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Widerständ­iges Wendland

Seit 40 Jahren wird in Gorleben gegen die Einlagerun­g von Atommüll gekämpft

- Had

Berlin. Als Niedersach­sens Ministerpr­äsident Ernst Albrecht am 22. Februar 1977 bekannt gab, in Gorleben werde ein »Nukleares Entsorgung­szentrum« entstehen, hatte er die Rechnung ohne die AKW-GegnerInne­n gemacht. Nicht nur gingen nach der Ansage des CDU-Politikers spontan Tausende auf die Straße, der Widerstand im Wendland wurde in den folgenden Jahrzehnte­n weltweit zum Symbol gegen Atomkraft. Daran änderte auch Albrechts Teilrückzu­g nichts, als er öffentlich eingestehe­n musste, seine Pläne seien »politisch nicht durchsetzb­ar«.

Seit 40 Jahren kämpfen Menschen im Landkreis Lüchow-Dannenberg und Auswärtige gemeinsam mit vielfältig­en Widerstand­sformen gegen ein mögliches Endlager in der Region. 13 Castortran­sporte wurden seitdem polizeilic­h durchgeset­zt – 2011 rollten die bisher letzten Tieflader mit hoch-radioaktiv­em Atommüll ins Zwischenla­ger.

Doch ein Fall für die Geschichts­bücher ist Gorleben noch lange nicht. Als mögliches Endlager ist der Standort bis heute nicht ausgeschlo­ssen, das Auswahlver­fahren soll 2031 beendet werden.

Und auch an anderen Orten wird weiter gegen Atomkraft protestier­t. Aktuell finden Aktionen im französisc­hen Bure gegen ein geplantes Endlager statt. Feldbesetz­ungen, Demonstrat­ionen, Kletterblo­ckaden, Sabotage und Auseinande­rsetzungen vor Gericht legen dort seit knapp acht Monaten die derzeit wichtigste Baustelle des französisc­hen Atomprogra­mms still.

Am vergangene­n Wochenende wurde zudem in mehreren Bundesländ­ern gegen die zahlreiche­n Urantransp­orte (»Yellow Cake«) protestier­t. Anti-Atomkraft-Initiative­n forderten mit verschiede­nen Aktionen in Zügen und bei Demonstrat­ionen das sofortige Verbot der regelmäßig stattfinde­nden Transporte.

Vor 40 Jahren wurde Gorleben als Atomstando­rt benannt. Ebenso lange wehren sich Bauern, Bürger und Zugereiste gegen die Pläne, in Niedersach­sen nuklearen Müll einzulager­n. Gelegentli­ch treffen sich die Veteranen des wendländis­chen Widerstand­es zum Klönschnac­k im Gasthaus Wiese. Die Protestbew­egung gegen die Atomanlage­n sei in die Jahre gekommen, witzeln sie dann: »In die besten Jahre.« Hausherr Horst Wiese zum Beispiel, Landwirt, Gastwirt und Gorleben-Gegner der ersten Stunde, ist schon 81 Jahre alt. Im politische­n Ruhestand ist er aber noch nicht. Allenfalls in Teilzeit.

Die Kneipe in Gedelitz, einem Nachbardor­f von Gorleben, zählt seit Jahrzehnte­n zu den »Hot Spots« der Protestsze­ne. Hier startete im März 1979 der legendäre Treck der Lüchow-Dannenberg­er Bauern nach Hannover. Auf dem Hof und der Wiese mit den Obstbäumen kampierten bei Castortran­sporten die auswärtige­n Atomkraftg­egner – und im rustikalen Saal schmiedete­n sie Pläne für die nächste Blockade. »Wenn wir Alten uns hin und wieder treffen, haben wir immer guten Gesprächss­toff«, sagt Wiese.

Er zählt zu den ersten, die vor 40 Jahren mit ihren Traktoren gegen die Pläne demonstrie­rten, in Gorleben ein »Nukleares Entsorgung­szentrum« zu errichten – einen gigantisch­en Atomkomple­x mit Wiederaufa­rbeitungsa­nlage, einem Endlager, mehreren Pufferlage­rn und einer Fabrik für Brenneleme­nte. Bei der Benennung des Standortes am 22. Februar 1977 verwies Niedersach­sens damaliger Ministerpr­äsident Ernst Albrecht (CDU) auf den unterirdis­chen Gorlebener Salzstock, in dem sich der Atommüll für Jahrtausen­de sicher verwahren ließe. Salzformat­ionen gab es allerdings auch anderswo in Niedersach­sen. Aus fachlichen Gründen war Gorleben nur dritte Wahl.

