Monarchie und Alltag
Ligakönig FC Bayern löst beim 1:1 gegen Hertha BSC vielfältige Emotionen aus
Nach ihrem Gala-Auftritt in der Champions League zeigen die Münchner wieder ihr schwaches Ligagesicht. Für ein umstrittenes Remis reicht es dennoch in Berlin. Carlo Ancelotti hat nun wirklich schon viel erlebt in seiner langen Karriere. Unzählige Titel hat der 57-jährige Trainer gewonnen, darunter drei Siege in der Champions League und Meisterschaften in drei verschiedenen Ländern. Aber diesen 18. Februar 2017 wolle er sich im Kalender markieren, sagte der Italiener. Sein erster Ausflug nach Berlin hat ihn nachhaltig beeindruckt.
Kurz vor dem Abpfiff war Ancelotti überglücklich auf den Rasen gestürmt. Das Erstaunliche daran erklärte sein Torwart: »Es ist schon ungewöhnlich, wenn man sich mit dem FC Bayern hier über einen Punktgewinn so freut, als hätte man gewonnen«, sagte Manuel Neuer. Mit der letzten Aktion des Spiels hatte Robert Lewandowski das 1:1 gegen Hertha BSC erzielt.
Herthas Vladimir Darida suchte mit einigen Minuten Abstand zur turbulenten Schlussphase noch nach Worten: »Das ist sehr bitter.« Mehr fiel dem der Berliner Mittelfeldspieler nicht ein. Schon als der Vierte Offizielle Martin Thomsen an der Seitenlinie eine Nachspielzeit von fünf Minuten angezeigt hatte, gab es wütende Proteste im diesmal mit 76 667 Zuschauern ausverkauften Olympiastadion. Als Schiedsrichter Patrick Ittrich aber auch nach 95 Minuten noch nicht abpfiff, tobte Herthas Trainer Pal Dardai wild am Spielfeldrand. Eine Minute später traf Lewandowski – und die Atmosphäre kochte über.
Auf dem Platz gab es ein Handgemenge, nachdem Herthas Torwart Rune Jarstein den Ball vor lauter Frust Xabi Alonso in den Rücken geschossen hatte. Auch auf den Rängen, wo 20 000 Münchner Fans feierten, übertrieben es einige Berliner damit, ihren Unmut auszudrücken. Und so schlug die Laune von Carlo Ancelotti urplötzlich um. Als der Münchner Trainer die Treppen zu den Stadionkatakomben herunter schritt, zeigte er einigen Hertha-Fans den Mittelfinger. »Ja, ich habe diese Geste gemacht, aber ich bin vorher angespuckt worden«, erklärte er später.
Das Fußballspiel an sich war nicht annähernd so aufregend. Die Berliner spielten wie immer: diszipliniert defensiv. Und das machten sie diesmal richtig gut. Mit viel Laufarbeit hielten sie die Räume im Zentrum, zwischen Mittelfeld und Abwehr, so eng, dass die Münchner dort nicht ein einziges Mal durchkamen und ihr Spiel immer wieder auf die Flügel verlagern mussten. Die beste Chance hatte der FC Bayern erst in der 89. Minute – nach einem Freistoß von David Alaba, den Hertha-Keeper Jarstein aber grandios parierte.
Abgesehen vom starken Auftritt am vergangenen Mittwoch beim 5:1 gegen Arsenal London in der Champions League, von dem Arjen Robben selbst »überrascht« war, spielten auch die Münchner wie immer: ohne zwingende Dominanz, schwerfällig und meist ideenlos in der Offensive und anfällig bei schnellen Kontern. Diese defensive Schwäche konnte Hertha BSC ein ums andere Mal nutzen und kam zu einigen Chancen. Der Führungstreffer fiel aber nach einer Stan- dardsituation. Vedad Ibisevic spitzelte den Ball in der 21. Minute nach einem Freistoß von Marvin Plattenhardt über die Linie.
Die Enttäuschung der Berliner über das Remis war nach dem starken Auftritt verständlich. »Wir sind traurig, weil ein Sieg nach 95 Minuten nicht unverdient gewesen wäre«, kritisierte Pal Dardai bei der Pressekonferenz noch die viel zu lange Nachspielzeit. Die Diskussion über einen »BayernBonus« ob des Münchner Treffers in der 96. Minute, die der Hertha-Trainer schon direkt nach dem Spiel angestoßen hatte, war aber zumindest am Sonnabend unangebracht. Einige Spielunterbrechungen in der zweiten Halbzeit durch Verletzungen, Behandlungen und allzu lange Aus- wechslungszeiten bei den Berlinern summieren sich eben.
Die Münchner sahen es positiv. Späte Tore wie zuletzt gegen Freiburg, Ingolstadt und nun in Berlin »sprechen für eine gute Mentalität der Mannschaft«, sagte Manuel Neuer. Der überschwängliche Jubel ist ebenso verständlich. Der FC Bayern sucht immer noch Form und Selbstverständnis und dabei hätte er nach dem Sieg gegen Arsenal London nichts weniger gebrauchen können als eine Niederlage. Gerade der Ligaalltag bereitet dem Rekordmeister Probleme, die er dank Pep Guardiola nicht mehr kannte. Und so war auch Carlo Ancelotti am Ende wieder »glücklich«. Wiederkommen nach Berlin will er auch – um sich die Stadt anzusehen.