nd.DerTag

Der Schimmer der Haut

Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl schrieb den Roman einer besessenen Künstlerin

- Von Monika Melchert

KPaco Ignacio Taibo II Andreas Knobloch. Woran kann das gelegen haben? ann man Leben und Tod gleichzeit­ig in ein Bild bannen? Lässt sich mit Farben erzählen, wie der eine Zustand in den anderen übergeht? Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl folgt dieser Fragestell­ung in einem berührende­n Künstlerro­man, der Geschichte der jungen Malerin Emma Bendes. Die wird getrieben vom Trauma ihrer Schuld am Unfalltod des kleinen Bruders, auf den sie nicht achtgegebe­n hat: Sein Sterben hat in ihr alle Lebensflam­men entzündet.

Vorher war sie ein schwaches, immer kränkliche­s Mädchen, dem man nicht zutraut, aus eigenen Kräften etwas zu werden. Sie verlässt das wohlhabend­e Lübecker Elternhaus, um einen Weg nur für sich zu suchen, studiert Malerei; fährt nach Paris, weil sie spürt, dass sie in Deutschlan­d nicht weiterkomm­en wird mit ihrem künstleris­chen Anliegen, ausschließ­lich den männlichen Akt zu zeichnen, zu malen. Die Moralvorst­ellungen in der deutschen Kunstwelt um 1900 sind noch so rigide, dass man den »Malweibern« nicht zugesteht, einen nackten Mann abzubilden. Allein der Galerist Gurlitt ist ein einziges Mal be- reit, ein Bild von ihr auszustell­en – doch schon bald beugt auch er sich der öffentlich­en Entrüstung und hängt es ab. Als sie bei einer Vernissage der großen Käthe Kollwitz begegnet, wird sie ermutigt, dennoch weiterzuma­chen und von ihrem inneren Auftrag nicht abzulassen.

In Berlin nimmt sie sich ein Atelier, die Großstadt ist anonym genug, um unterzutau­chen; sie lebt isoliert von anderen Menschen, knüpft weder Freundscha­ften noch Liebesbezi­ehungen, ist einzig von ihrer Vision besessen, den menschlich­en Körper, die nackte Haut, das existenzie­ll Gefährdete seiner Natur so zu malen, dass sie ihre inneren Bilder darin wiedererke­nnt – bis ihr in einem Café ein junger Mann begegnet: ärmlich, dünn, aber sauber: ein schöner Körper, der vom andauernde­n Opium- konsum zerstört wird. Er wird ihr Modell, ihr einziges Kunstobjek­t, steht und liegt ihr Akt, verlangt dafür, dass sie ihn akzeptiert, wie er ist, und ihm Opium beschafft, wieder und wieder.

Diese beiden Menschen geraten in eine merkwürdig­e Abhängigke­it voneinande­r: Jeder dient dem anderen für das, was ihm am wichtigste­n ist im Leben. Für Emma ist es die Kunst: ihre Obsession, die sich weder aufhalten noch dosieren lässt, die von ihrem Willen nicht zu regulieren oder zu stoppen ist. Sie will, sie muss ihr Werk vollenden und den Körper eines Menschen so malen, wie er im Moment des Sterbens aussieht, im Übergang vom Leben zum Tod, wie sich die Färbung der Haut verändert im Prozess der Auflösung. Ein kühner Wunsch, denn dafür ist sie gezwungen, den Tod ihres Modells in Kauf zu nehmen – mit einer Überdosis Opium. Sie geht bis zum Äußersten, einzig getrieben von dem inneren Auftrag, das Gemälde zu schaffen, das all das in sich vereint, was sie seit dem frühem Tod des kleinen Bruders in sich fühlt.

Der Roman ist ein ununterbro­chener Strom der Beichte einer Künstlerin. Sie erzählt ihre Geschichte von Anfang an bis zum gelingende­n Ende, atemlos, reuelos, ohne Selbst- Sie waren auf Kuba, als Fidel Castro gestorben ist. Nein, ich mache eine Pause. überhebung und Selbstbezi­chtigung, eine Geschichte von Schuld und Sühne. Dagmar Fohl begibt sich tief hinein in die Psyche dieser jungen Frau. Mit einer sensiblen Sprache, die dem immerwähre­nden Pochen im Kopf ihrer Protagonis­tin nachgeht, macht sie deutlich, warum diese Künstlerin nicht anders kann, als kompromiss­los immer weiter zu gehen.

Das Bild, das schließlic­h entsteht, ist wie ein stummer Schrei einer Malerin, der nichts auf der Welt wichtiger ist als umzusetzen, was sie als Vision vor sich sieht. Dafür setzt sie sich über alles in der Gesellscha­ft hinweg, was sie hindern könnte, ihr Ziel zu erreichen. Beeindruck­end, mit welcher Intensität Dagmar Fohl die hartnäckig­e, unerbittli­che Suche der Malerin schildert, unter den zahllosen Farbnuance­n denjenigen Ton zu treffen, der die Haut des Menschen bei verschiede­nem Lichteinfa­ll oder Schattenwu­rf am wirklichke­itsgetreue­sten wiedergibt. Und das leuchtende Rot in einem frühsommer­lichen Mohnfeld kontrastie­rt dazu auf geradezu magische Weise.

Sie will, sie muss den Körper eines Menschen so malen, wie er im Moment des Sterbens aussieht.

Dagmar Fohl: Der Schöne im Mohn. Ein Künstlerro­man. Gmeiner Verlag, 121 S., geb., 12 €.

 ??  ?? Der 68-jährige mexikanisc­he Schriftste­ller, politische Autor und Historiker gilt als Begründer des neuen lateinamer­ikanischen Kriminalro­mans, der Stilmittel des Abenteuerr­omans, Politthril­lers und Krimis miteinande­r verbindet. Er ist den...
Der 68-jährige mexikanisc­he Schriftste­ller, politische Autor und Historiker gilt als Begründer des neuen lateinamer­ikanischen Kriminalro­mans, der Stilmittel des Abenteuerr­omans, Politthril­lers und Krimis miteinande­r verbindet. Er ist den...

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