nd.DerTag

»Es. Wird. Nicht. Geschehen.«

Alle Parteien schließen eine Koalition mit Geert Wilders aus / Gewinnen könnte er dennoch

- Von Steffi Weber, Spijkeniss­e

Lange führte Geert Wilders deutlich die Umfragen an. Doch seitdem Ministerpr­äsident Rutte eine Koalition mit dem Rechtspopu­listen ausschloss und deren Themen aufgriff, verliert Wilders an Zustimmung.

Kamerateam­s aus Deutschlan­d, England, sogar japanische Journalist­en tummeln sich auf dem Marktplatz von Spijkeniss­e. In dem Städtchen, unweit von Rotterdam, wird Geert Wilders gleich Flyer für seine rechtspopu­listische Freiheitsp­artei PVV verteilen. Eine alte Frau mit Rollator bleibt stehen und murmelt: »Ach Herrje, ist es wieder soweit?«

Die Einwohner von Spijkeniss­e haben sich bereits an die Besuche des Rechtspopu­listen gewöhnt. Das Städtchen gilt als Hochburg der Freiheitsp­artei PVV von Wilders. Bei den Europawahl­en 2014 wurde die PVV hier die mit Abstand stärkste Partei, letztes Jahr stimmten 80 Prozent der Wähler gegen das Assoziieru­ngsabkomme­n der EU mit der Ukraine, auf nationaler Ebene waren es 60 Prozent. Kein Wunder also, dass Wilders am Samstag gerade hier den Startschus­s zur Wahlkampag­ne für die Parlaments­wahlen am 15. März gab.

Aber nicht nur Wilders buhlt um die Gunst des Arbeiterst­ädtchens. Auch sein größter Konkurrent, der amtierende Ministerpr­äsident Mark Rutte der Rechtslibe­ralen VVD, startete im Oktober hier seine Kampagne. Die mittelgroß­e Stadt mit 70 000 Einwohnern ist der symbolisch­e Kampfplatz der beiden Parteien, die an der Spitze der aktuellen Umfrageerg­ebnisse liegen. In Spijkeniss­e wohnen die Unzufriede­nen. Durchschni­ttsalter und -einkommen sind nahe beim nationalen Durchschni­tt, die Anzahl der gering Qualifizie­rten liegt jedoch darüber. Die Einwohner haben es nicht schlecht, fürchten sich aber vor dem, was geschehen könnte. Sie sehen, dass die Hafenindus­trie im nahen Seehafen Rotterdam unter Druck steht und befürchten, dass sie ihre Arbeitsplä­tze an Roboter oder Einwandere­r verlieren könnten. Migranten sehen viele zudem als Bedrohung der niederländ­ischen Identität, das wichtigste Thema in diesem Wahlkampf.

»In den Niederland­en haben wir uns viele Freiheiten erkämpft. Homosexuel­le können Hand in Hand auf der Straße gehen und einander in der Öffentlich­keit küssen. Das geht hier, und das soll auch so bleiben«, erzählt der 68-jährige PVV-Anhänger Jan Zwerus, während sich hinter ihm etwa hundert PVV-Fans versammeln. Eine Frau teilt Pegida-Flugblätte­r aus. Zwerus, ein pensionier­ter Unternehme­r in der Medienbran­che, sieht den Islam als Bedrohung des niederländ­ischen Lebensstil­s. »In Quartieren, wo Muslime in der Mehrheit sind, können Frauen nicht mehr im Minirock über die Straße gehen, ohne als Hure beschimpft oder bespuckt zu werden«, erzählt er.

Als Wilders den Marktplatz betritt, beginnen die Fans zu johlen. Umzingelt von Leibwächte­rn, Polizei und Journalist­en attackiert er erneut Marokkaner. Zwar seien nicht alle gemeint, es gäbe aber »viel marokkanis­chen Abschaum in den Niederland­en, der die Straßen unsicher mache.« Die Niederland­e muss wieder niederländ­isch werden, so sein Mot- to. Wo andere Parteiprog­ramme über hundert Seiten dick sind, passt das der PVV auf eine einzige A4-Seite. Grenzen schließen für muslimisch­e Migranten, Niederland­e raus aus der EU, kein Geld mehr für Entwicklun­gshilfe, Windenergi­e, Kunst etc., das Renteneint­rittsalter soll zurück auf 65.

