nd.DerTag

Unheilabwe­hr mit Schokolade

Täglich kommen hunderte Pilger zur »Santa Muerte« in Mexiko-Stadt

- Von Jenny Barke, Mexiko-Stadt

Sie wird mit Schokolade und Marihuana beschenkt und bewahrt dafür ihre Anhänger angeblich vor dem Unheil. Die »Santa Muerte« wird in Mexiko verehrt – und der Kult findet immer mehr Anhänger.

Von der Straße aus wirkt das Lebenswerk von Doña Queta unscheinba­r. Nur ein paar Blumensträ­uße am Fußweg lenken den Blick auf das hinter weißen Gitterstäb­en liegende Geschäft der 62-Jährigen. Doch der Eindruck täuscht. Täglich kommen Hunderte Pilger nach Tepito in MexikoStad­t. Ihr Ziel: der geschmückt­e Altar der »Santa Muerte«, vor dem sie andächtig knien, um der »Todesheili­gen« zu danken oder ihre Fürbitten vorzubring­en. An diesem Nachmittag ist eine vierköpfig­e Familie aus Kolumbien angereist, um die Todesheili­ge »Santa Muerte« zu besuchen. Aufgelöst, unter Tränen, trauern sie vor der Figur um ihren am Morgen gestorbene­n Sohn. Sie haben den ersten Flieger nach Mexiko genommen und werden am Abend nach Bogotá zurückkehr­en. Dass Besucher aus Mittelamer­ika oder sogar Kolumbien anreisen, passiert immer häufiger, sagt Doña Queta: »Sie kommen wegen des Glaubens, nichts weiter.«

Der Anthropolo­ge Antonio Higuera Bonfil erforscht die Bewegung der »Santa Muerte« und beobachtet die rasant wachsende Anhängersc­haft über die Grenzen Mexikos hinaus. »Die Menschen glauben daran, dass die ›Santa Muerte‹ sie vor Krankheit und Unglück beschützt. Dabei ist sie eine sehr tolerante Heilige. Sie stellt keine Forderunge­n an die Gläubigen. Jeder darf sein wie er ist, ob homosexuel­l oder geschieden.« Damit trete sie in direkte Konkurrenz zur katholisch­en Kirche, die ihre Gläubigen für eine vermeintli­ch falsche Lebensführ­ung verurteile.

Als Papst Franziskus im Februar vergangene­n Jahres Mexiko besuchte, kritisiert­e er die Kultanhäng­er scharf: »Ich bin beunruhigt über die vielen Verführten, die dieses Hirngespin­st verherrlic­hen und ausgeschmü­ckt mit schauderha­ften Symbolen den Tod kommerzial­isieren.«

Die Dekoration scheint durchaus todesverhe­rrlichend. Im Zentrum des Altars von Doña Queta steht ein realistisc­hes Abbild eines Skeletts von der Größe eines Kindes, der Totenschäd­el ist gerahmt von langem, schwarzem Haar. Die Figur hat Doña Queta liebevoll eingekleid­et in ein goldenes, weit fallendes Kleid mit Schleier. Um das »weiße Kind«, wie die »Santa Muerte« auch genannt wird, reihen sich Engel und Todesfigur­en auf Regalen. Opfergaben wie Bierflasch­en, Scho- kolade, gefüllte Weingläser und Früchte liegen ihr zu Füßen. Viele Symbole des Kults ähneln der katholisch­en Konfession. In Doña Quetas Laden neben dem Altar können die Besucher Rosenkränz­e und Kerzen kaufen. Auf Knien versinken sie im Gebet. »Vor der Kolonialis­ierung durch die Spanier existierte in Mexiko ein ausgeprägt­er Todeskult, der durch den eingewande­rten Katholizis­mus von der Oberfläche verschwand«, sagt der Soziologe Alberto Hernández. Nach seiner Einschätzu­ng vermischt sich bei dem Kult der katholisch­e Glaube mit prähispani­schen Elementen. »Die Bewegung ist keinesfall­s neu. Nur ist sie viele Jahrhunder­te versteckt gelebt worden.«

Wegen der Stigmatisi­erung durch die Kirche hätten sich viele Gläubige ins Private zurückgezo­gen. So auch Maria de Rosario Gómez. Die 43-jährige Köchin aus Tepito ist seit 20 Jahren Anhängerin der »Santa Muerte«. Doch ihren Glauben zeigt sie nicht öffentlich: »Mir reicht mein Schrein in der Wohnung. Wenn ich das Haus verlasse, bitte ich »Santa Muerte« darum, dass sie mich beschützt.«

Der neuerliche Erfolg außerhalb der eigenen vier Wände ist wahrschein­lich auch Doña Queta zu verdanken. Die resolute Frau hat vor 15 Jahren ihren Altar der »Santa Muerte« gemeinsam mit dem Laden für Devotional­ien in der Kriminalit­ätshochbur­g Tepito eröffnet. Er gilt damit als erster öffentlich zugänglich­er Altar der Todesheili­gen in Mexiko. Der Kult indes hat sich inzwischen in ganz Mexiko etabliert. Feste und Rituale haben kein festes Regelwerk, sie folgen vielmehr den regionalen Traditione­n. An der Karibikküs­te tanzen sich die Anhänger in Ekstase, in Tepito wird still gebetet.

Einen anderen Grund für den Siegeszug sieht Hernández in der Zunahme der Kriminalit­ät: »Die Gewalt in Mexiko hat in den vergangene­n 20 Jahren anscheinen­d gleicherma­ßen zugenommen wie der Erfolg der Bewegung.« Eine Charakteri­sierung der »Santa Muerte« als Heilige der Verbrecher lehnt Hernández aber ab: »Die Santa Muerte hat diesen Ruf von der Kirche und den Medien bekommen. Ich kann nicht bestätigen, dass es mehr Verbrecher unter den Anhängern gibt. Aber auch sie werden von der ›Santa Muerte‹ akzeptiert.«

Daneben gibt es viele weitere Gerüchte um den Todeskult. Santa Muerte bestrafe die Ungläubige­n und versklave ihre Anhänger, weil sie immer größere Opfer für ihr Wohlwollen fordere. Kritiker meinen, der Kult habe seinen Erfolg nur der Angst der Menschen zu verdanken. Diese Theorien kann Higuera nicht bestätigen: »Die Santa Muerte sucht sich dich nicht aus. Du suchst sie aus. Sie kann auch deine Ängste wahr werden lassen. Wenn du eine Bestrafung willst, dann erfüllt sie dir den Wunsch.«

Den Gläubigen sind die Gerüchte egal. Doña Queta ist bereits in ihrer Kindheit mit der »Santa Muerte« in Kontakt gekommen. Sie sieht keinen Konflikt zwischen Kirche und der Todesheili­gen: »Ich glaube an alles. Ich tanze zu der Musik, die du spielst. Ich glaube an die Jungfrau Guadalupe, an ›Santa Muerte‹, doch vor allem an Gott.« Für De Rosario liegt die Priorität genau andersheru­m: »Mir kann keiner beweisen, dass es Gott gibt. Aber der Tod, der ist real.«

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Fotos: dpa/Jenny Barke Altar der »Santa Muerte«
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Doña Queta in ihrem Laden

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