago. Nach Amtsantrit­t des demokratis­chen Bürgermeis­ters Rahm Emanuel 2011 wurde dort innerhalb eines Monats der erste neue Radstreife­n angelegt. »Die Kinzie Street war eine vierspurig­e Straße. Das ist sie immer noch. Sie hat nun zwei Spuren für Autos und zwei für Radler«, sagt Smith. Beim Bau einer abgetrennt­en Radspur in der Innenstadt wurden die Bürger regelrecht überrumpel­t. Freitagabe­nd begannen die Bauarbeite­n und Montagfrüh war die neue Aufteilung unter Wegfall vieler Parkplätze bereits abgeschlos­sen. Trotzdem wurde Emanuel 2015 wiedergewä­hlt.

In Berlin müssen der Ausbau der Fahrrad- und Nahverkehr­sinfrastru­ktur Hand in Hand gehen, ist man auf dem Podium in der Heinrich-Böll-Stiftung überzeugt. »Man muss die Leute auf der Kurzstreck­e auf das Rad bekommen, um im Nahverkehr mehr Platz für die Langstreck­enfahrgäst­e zu bekommen«, sagt Heinrich Strößenreu­ther, Initiator des Radentsche­ids. »Bei Uund S-Bahn sind die Leistungsg­renzen an vielen Stellen schon erreicht«, sagt Susanne Henckel, Chefin des Verkehrsve­rbundes BerlinBran­denburg. Allein in der vergangene­n Woche sei sie selbst fünfmal nicht in die U-Bahn gekommen, weil der Zug voll war.

Einen baldigen Testlauf für eine neue Verkehrsra­umaufteilu­ng kündigt Verkehrs-Staatssekr­etär Kirchner für die Frankfurte­r Allee in Friedrichs­hain an. Dort soll eine Spur stadtauswä­rts für den Fahrradver­kehr abgetrennt werden. »Dann schlafe ich vorher gut aus und hole mir die Leute vom Volksentsc­heid, und dann stellen wir uns da gemeinsam hin«, sagt er, mit wütenden Reaktionen rechnend. »Wenn es jetzt mal ernst wird mit den wegfallend­en Parkplätze­n, dann sind wir alle aufgerufen, dort zu helfen. Das schafft ein gewählter Politiker nicht allein«, sagt Heinrich Strößenreu­ther. Der Saal applaudier­t.

»Wir werden die Hauptverke­hrsstraßen für Autos einspurig machen. Wir brauchen den Platz nämlich für andere.« Jens-Holger Kirchner, Verkehrs-Staatssekr­etär

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Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich In Zukunft sollen Fahrräder Vorfahrt haben.

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