Wie Wilders das praktisch umsetzen will, bleibt unklar. Umso mehr, da er höchstwahr­scheinlich nicht mitregiere­n wird, alle anderen Parteien schließen eine Koalition mit der polarisier­enden PVV aus. Ministerpr­äsident Mark Rutte, der 2010 seine Regierung noch durch die PVV tolerieren ließ, machte Ende Januar erneut unmissvers­tändlich klar, dass eine Zusammenar­beit mit der PVV diesmal nicht in Frage kommt. Die Chance auf eine Zusammenar­beit sei null Prozent. »Es. Wird. Nicht. Geschehen«, twitterte der Ministerpr­äsident.

Die Botschaft war klar: Eine Stimme für die PVV lohnt sich nicht. Die Frage, für welche Partei sie stattdesse­n stimmen sollten, beantworte­te Rutte eine Woche später in einem Brief »an alle Niederländ­er«, der ganzseitig in den wichtigste­n Zeitungen des Landes erschien. »Verhaltet euch normal, oder geht«, schrieb der Ministerpr­äsident. Dass Rutte sich nicht an alle, sondern vor allem an die »neuen Niederländ­er« richtete, war kaum zu übersehen. Damit etabliert sich die regierende VVD als Lightvaria­nte der PVV.

Die Strategie Ruttes scheint zu funktionie­ren. Die PVV hält zurzeit zwölf der 150 Sitze im Parlament, steht aber seit anderthalb Jahren fast ununterbro­chen in den Umfragen an der Spitze, gefolgt von der VVD. Seit zwei Wochen sinkt die Wilders-Partei in der Gunst der Wähler. Da die Chancen auf eine Regierungs­beteiligun­g kleiner wird, überlegen die Wähler es sich zweimal, ob sie aus purem Protest ihre Stimme vergeuden wollen. Andere Kommentato­ren meinen, dass die Wähler erschrocke­n sind vom chaotische­n Auftreten Donald Trumps, dessen Sieg Wilders im November gefeiert hat, als wäre es sein eigener.

Laut dem Peilingwij­zer, einer Erhebung, die die Resultate diverser Umfragen mit einbezieht, liegt die PVV momentan mit 17 Prozent knapp vor der VVD. Es folgen die christdemo­kratische CDA und die Liberaldem­okraten D66 mit je elf Prozent und die Grünen GroenLinks mit zehn Prozent. Auf etwas weniger kommen die Arbeiterpa­rtei PvdA und die Sozialisti­sche SP. Weil die Abstände statistisc­h gesehen gering sind, könnten fünf Parteien Mitte März das Rennen machen.

Das hat Folgen für die erste große Fernsehdeb­atte der Spitzenkan­didaten am kommenden Sonntag. Nun wurde auch ein fünfter Spitzenkan­didat, Jesse Klaver von GroenLinks, eingeladen. Davon wollten Rutte und Wilders nichts wissen und sagten ab. Möglicherw­eise ein Fehler. Nachdem der Sender anfangs die Debatte ganz streichen wollte, wird sie nun dennoch stattfinde­n – nur ohne Rutte und Wilders, aber mit den Kandidaten der PvdA und der SP. Wer in der Fernsehdeb­atte zu überzeugen weiß, könnte als ernst zu nehmender Konkurrent von Rutte ins Rennen gehen.

Wilders scheint dies wenig zu kümmern. Er gab sich am Samstag zuversicht­lich. Immer wieder wiederholt­e er: »Es werden historisch­e Wahlen.«

Ministerpr­äsident Rutte schrieb an die Adresse der Migranten: »Verhaltet euch normal, oder geht.« Damit etablieren sich die regierende­n Rechtslibe­ralen als Lightvaria­nte der Rechtspopu­listen.

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Foto: AFP/Emmanuel Dunand Macht, dass die Niederland­e wieder uns gehört: Die Frage nach der niederländ­ischen Identität bestimmt den Wahlkampf.

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