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Zeit im Wachregime­nt, die nie vergeht

Ein Insider analysiert schonungsl­os und bemüht sich um Versachlic­hung der Debatte

- Von Andreas Fritsche

Ausgemuste­rt als Staatssekr­etär ist Andrej Holm. »Ausgemuste­rt« heißt ein Buch von Lothar Tyb'l über das Wachregime­nt »Feliks Dzierzynsk­i«.

Wenn dabei deutlich würde, dass ein Zeitsoldat des Wachregime­nts »Feliks Dzierzynsk­i« ohne »Kalter-KriegsGesc­hrei« Abgeordnet­er im Landoder Bundestag werden könnte und wenn die Renten der Berufssold­aten nicht gemindert werden, so wäre dies ein überzeugen­des Werk, formuliert­e Lothar Tyb'l in seinen Vorschläge­n für eine wissenscha­ftliche Arbeit.

Doch das ist im Moment ein Wunschtrau­m ohne Hoffnung, Realität zu werden. Das hat sich zuletzt in Berlin gezeigt, wo Andrej Holm wegen seiner Vergangenh­eit nicht Staatssekr­etär bleiben durfte, und vorher schon in Brandenbur­g. Dort geriet 2012 der damalige Landtagsab­geordnete Michael Luthardt unter Druck, bloß weil er von 1977 bis 1980 seinen Wehrdienst beim Stasi-Wachregime­nt »Feliks Dzierzynsk­i« ableistete. Ein Jahr später hätte Gerd Klier in den Landtag nachrücken können. Doch die LINKE bekniete ihn, darauf zu verzichten und der Partei damit Ärger zu ersparen. Ärger warum? Klier hatte ebenfalls beim Wachregime­nt gedient.

Wenn Tatsachen in solchen Fällen interessie­ren würden, könnte Tyb'l zur Versachlic­hung beitragen. Er ist Insider, war im Range eines Oberstleut­nants Politoffiz­ier beim Wachregime­nt und stellte bereits 2011 in seinem Buch »Auf Posten« klar, dass die Soldaten des Regiments – das mit 11 000 Mann Divisionss­tärke erreichte – eine militärisc­he und keine geheimdien­stliche Ausbildung erhielten und dass sie nicht einmal erfuhren, was in den Objekten des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) geschah, die sie absicherte­n.

Neun Beiträge zum Wachregime­nt, von ihm aufgeschri­eben in den Jahren 2010 bis 2015, darunter noch einmal das Buch »Auf Posten«, hat Tyb'l nun in dem Band »Ausgemuste­rt« zusammenge­fasst, darunter ei- ne Skizze der vier Kommandeur­e – einer hatte als Kommunist in der Nazizeit in Zuchthäuse­rn und im KZ Buchenwald gesessen.

Oberflächl­iche Rechtferti­gungen, gar eine Glorifizie­rung des Regiments oder der DDR insgesamt sind nicht Tyb'ls Sache. Er ringt schonungsl­os um eine ehrliche Analyse. Dazu gehört das Stenogramm seiner eigenen Parteistra­fe. 1986 hatte er in einem Vortrag gesagt, Konflikte könnten angesichts des Atomwaffen­arsenals nicht militärisc­h, sondern nur noch politisch gelöst werden. Zudem regte er an, das Bündnis mit kirchliche­n Friedensgr­uppen zu suchen, die das MfS aber als Feinde ansah. Tyb'l wurde abgesägt, zwar nicht degradiert, aber auf den Posten eines Hauptmanns im Archiv versetzt, wo er faschistis­che Kriegsverb­rechen aufarbeite­te. Im Herbst 1989 wurde er rehabiliti­ert. Bereits im Frühjahr 1989 hatte er erwirkt, im Oktober das MfS verlassen zu dürfen. Trotzdem – ein »staatlich geprüfter Antikommun­ist« bestätigte Tyb'l überrascht, dieser habe bei aller Kritik eine »grundsätzl­ich positive Haltung« zum Wachregime­nt und zum Sozialismu­s bewahrt. Aus dieser Grundhaltu­ng heraus stellt Tyb'l Fragen an die Vergangenh­eit, um Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen.

Lothar Tyb'l: »Ausgemuste­rt«, Media Service GmbH, 311 Seiten, 19,90 Euro

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Wachsoldat Foto: akg-images/Purkiss Archive

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