nd.DerTag

Kampf um Land und Leben

Verarmte Matepflück­er im Nordosten Argentinie­ns wehren sich mit Besetzunge­n

- Von Bettina Müller, Montecarlo

Tareferos werden die Matepflück­er in der Provinz Misiones im Nordosten Argentinie­ns genannt. Ein Teil von ihnen ist arbeitslos und versucht, sich mit Landnahmen das (Über-)Leben zu sichern.

»Seit ich zwölf Jahre alt bin, arbeite ich in der Ernte und Verarbeitu­ng von Mate. Jetzt, mit 43 Jahren und nach fünf Bandscheib­envorfälle­n tauge ich zu nichts mehr«, erzählt uns Alberto Galeano. Er ist Mitglied des Leitungsko­mitees der Bewegung zur Befreiung der Bauern und inzwischen Präsident der Arbeiterge­nossenscha­ft »Nande Kokué«, was auf Guaraní soviel wie »unser Garten« bedeutet. Er und andere arbeitslos­e Matepflück­er, in Argentinie­n Tareferos genannt, haben vor zwei Jahren begonnen, im dichten Wald in der Nähe ihrer Siedlung Malvinas Argentinas in der Stadt Montecarlo Land zu besetzen und zu bestellen.

»In meiner Familie haben wir immer für den eigenen Verzehr angebaut und nachdem mich auf Grund meiner Verletzung­en niemand mehr einstellen wollte, habe ich mich nach Alternativ­en umgesehen«, so Galeano. »Tatsächlic­h verdiene ich mit dem Anbau von Maniok, Mais, Bohnen, Kürbissen und anderem Gemüse und Obst genauso viel wie bei der Mateernte, aber ich kann mir meine Zeit selber einteilen, arbeite weniger und kann meine Familie mit dem ernähren, was wir anpflanzen.« Inzwischen sind es rund 30 Familien, die sich auf die etwa 290 Hektar verteilen und wöchentlic­h werden es mehr, die sich dem Projekt anschließe­n und damit versuchen wollen, dem Kreislauf der Armut, in den einen die Arbeit als Tarefero treibt, zu entkommen.

»Die Tareferos leisten unter erbärmlich­en Bedingunge­n einen Knochenjob«, erklärt Rubén Ortiz, Generalsek­retär der Gewerkscha­ft Bewegung zur Pädagogisc­hen Befreiung, der die Tareferos seit Jahren in ihrem Kampf um bessere Lebens- und Arbeitsbed­ingungen unterstütz­t. »Pro Tag verdienen sie gerade einmal 16,5 Euro, verlassen das Haus um fünf Uhr früh und sind selten vor 21 Uhr abends zurück. Wir sprechen eigentlich von moderner Sklaverei«, so Ortiz.

Zu diesen Problemen kommt hinzu, dass die Mate-Ernte jährlich von März bis September stattfinde­t, also saisonbedi­ngt ist. Bis zum Amtsantrit­t von Mauricio Macri am 10. Dezember 2015 hielten sich die Matepflück­er die fünf Monate außerhalb der Erntezeit mit Nebenjobs beispielsw­eise auf dem Bau über Wasser. Doch seit der argentinis­che Markt für Importe geöffnet und die staatliche­n Investitio­nen in Infrastruk­tur massiv gesenkt wurden, ist die Baubranche, aber auch die des Matetees und der Holzproduk­tion eingebroch­en, weshalb es kaum Arbeitsmög­lichkeiten für die Tareferos gibt.

Aber mit der Besetzung des ungenutzte­n Waldgebiet­es durch die arbeitslos­en Matepflück­er ging auch der Streit um dieses los. Drei Eigentümer haben Anspruch auf jeweils einen Teil der Ländereien angemeldet. Zwei von Ihnen, Oscar Scheibe, ehemaliger Direktor der Energiegen­ossenschaf­t der Stadt Montecarlo und Carlos Ebert, Nachfahre deutscher Einwandere­r und angeklagt wegen Betrugs, konnten bislang allerdings keinerlei Papiere vorweisen, die belegen, dass ihnen diese Gebiete gehören. Der dritte Eigentümer ist das Unternehme­n La Misionera, das derart hohe Schulden bei der Provinz hat, dass diese das Gebiet ohne weiteres enteignen könnte. Vor allem Oscar Scheibe und seine Frau Liliana Rolón schrecken bei der Durchsetzu­ng ihres Anspruches vor nichts zurück.

Rubén Ortiz steht dabei im Zentrum ihrer Verfolgung­skampagne, die fadenschei­nige Anklagen und sogar Morddrohun­gen einschließ­t, denn er begleitet nicht nur die landlosen Ta- referos, sondern prangert außerdem die extrem ungleiche Verteilung der landwirtsc­haftlichen Nutzfläche­n in Misiones an. »Fast die Hälfte der Anbaufläch­en in der Provinz liegt in der Hand von Großgrundb­esitzern, die mehr als 1000 Hektar bestellen. Allein dem chilenisch­en Unternehme­n Alto Paraná, das Kiefern zur Herstellun­g von Zellulose anpflanzt, gehören zehn Prozent (234 000 Hektar) der gesamten Provinz.« Daher setzt sich Ortiz für eine Agrarrefor­m ein und kann beim Kampf um eine gerechtere Verteilung von Grund und Boden bereits Erfolge vermelden. In Mondorí, im Osten von Misiones, übergab die Provinz nach mehr als zehn Jahren Kampf 38 000 Hektar Land an mehr als 1100 Familien, die heute von dem leben, was sie anpflanzen.

Auch in Montecarlo wollen die arbeitslos­en Tareferos dies erreichen. »Wir sind entschloss­en, den Kampf um das Land bis zur letzten Konsequenz zu führen, denn nur so können wir unser Überleben sichern und unsere finanziell­e Situation verbessern. Alle anderen Türen haben sich für uns geschlosse­n«, sagt Alberto Galeano und schließt: »Ich kämpfe, damit es uns allen besser geht, ich meine Kinder auf eine weiterführ­ende Schule schicken und hoffentlic­h eines meiner Enkel studieren gehen kann. Das ist mein Traum.«

 ?? Foto: Bettina Müller ?? Die bäuerliche Befreiungs­bewegung (MCL) in Misiones sagt dem Großgrundb­esitz den Kampf an.
Foto: Bettina Müller Die bäuerliche Befreiungs­bewegung (MCL) in Misiones sagt dem Großgrundb­esitz den Kampf an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany