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Wenn die Kleinen auf der Matte stehen

In Deutschlan­d sind Kinder und Beruf weiterhin schlecht vereinbar – besonders groß ist der Handlungsb­edarf bei der Betreuung nach der Schule

- Von Velten Schäfer

Fast nirgends in Europa tragen Frauen mit Kindern weniger zum Familienei­nkommen bei als In Deutschlan­d. Denn sie arbeiten oft nur in Teilzeit. Eine OECD-Studie sieht nicht nur darin ein Problem. Wer in Berlin einen Kitaplatz sucht, ist schon mittendrin in dem Thema, das eine neue OECD-Studie jetzt anspricht: Es ist schwierig, obwohl ja ein Anspruch auf Betreuung besteht. Und noch schwerer wird es für Eltern, die weiter in Vollzeit arbeiten wollen. Die allermeist­en Kitas schließen um 16, um 16.30 oder spätestens um 17 Uhr. Selbst wer einen vergleichs­weise komfortabl­en Bürojob hat, in dem sich die Kernarbeit­szeit auf »nine to five« erstreckt, schaut in die Röhre, auch bei den 17-Uhr-Kitas: Wer hat schon das Glück, dass die Kinderbetr­euung gleich neben dem eigenen Arbeitspla­tz stattfinde­t? Ganz zu schweigen von Menschen, die etwa in Schichtdie­nsten arbeiten.

Dabei ist die Kita-Situation in Berlin noch komfortabe­l, wenn man sie mit der Lage in weiten Teilen der alten Bundesländ­er vergleicht. Und noch schwierige­r wird es, wenn die Kleinen in die Schule kommen. Dann stehen sie oft mittags auf der Matte und fordern ihr Recht.

Die Folge: Oft ist ein Partner gezwungen, seine Arbeitszei­t zu reduzieren. Und da in Deutschlan­d üblicherwe­ise auch dann, wenn beide in Vollzeit arbeiten, die Frauen erheblich weniger verdienen, beantworte­t die Haushaltsk­asse die Frage nach der Rollenvert­eilung ganz pragmatisc­h, selbst wenn die Eltern sich vielleicht ein anderes Modell wünschen.

Nun hat die OECD dieses Problem statistisc­h vermessen. Demnach ist die Bundesrepu­blik in Europa noch immer ein Schlusslic­ht, wenn es um die geschlecht­ergerechte Zusammense­tzung des Haushaltse­inkommens geht: Im Durchschni­tt tragen die Frauen noch nicht einmal ein Viertel zum Familienei­nkommen bei, während sich dieses Verhältnis in Dä- nemark mit gut 42 Prozent in Richtung Parität bewegt.

Die Situation in Deutschlan­d hat ihre Ursache in der hohen Teilzeitqu­ote. Zwar arbeiten inzwischen statistisc­h sieben von zehn Müttern, doch nur drei davon in Vollzeit und vier in Teilzeit – meist mit nicht mehr als 20 Wochenstun­den. Interessan­t ist, dass südeuropäi­sche Länder wie Portugal oder katholisch­e Gesellscha­ften wie Polen, denen man vielleicht eine ungleicher­e Verteilung zutraut, die Bundesrepu­blik hinter sich lassen. In Polen sind zwar insgesamt etwas weniger Mütter in Arbeit, doch ist hier Teilzeitbe­schäftigun­g eher selten. Und in Portugal arbeiten nicht nur etwas mehr Frauen mit Kindern, sondern liegt die Teilzeitqu­ote weit unter zehn Prozent.

Entspreche­nd ungleich verteilt sich in Deutschlan­d weiterhin die Erziehungs- und Hausarbeit. Hierzuland­e übernehmen Mütter laut der Studie noch immer fast zwei Drittel dieser Formen unbezahlte­r Arbeit. In skandinavi­schen Staaten wie Norwegen oder Finnland mit besser ausgebaute­n Betreuungs­systemen sind diese Arbeiten egalitärer verteilt.

Die Studie empfiehlt für die Bundesrepu­blik, den Ausbau der Kleinkinde­rbetreuung weiter fortzusetz­en und Instrument­e wie das Elterngeld auszubauen – darüber aber die Schulkinde­r nicht zu vergessen. Bei deren Betreuung gebe es hierzuland­e erhebliche­n »Nachholbed­arf«.

Dass die Erziehung des Nachwuchse­s noch immer so viele Frauen in Deutschlan­d von Vollzeitar­beit fernhält, sei auch volkswirts­chaftlich ein Problem. Denn statistisc­h sind sie in der Bundsrepub­lik höher qualifizie­rt als Männer: Frauen in der Altersgrup­pe zwischen 25 und 34 Jahren erwerben heute mit deutlich größerer Wahrschein­lichkeit einen Hochschula­bschluss.

Im Ergebnis der derzeitige­n Lage denken knapp 31 Prozent der Eltern in Deutschlan­d, dass der Beruf die Familie häufig oder ständig beeinträch­tige, weitere 35 Prozent sagen, dies sei manchmal der Fall. In Norwegen, aber auch in Ländern wie Portugal sind nur 15 beziehungs­weise knapp 12 Prozent dieser Ansicht.

Diese Selbsteins­chätzungen von Deutschen mit Kindern lassen sich wohl als ein Hintergrun­d der Tatsache verstehen, dass sich vergleichs­weise viele Bundesbürg­er weiterhin gegen Kinder – oder gegen mehr als ein Kind – entscheide­n. Seit dem Tiefstand Mitte der 1990er Jahre ist die Geburtenra­te zwar von 1,36 auf 1,47 Kinder je Frau gestiegen. Das »Bestanderh­altungsniv­eau« liegt aber bei 2,1 Kindern.

Interessan­t ist, dass südeuropäi­sche Länder wie Portugal oder katholisch­e Gesellscha­ften wie Polen die Bundesrepu­blik in der Statistik hinter sich lassen.

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