Betreutes Spielen
Für die junge Leverkusener Mannschaft wird es schwer, gegen Atlético Madrid zu bestehen
Die Ansprüche in Leverkusen sind hoch, doch der jungen Elf fehlen Konstanz und Mentalität. Das macht die unangenehme Aufgabe in der Champions League nicht leichter.
Endlich mal wieder was für die Ewigkeit: Nein, kein Titel – den letzten gewann Bayer Leverkusen vor 24 Jahren im DFB-Pokal. Aber am vergangenen Wochenende hat sich der Werksklub immerhin einen denkwürdigen Eintrag in die Geschichtsbücher des deutschen Fußballs gesichert. Beim Sieg in Augsburg schoss Karim Bellarabi das 50 000. Tor in der Geschichte der Bundesliga. Sein schwarzes Trikot kommt sogar ins Deutsche Fußballmuseum.
Die Erkenntnis, dass sich Erfolge nicht allein an Titeln messen lassen, mussten beispielsweise in den vergangenen sieben Bundesligajahren 93 Prozent der Klubs machen: insgesamt 28 waren in dieser Zeit offiziell von der DFL für den Meisterschaftskampf registriert, aber nur zwei gewannen die Schale. Ernsthafte Gedanken, nach 34 Spieltagen ganz oben zu stehen, haben auch die wenigsten. Bayer Leverkusen schon. »Natürlich will ich Titel gewinnen«, sagte Roger Schmidt im Sommer 2014, als er das Traineramt übernahm.
Der 49-Jährige ist ehrgeizig, aber bestimmt nicht so vermessen, dass er auf den Gewinn der Champions League geschielt hat. Dort empfängt Leverkusen am Dienstagabend Atlético Madrid zum Achtelfinalhinspiel. Dieses Duell gab es schon vor zwei Jahren. Damals war Simon Rolfes Kapitän der Bayer-Elf, die sich im Rückspiel erst im Elfmeterschießen geschlagen geben musste. In der aktuellen kicker-Kolumne erinnert sich der heute 35-Jährige an die beiden Partien: »Nachdem wir im Hinspiel richtig dagegengehalten hatten, haben wir uns im Rückspiel den Schneid abkaufen lassen. Atléticos besondere Qualität ist die Mentalität.«
Was Rolfes im Frühjahr 2015 mit Bayer erlebt hat, gilt auch heute noch und verfolgt den Klub spätestens seit den tragischen Wochen der Saisonschlussphase im Jahr 2002, als in der Bundesliga, der Champions League und im DFB-Pokal gleich drei Titel verspielt wurden. Leverkusen fehlt die Siegermentalität – eine Mischung aus kühlem Kopf, kompromisslosem Kampf und dem unbedingten Glauben an die eigenen Stärken.
Das Problem ist geblieben, die Ursachen sind andere. Ganz große Namen wie Michael Ballack, Lúcio, Zé Roberto, Bernd Schneider oder Ulf Kirsten sind in Leverkusen nicht mehr zu finden. Roger Schmidt hat einen Haufen talentierter Spieler um sich geschart. Einige davon hat er auch schon ein gutes Stück auf dem Karriereweg vorangebracht: Bernd Leno, Karim Bellarabi, Julian Brandt, Jonathan Tah und Benjamin Henrichs stehen im Kader der deutschen Nationalmannschaft. Kai Havertz könnte der nächste sein.
Beim 3:1 in Augsburg betrug der Altersdurchschnitt der Bayer-Elf 23 Jahre. Die Tore schossen zwar andere, aber das Spiel bestimmte Abiturient Havertz und lieferte zudem zwei Torvorlagen. Alle schwärmen von seiner Ballbehandlung, seiner Schnelligkeit, seinem Durchsetzungsvermögen und der Gabe, das Spiel zu lesen. »Er ist zwar erst 17 Jahre alt, aber für uns ist er ein vollwertiger Spieler«, urteilt sein Trainer.
Roger Schmidt betreibt bei Bayer betreutes Spielen. Die Jugend hat zweifellos ihre Vorteile. Doch die großen Nachteile wie Leistungsschwankungen oder fehlende Erfahrung – auch als Fehlerquelle – verhindern Konstanz auf ganz hohem Niveau. Erst recht, wenn die Jungen allzu viel Verantwortung für das Spiel ihrer Mannschaft tragen. Vorgabe vor dieser Saison war Platz drei und die erneute Qualifikation für die Champions League. Derzeit trennen den Tabellenachten sieben Punkte von diesem Ziel. In der vergangenen Spielzeit rettete sich Bayer auch erst mit einem kaum noch für möglich gehalten Schlussspurt in die Königsklasse.
Und: Die Talente müssen sich nicht nur sportlich entwickeln, sondern auch als Persönlichkeiten. Kompromisslosen Kampf darf man von ihnen schon verlangen. Aber jederzeit kühlen Kopf bewahren, nicht zweifeln und immer an sich glauben? Nein, Siegermentalität ist auch dieser Leverkusener Mannschaft nicht gegeben.