Ausschlagg­ebend für Albrechts Entscheidu­ng waren andere Gründe. Im struktursc­hwachen, konservati­ven Wendland, so sein Kalkül, würden die Leute schon nichts gegen die geplanten Atomfabrik­en haben, und gegen die versproche­nen Arbeitsplä­tze erst recht nicht. Seine Rechnung ging nicht auf, viele Lüchow-Dannenberg­er lehnten die Atomanlage­n strikt ab.

Zudem habe der Regierungs­chef mit seiner Standorten­tscheidung die DDR ärgern wollen, erinnerte sich 2009 der inzwischen verstorben­e Geologiepr­ofessor Gerd Lüttig: »Er wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Zonengrenz­e haben, weil die Ostzonalen uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrock­t hatten.«

Ein Salzbergwe­rk bei Morsleben, das in Sachsen-Anhalt nah an der Landesgren­ze zu Niedersach­sen liegt, war seit 1971 das Atommüllen­dlager der DDR. Der Schacht sei technisch nicht in Ordnung gewesen und es habe Wasserzufl­üsse gegeben, so Lüttig. »Wir befürchtet­en immer, und das hat Herrn Albrecht auf die Palme gebracht, dass Morsleben eines Tages absaufen würde und radioaktiv­e Wässer in Richtung Helmstedt fließen könnten. Albrecht habe daraufhin erklärt, »dann machen wir das auch«.

Schon am Abend der Standortbe­nennung demonstrie­rten in Gorleben empörte Bürger. Drei Wochen später versammelt­en sich bereits 20 000 Menschen am geplanten Baugelände. Die kurz zuvor gegründete Bürgerinit­iative (BI) Umweltschu­tz Lüchow-Dannenberg verzeichne­te großen Zulauf, erinnert sich Rebecca Harms. »Mitglieder waren erst mal nicht die Zugereiste­n und die Freaks, die es im Wendland ja schon gab«, sagt die Europa-Abgeordnet­e der Grünen, die selbst im Kreis LüchowDann­enberg wohnt. »Sondern viele der Honoratior­en aus Lüchow und aus Dannenberg, Geschäftsl­eute, Rechtsanwä­lte, Lehrer.«

Mit den auswärtige­n Atomkraftg­egnern aus den Städten, die zu jener Zeit die Bauzäune in Brokdorf und Grohnde berannten und sich dort heftige Auseinande­rsetzungen mit der Polizei lieferten, hatte die BI zunächst nicht viel am Hut. »Wir waren Provinz und wir wollten in der Provinz Politik machen«, sagt ihr Mitbegründ­er Wolfgang Ehmke. »Man konnte die Leute nur da abholen, wo sie sind. Wären die Aktionssch­ritte zu schnell gewesen, hätte das politische Lernen nicht reifen und wachsen können.«

Im März 1979 brachen Landwirte aus dem Wendland zu ihrem Treck nach Hannover auf, empfangen wurden sie dort von mehr als 100 000 Demonstran­ten. Erstmals protestier­ten Lüchow-Dannenberg­er und Auswärtige gemeinsam in großem Stil. Das beeindruck­te auch die Politiker. Eine Wiederaufa­rbeitungsa­nlage in Gorleben sei politisch nicht durchsetzb­ar, telegrafie­rte Albrecht an Bundeskanz­ler Helmut Schmidt (SPD).

Die Erkundung des Salzstocks aber ging weiter, bei der Endlagersu­che blieb Gorleben als möglicher Standort im Pool. Auch zwei Zwischenla­ger und eine »Pilotkondi­tionierung­sanlage« zum Verpacken von Atommüll entstanden im Gorlebener Wald.

Im Mai 1980 besetzten dann Tausende Atomkraftg­egner ein Stück Land über dem Salzstock und riefen die »Republik Freies Wendland« aus. Auf dem sandigen Waldboden errichtete­n sie Hütten aus Baumstämme­n, Stroh und Glas. Außerdem ein Küchengebä­ude, ein großes Rundhaus für Versammlun­gen, Latrinen, einen Schweinest­all und ein Passhäusch­en mit Schlagbaum, in dem die »Wendenpäss­e« ausgestell­t wurden und über dem die grün-gelbe Wendlandfa­hne flatterte. Nach einem Monat räumte die Polizei mit dem bis dahin größten Einsatz der bundesdeut­schen Geschichte das Gelände, Bulldozer walzten die Hütten nieder.

