Schulz umarmt die Gewerkschaften
Der designierte SPD-Kanzlerkandidat verspricht Korrekturen an der Agenda 2010
Martin Schulz hat bei einer Veranstaltung in Bielefeld dem Neoliberalismus abgeschworen. Einigen »hart arbeitenden Menschen« verspricht er nun Verbesserungen.
Als Martin Schulz unter dem Jubel des Publikums das Podium der Bielefelder Stadthalle verlässt, führt sein erster Weg zu Reiner Hoffmann, der in der ersten Reihe sitzt. Beide umarmen sich. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes flüstert dem designierten Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten etwas ins Ohr. Schulz lächelt ihn daraufhin an.
Kurz zuvor hat der künftige SPDVorsitzende bei der sogenannten Arbeitnehmerkonferenz seiner Partei mit dem Titel »Arbeit in Deutschland« eine Rede gehalten, die im Sinne des DGB gewesen ist. Schulz verspricht, weitere Korrekturen am neoliberalen Programm der rot-grünen Agenda 2010 vorzunehmen. »Auch wir haben Fehler gemacht«, räumt der bisherige Europapolitiker ein. Um zeitlich befristete Arbeitsverträge einzudämmen, soll nach seiner An- sicht die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden. Außerdem spricht sich Schulz dafür aus, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I (ALG I) zu verlängern, bevor die Betroffenen von Hartz IV leben müssen. Derzeit erhalten Erwerbslose unter 50 Jahren maximal zwölf Monate das ALG I, für ältere Erwerbslose gibt es die Leistung bis zu 24 Monate.
Konkret wird Schulz bei dem Thema jedoch nicht. Wie lange die Bezugsdauer künftig sein soll, bleibt offen. Er sagt lediglich, »wer viele Jahre oder Jahrzehnte hart arbeitet und Beiträge zahlt, hat ein Recht auf Unterstützung«. Die rund 750 Zuschauer in Bielefeld geben sich mit diesen wohlklingenden Worten zufrieden. Für den SPD-Politiker gibt es an diesem Montagvormittag viel Beifall.
Das setzt sich fort, als er Teilnehmer bei Demonstrationen des fremdenfeindlichen Bündnisses Pegida als »durchgeknallte Rechte« bezeichnet. Schulz will seine SPD als Bollwerk gegen die erstarkte Rechte in Europa präsentieren, zu der auch die AfD zählt. Im Wahlkampf sieht er zudem die Union als zentrale Gegnerin. Den Konservativen wirft Schulz vor, Bremser in der Großen Koalition zu sein. Das bezieht der NordrheinWestfale etwa auf die Solidarrente. Einen entsprechenden Vorschlag der SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles haben CDU und CSU abgelehnt. Viele Menschen, denen Armut im Alter droht, wären allerdings von dieser Rente, die nur einen zehnprozentigen Aufschlag auf die Grundsicherung vorsieht, ausgeschlossen. Sie soll nur für langjährig Versicherte gelten, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben.
Klare Vorstellungen hat Schulz beim Thema betriebliche Mitbestimmung. Er will Schlupflöcher schließen und die Mitbestimmung auf Firmen mit ausländischer Rechtsform (SE) ausweiten. Der Kündigungsschutz für Beschäftigte, die Betriebsratswahlen organisieren, soll zudem ausgebaut werden.
Bei der Veranstaltung sollen neben dem DGB auch Parteilinke zufriedengestellt werden. Schulz dankt der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), deren Vorsitzender Klaus Barthel zu Beginn der Konferenz ein paar einleitende Worte sagt. Die AfA war in den 70er Jah- ren auf Initiative des damaligen Fraktionschefs Herbert Wehner als Bindeglied zwischen der SPD und den Gewerkschaften gegründet worden und einst sehr einflussreich. Doch seit einigen Jahren herrscht in der engeren Parteiführung die Meinung vor, dass der Arbeitnehmerflügel zu weit links steht. Zwischen dem scheidenden Parteichef Sigmar Gabriel und Klaus Barthel gab es oft Meinungsverschiedenheiten. Ein Beispiel waren die neoliberalen Kürzungsprogramme für europäische Krisenstaaten, die der Parteilinke ablehnt.
Zu Schulz äußert sich Barthel positiver. »Er ist auf einem richtigen Weg, wenn er Arbeit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen will«, erklärt der bayerische Bundestagsabgeordnete. Der Ton in der Partei hat sich seit der Nominierung von Schulz durch die SPD-Führung vor drei Wochen geändert. Fraglich ist aber, ob Konflikte aufbrechen, wenn in den nächsten Wochen über Details im Wahlprogramm diskutiert wird. Denn erst dann wird klarer, wie ernst Schulz seine Ankündigungen, für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen zu wollen, wirklich meint.