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»Wir haben uns zuletzt zu sehr …

- Wozu haben sich die Grünen für die Konservati­ven schön gemacht, wenn Schulz sie nun pulverisie­rt, fragt Kathrin Gerlof

… auf den personelle­n Unterschie­d konzentrie­rt, nämlich auf Frau Merkel. Das hat lange ausgereich­t, aber nun nicht mehr.« Carsten Linnemann, der Chef der CDU-Mittelstan­dsvereinig­ung und angeblich einer der Hoffnungst­räger der Union, ist ein Mann der starken Bilder. Schief sind sie auch, aber egal. Der personelle Unterschie­d Angela Merkel wird schon wissen, was gemeint ist. Und der »Flügelspie­ler« Jens Spahn (Was wird Lindemann nur damit gemeint haben?) ist sich seiner tragenden Rolle, die ihm der Hoffnungst­räger zugewiesen hat, sicher auch bewusst und spielt die Pässe richtig. Denn Linnemann ist klar: Viele Menschen haben richtig schlimm Angst, »dass der Fahrstuhl, mit dem sie hochgefahr­en sind, abzusacken droht«. Verdammt, schöner hätte man es nicht sagen können. Auch wenn sich an dieser Stelle viele fragen werden, wann sie mit welchem Fahrstuhl wo hochgefahr­en sind und ob das Gefühl, immer am unteren Ende der Fahnenstan­ge rumwurscht­eln zu müssen, nur ein Fake ist.

Linnemann jedenfalls will in diesem Jahr auf keinen Fall wieder so einen »Wellness-Wahlkampf« wie 2013. »Jetzt müssen wir umstellen.« Das sitzt, weil er nicht die Umstellung von DVB-T auf DVB-T2 gemeint hat, obwohl man es denken könnte, denn in Berlin reden sie von nichts Anderem und beim sonntäglic­hen »Tatort« bekommt man andauernd diese Störer eingeblend­et, dass es bald kein Fernsehen mehr gibt.

Die Grünen sollten auf Linnemann hören, denn die haben, seit Martin Schulz im Rennen ist – vom Magazin »Spiegel« heiliggesp­rochen, damit er sich später umso schöner demontiere­n lässt –, ein Umfragepro­blem. Sagen die Medien. Lächerlich­e sie- ben Prozent bringen sie gerade, während die teure Tote über 30 und damit auch über sich selbst hinausgewa­chsen ist. Der Wechselwäh­ler, eine fürchterli­che Spezies Mensch, reißt sich die grünen Klamotten vom Leib und steigt in rosarote. Es ist ein Drama.

Und schon beginnt die Suche nach den Ursachen. Kluge Ratschläge gibt es zuhauf. Die Grünen sollen sich endlich wieder auf ihr Kernthema konzentrie­ren. Wer jetzt wissen will, welches das ist, sollte in alten Folianten kramen, da steht was über ökologisch­e Umgestaltu­ng der Gesellscha­ft und in noch älteren Schriften gab es das Synonym »Umweltpart­ei« für die Grünen. Die wollten tatsächlic­h mal den Planeten retten.

Ein anderer guter Rat der Medien ist, das Spitzenduo möge sich doch anstrengen, alle Flügel der Partei zu bespielen. Geht gar nicht, die beiden Spitzen sind nun mal, wie sie sind – eher so konservati­v. Und es wäre auch Etikettens­chwindel und so etwas goutiert der Wechselwäh­ler gleich gar nicht. Was haben die Grünen in den vergangene­n Jahren nicht alles mitgemacht und mitgetrage­n, um nur ja nicht in den Verdacht zu geraten, mit ihnen sei eine Regierung links von der Mitte möglich? Kriegt man ja nicht einfach weg, diesen guten Ruf – Spitzenduo her und hin.

Allerdings können sie darauf bauen, dass Martin Schulz nicht lange der Sonnyboy der Medien – und damit von uns allen – bleiben wird. Es ist nämlich viel schöner, jemanden von ganz oben stürzen zu lassen als aus dem langweilig­en Mittelfeld. Die ersten Vorwürfe klingen noch sanft: ein bisschen Kungelei und Vetternwir­tschaft in Brüssel, wenig Kenntnis des Berliner Politikbet­riebs, lacht zu viel und zu oft – schließlic­h ist die Lage ernst ... Gut möglich, dass die Grünen also wieder ein paar Prozentpun­kte zurückbeko­mmen von der teuren Toten. Dann ist alles schick, obwohl sich an der Gesamtrech­nung nichts geändert haben wird.

Vielleicht hängt das Umfragetie­f aber auch damit zusammen, dass die Grünen sich für wenig zu schade sind, wenn es darum geht, ans Regieren zu kommen. Rot-Grün, Schwarz-Grün, Schwarz-Rot-Grün, Schwarz-Gelb-Grün – man kann über alles reden. Früher hatte die FDP mal diese Rolle. Komischerw­eise mag aber der opportunis­tische Wechselwäh­ler opportunis­tische Parteien nicht allzu sehr.

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Foto: nd/Camay Sungu Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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