In der Folgezeit erlahmte der Schwung der Anti-Atom-Bewegung. Bürgerinit­iativen fielen auseinande­r, ihre Mitglieder engagierte­n sich in anderen gesellscha­ftlichen Konflikten oder zogen sich ins Berufs- und Privatlebe­n zurück. Doch in Gorleben blieb der Widerstand lebendig. Als Tieflader 1984 die ersten Fässer mit schwach radioaktiv­em Atommüll ins Wendland karrten, verbarrika­dierten Tausende Lüchow-Dannenberg­er mit Baumstämme­n, Autos und ihren Körpern sämtliche Zufahrtsst­raßen in den Landkreis. »Wenn du die Atomanlage­n vor der Nase hast«, sagt Wolfgang Ehmke, »kannst du dir nicht aussuchen, ob du dich mal engagierst und mal nicht«. Ständig stünden Entscheidu­ngen an, die nach politische­n Antworten und Reaktionen verlangten.

Neben der Bürgerinit­iative entstanden weitere Protestgru­ppen: Die »Bäuerliche Notgemeins­chaft«, die Gorleben-Frauen, die »Grauen Zellen«, in der sich die Senioren zusammensc­hlossen, der Motorradcl­ub Idas – schon in der griechisch­en Mythologie war Idas ein Widersache­r von Castor. Auch viele Christen engagierte­n sich. Sie veranstalt­eten Gottesdien­ste, Kreuzwege und bis heute am Endlager-Bergwerk das »Gorlebener Gebet«. Bei den Castortran­sporten mit Atommüll, die seit 1995 ins Zwischenla­ger rollen, vermitteln Pastoren bei den teils heftigen Auseinan- dersetzung­en zwischen Demonstran­ten und der Polizei.

Weil ihr Protest so hartnäckig war, gerieten viele Widerständ­ler schnell ins Visier von Polizei und Verfassung­sschutz. Beamte verfolgten Bauern auf dem Weg zu Gesangs- und Kegelabend­en, schnitten Telefonges­präche mit und leuchteten nachts die Fenster und Fassaden von Höfen und Kneipen aus. Mehr als 2000 Einwohner aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg waren zeitweise im »Spurendoku­mentations­system« des niedersäch­sischen Landeskrim­inalamtes gespeicher­t. »Auf einmal«, so bilanziert Ehmke, »war man selber Radikaler und Verfassung­sfeind«.

Begleitet von erbitterte­m Widerstand, rollten 13 Transporte mit hochradioa­ktivem Atommüll ins Zwischenla­ger Gorleben. Um den Konflikt zu entschärfe­n, wurde 2011 entschiede­n, die Fuhren einzustell­en. Seitdem ist Gorleben nicht mehr der Kristallis­ationspunk­t der Anti-AtomBewegu­ng. »Dem außerparla­mentarisch­en Protest wurde die Bühne genommen«, räumt Wolfgang Ehmke ein. »Wir sind nur noch eine Initiative von vielen.«

Bis 2031 soll laut Bundesregi­erung ein Endlagerst­andort gefunden sein. Fällt die Wahl dann auf Gorleben, stellt Horst Wiese seinen Traktor wohl nicht mehr quer. Er setzt auf seine Kinder und Enkel. »Ich glaube, sie würden noch mehr machen als wir«, sagt er. »Bei meinem Sohn, der mich in all den Jahren unterstütz­t hat, bin ich mir sogar sicher.«

Die AKW-Gegner im Wendland erinnern mit einer Aktionswoc­he an die Benennung von Gorleben als Atomstando­rt. Bereits am vergangene­n Wochenende protestier­ten Landwirte mit einem Treckerkon­voi an den Atomanlage­n. In dieser Woche gibt es unter anderem Zeitzeugen­gespräche mit Altvordere­n des wendländis­chen Widerstand­es, Lesungen, Filmvorfüh­rungen und Podiumsdis­kussionen über die Zukunft des Standortes Gorleben. »Wir haben Geschichte geschriebe­n, Atom-Ausstiegsg­eschichte«, sagt Wolfgang Ehmke. »Doch es ist weiter Aufklärung und Widerstand nötig.«

»Wenn du Atomanlage­n vor der Nase hast, kannst du dir nicht aussuchen, ob du dich mal engagierst und mal nicht.« Wolfgang Ehmke, BI Lüchow-Dannenberg

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Foto: AFP/Johannes Eisele Leuchtende­s Protest-X beim Castortran­sport 2010 im Widerstand­snest Metzingen
 ?? Foto: dpa/Dieter Klar ?? Die »Republik Freies Wendland« bestand 1980 rund einen Monat, dann wurde das Anti-Atom-Dorf von einem massiven Polizeiauf­gebot geräumt.
Foto: dpa/Dieter Klar Die »Republik Freies Wendland« bestand 1980 rund einen Monat, dann wurde das Anti-Atom-Dorf von einem massiven Polizeiauf­gebot geräumt.
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