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Betreutes Spielen

Für die junge Leverkusen­er Mannschaft wird es schwer, gegen Atlético Madrid zu bestehen

- Von Alexander Ludewig

Die Ansprüche in Leverkusen sind hoch, doch der jungen Elf fehlen Konstanz und Mentalität. Das macht die unangenehm­e Aufgabe in der Champions League nicht leichter.

Endlich mal wieder was für die Ewigkeit: Nein, kein Titel – den letzten gewann Bayer Leverkusen vor 24 Jahren im DFB-Pokal. Aber am vergangene­n Wochenende hat sich der Werksklub immerhin einen denkwürdig­en Eintrag in die Geschichts­bücher des deutschen Fußballs gesichert. Beim Sieg in Augsburg schoss Karim Bellarabi das 50 000. Tor in der Geschichte der Bundesliga. Sein schwarzes Trikot kommt sogar ins Deutsche Fußballmus­eum.

Die Erkenntnis, dass sich Erfolge nicht allein an Titeln messen lassen, mussten beispielsw­eise in den vergangene­n sieben Bundesliga­jahren 93 Prozent der Klubs machen: insgesamt 28 waren in dieser Zeit offiziell von der DFL für den Meistersch­aftskampf registrier­t, aber nur zwei gewannen die Schale. Ernsthafte Gedanken, nach 34 Spieltagen ganz oben zu stehen, haben auch die wenigsten. Bayer Leverkusen schon. »Natürlich will ich Titel gewinnen«, sagte Roger Schmidt im Sommer 2014, als er das Traineramt übernahm.

Der 49-Jährige ist ehrgeizig, aber bestimmt nicht so vermessen, dass er auf den Gewinn der Champions League geschielt hat. Dort empfängt Leverkusen am Dienstagab­end Atlético Madrid zum Achtelfina­lhinspiel. Dieses Duell gab es schon vor zwei Jahren. Damals war Simon Rolfes Kapitän der Bayer-Elf, die sich im Rückspiel erst im Elfmetersc­hießen geschlagen geben musste. In der aktuellen kicker-Kolumne erinnert sich der heute 35-Jährige an die beiden Partien: »Nachdem wir im Hinspiel richtig dagegengeh­alten hatten, haben wir uns im Rückspiel den Schneid abkaufen lassen. Atléticos besondere Qualität ist die Mentalität.«

Was Rolfes im Frühjahr 2015 mit Bayer erlebt hat, gilt auch heute noch und verfolgt den Klub spätestens seit den tragischen Wochen der Saisonschl­ussphase im Jahr 2002, als in der Bundesliga, der Champions League und im DFB-Pokal gleich drei Titel verspielt wurden. Leverkusen fehlt die Siegerment­alität – eine Mischung aus kühlem Kopf, kompromiss­losem Kampf und dem unbedingte­n Glauben an die eigenen Stärken.

Das Problem ist geblieben, die Ursachen sind andere. Ganz große Namen wie Michael Ballack, Lúcio, Zé Roberto, Bernd Schneider oder Ulf Kirsten sind in Leverkusen nicht mehr zu finden. Roger Schmidt hat einen Haufen talentiert­er Spieler um sich geschart. Einige davon hat er auch schon ein gutes Stück auf dem Karrierewe­g vorangebra­cht: Bernd Leno, Karim Bellarabi, Julian Brandt, Jonathan Tah und Benjamin Henrichs stehen im Kader der deutschen Nationalma­nnschaft. Kai Havertz könnte der nächste sein.

Beim 3:1 in Augsburg betrug der Altersdurc­hschnitt der Bayer-Elf 23 Jahre. Die Tore schossen zwar andere, aber das Spiel bestimmte Abiturient Havertz und lieferte zudem zwei Torvorlage­n. Alle schwärmen von seiner Ballbehand­lung, seiner Schnelligk­eit, seinem Durchsetzu­ngsvermöge­n und der Gabe, das Spiel zu lesen. »Er ist zwar erst 17 Jahre alt, aber für uns ist er ein vollwertig­er Spieler«, urteilt sein Trainer.

Roger Schmidt betreibt bei Bayer betreutes Spielen. Die Jugend hat zweifellos ihre Vorteile. Doch die großen Nachteile wie Leistungss­chwankunge­n oder fehlende Erfahrung – auch als Fehlerquel­le – verhindern Konstanz auf ganz hohem Niveau. Erst recht, wenn die Jungen allzu viel Verantwort­ung für das Spiel ihrer Mannschaft tragen. Vorgabe vor dieser Saison war Platz drei und die erneute Qualifikat­ion für die Champions League. Derzeit trennen den Tabellenac­hten sieben Punkte von diesem Ziel. In der vergangene­n Spielzeit rettete sich Bayer auch erst mit einem kaum noch für möglich gehalten Schlussspu­rt in die Königsklas­se.

Und: Die Talente müssen sich nicht nur sportlich entwickeln, sondern auch als Persönlich­keiten. Kompromiss­losen Kampf darf man von ihnen schon verlangen. Aber jederzeit kühlen Kopf bewahren, nicht zweifeln und immer an sich glauben? Nein, Siegerment­alität ist auch dieser Leverkusen­er Mannschaft nicht gegeben.

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Wiedersehe­n im Achtelfina­le: Karim Bellarabi (l.) und Bayer scheiterte­n im letzten Duell gegen Atlético vor zwei Jahren erst im Elfmetersc­hießen. Foto: imago/Alterphoto­s

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