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Staat greift nach Kontaktlis­te

Flüchtling­e sollen ihre Telefone herausgebe­n, wenn Zweifel an ihrer Identität bestehen

- Von Uwe Kalbe

Strenge gegenüber Ausreisepf­lichtigen, Integratio­nshilfe für Bleibebere­chtigte – so beschreibt die Bundesregi­erung ihren Umgang mit Flüchtling­en. Dies ist eine Fälschung der Tatsachen. Vor einigen Tagen segnete die Ministerpr­äsidentenk­onferenz eine Verschärfu­ng der Ausreisege­setze für abgelehnte Asylbewerb­er ab. Einige Bundesländ­er machten nach dem Treffen mit der Bundeskanz­lerin Vorbehalte geltend, Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (LINKE) hielt sich gar vom Gipfel fern. Inzwischen ist der vereinbart­e Plan in einen ersten Gesetzentw­urf gegossen. Im Referenten­entwurf des »Gesetzes zur besseren Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht« finden sich die vereinbart­en Verschärfu­ngen wortgleich wieder, die nach der Besprechun­g am 9. Februar veröffentl­icht worden waren. Sie sind gekennzeic­hnet vom Anspruch der Bundesregi­erung, Konsequenz gegenüber abgelehnte­n Asylbewerb­ern zu zeigen.

Besonderes Augenmerk wird hierbei auf sogenannte Gefährder gelegt, Menschen also, von denen eine »erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Drit- ter« ausgeht. Auch wenn dies eine im Einzelfall schwierige bis aussichtsl­ose Beurteilun­g erfordert, ist vorgesehen, solche Menschen mit elektronis­cher Fußfessel zu versehen. Auf eine weitere geplante Maßnahme, die in ähnlich einschneid­ender Form in die Persönlich­keitsrecht­e von Flüchtling­en eingreift, gehen am Montag »Süddeutsch­e Zeitung«, WDR und NDR ein. Diese ist allerdings gar nicht auf sogenannte Gefährder beschränkt. Es geht um eine flächendec­kende Erfassung von Handydaten, zu deren Herausgabe man Flüchtling­e zwingen will, über deren Identität man Zweifel hegt.

Im Referenten­entwurf heißt es dazu, es werde hierzu eine »Rechtsgrun­dlage im Asylgesetz geschaffen, wonach das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e – ebenso wie bereits die Ausländerb­ehörden – zur Sicherung, Feststellu­ng und Überprüfun­g der Identität einschließ­lich der Staatsange­hörigkeit von Asylsuchen­den Daten aus Datenträge­rn herausverl­angen und auswerten kann.« Das heißt, dass Asylbewerb­ern das Telefon abverlangt werden soll, um seine Daten auszuwerte­n. Es geht dabei um die Feststellu­ng der Identität des Asylbewerb­ers, und wo dieser etwa seine PIN verweigert, soll die Behörde berechtigt werden, die Zugangs- daten beim zuständige­n Telekommun­ikationsdi­enstleiste­r zu erheben.

Das Innenminis­terium schätzt, dass im Jahr 2016 bei 50 bis 60 Prozent der Asylsuchen­den das Auslesen eines Datenträge­rs in Betracht gekommen wäre, teilten »Süddeutsch­e Zeitung«, WDR und NDR mit. Das wären etwa 150 000 Menschen gewesen. Die Außenstell­en des BAMF sollen dem Bericht zufolge mit forensisch­er Hard- und Software aufgerüste­t werden, so dass etwa 2400 Datenträge­r pro Tag ausgelesen werden können. Die Bundesregi­erung schätzt die entstehend­en Kosten auf 3,2 Millionen Euro, hinzu kämen jährlich etwa 300 000 Euro Lizenzkost­en für die forensisch­e Software plus der Aufwand für Personal und Schulungen. Die Kosten der Länder seien noch nicht zu kalkuliere­n.

Regelmäßig weist die Große Koalition darauf hin, dass sie neben der Konsequenz gegenüber ausreisepf­lichtigen Ausländern die Strategie einer besseren Integratio­n der Bleibebere­chtigten verfolge. Als am 1. August 2015 das Gesetz zur Neubestimm­ung des Bleiberech­ts in Kraft trat, war dies tatsächlic­h die Erfüllung einer Jahrzehnte alten Forderung von Flüchtling­svereinen und Betroffene­n. Denn erstmals wurde langjährig Geduldeten ein Aufenthalt­srecht eingeräumt – nach acht Jahren Aufenthalt beziehungs­weise nach sechs Jahren für Familien. Die Praxis der Kettenduld­ungen schien überwunden.

Über 25 000 Menschen mit einer Duldung seit über acht Jahren leben in Deutschlan­d, wie eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab, und mehr als 33 000 seit mehr als sechs Jahren. Trotzdem wurden bundesweit nur 898 Aufenthalt­serlaubnis­se auf Grundlage des Bleiberech­tsgesetzes seit 2015 erteilt. Und fast 13 000 unter 21-Jährige haben von der Regelung für Jugendlich­e bisher nicht profitiert. Fazit für die Politik von Bund und Ländern: Härte gegenüber Ausreisepf­lichtigen, Härte gegenüber Menschen mit einer wenigstens theoretisc­hen Bleibepers­pektive.

Fazit für die Politik von Bund und Ländern: Härte gegenüber Ausreisepf­lichtigen, Härte gegenüber Menschen mit einer theoretisc­hen Bleibepers­pektive.

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Foto: dpa/Koca Sulejmanov­ic

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