Schulz beglückt
LINKE: Martin Schulz beklagt Probleme, für die die SPD mitverantwortlich ist
Der Kanzlerkandidat macht seine Sozialdemokraten glücklich. Schafft er das auch mit den möglichen zukünftigen Bündnispartnern?
Martin Schulz weckt Hoffnungen auf eine soziale Kurswende der SPD. Gerät die LINKE damit in Not? Oder ist das ihre Chance? Abwarten, das ist derzeit ihre Devise.
Auf der Arbeitnehmerkonferenz am Montag in Bielefeld wurde Martin Schulz als der Mann begrüßt, »der die SPD glücklich macht«. Das wiederum mache ihn glücklich, meinte der designierte Kanzlerkandidat gerührt. Das Glück hat seither kein Ende, denn Schulz deutete an, noch viel mehr Menschen glücklich machen zu wollen, durch eine Korrektur der Agenda 2010 nämlich. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I scheint er verlängern zu wollen, auch die Rente wolle er stabilisieren, versprach Schulz.
Die rot-grüne Bundesregierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte mit der Agenda 2010 eine Reform der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Renten- und Gesundheitspolitik in die Wege geleitet. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I wurde gekürzt, Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden zum Arbeitslosengeld II (Hartz IV) zusammengelegt, die Unterstützung für Langzeitarbeitslose auf das Niveau der Sozialhilfe gesenkt. Arbeitslose unter 50 Jahren erhalten maximal zwölf Monate lang ALG I, ältere Erwerbslose bis zu 24 Monate.
Konkret wurde Kandidat Schulz mit seinen Plänen bisher nicht, trotzdem warnen die Arbeitgeber bereits vor den drohenden Folgen für die Wirtschaft (Beitrag links). Doch muss nicht auch die LINKE angesichts des Hochs der SPD in den Wahlumfragen nervös werden? Sind es womöglich ihre Wähler, die sich da auf den Weg zu Martin Schulz machen? Dietmar Bartsch, Fraktionschef der LINKEN im Bundestag, zeigt sich ungerührt. Er freue sich, wenn die soziale Gerechtigkeit zum zentralen Thema der Wahlauseinandersetzung wird. »Die LINKE wird nach dem ersten Schulzhype davon profitieren«, ist er sich überzeugt. Schließlich sei die SPD für viele der Probleme, die Schulz beklagt, selbst verantwortlich. »Sie hat von den letzten 20 Jahren 16 Jahre Regierungsverantwortung getragen.« »Martin Schulz ist der Chef der APO gegen die eigene Regierung«, meint Bartsch ironisch.
Die echte APO, die außerparlamentarische Opposition, hatte bisher in der SPD im Bundestag keinen wirklichen Verbündeten für ihre sozialen Forderungen. Nun findet Martin Schulz plötzlich, dass der »Respekt vor der Lebensleistung der Menschen in unserem Lande« auf dem Spiel steht. Die SPD war bisher partout nicht dieser Meinung, auch wenn sie mit ihr ausdrücklich konfrontiert wurde. So brachte die LINKE 2013 zum zehnjährigen Bestehen der Hartz-Reformen einen Antrag in den Bundestag ein, der die entstandenen Ungerechtigkeiten darlegte und den Erwartun- gen gegenüberstellte, die mit den Reformen verknüpft worden waren. So wurde das Versprechen nicht eingelöst, stellte die Fraktion nüchtern fest, mehr Erwerbsarbeit zu schaffen. »Zwar ist die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden liegt dagegen im Jahr 2011 auf demselben Niveau wie im Jahr 2000. Rückgang der Arbeitslosigkeit ist bekanntlich bis heute eines der Argumente, welches die Befürworter der Agendapolitik vorbringen. Die LINKE konstatierte hingegen: Die Reformen bewirkten keinen Zuwachs an Arbeit, sondern ihre Umverteilung – zugunsten prekärer, nicht existenzsichernder Beschäftigung. Wer profitierte, steht hingegen fest. Die Arbeitgeber sparten durch die sukzessive Senkung des Beitragssatzes für die Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent (2006) auf drei Prozent (seit 2011) zwischen 2007 und 2013 rund 95 Milliarden Euro.
Will Martin Schulz diese Ungleichgewichte jetzt beseitigen, die Ursache sind für die von ihm beklagte wachsende Schere zwischen Arm und Reich, die zunehmende Ungerechtigkeit im Land? Seine Kritik an der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I lässt zumindest ahnen, dass seine Reformüberlegungen längst nicht so fundamental sind, wie die LINKE es für nötig hält.
Im Bundestag verteidigte die SPD die Agenda-Reformen bisher hartnäckig gegen alle Kritik. Im vergangenen Jahr legte die LINKE in einem Antrag zum wiederholten Mal die bundesweiten Fakten dar, die Martin Schulz derzeit offenbar höchst mühsam von Betroffenen erfragt. Ihren Erkenntnissen zufolge stellt sich die Lage weit schlimmer dar, als der SPDKandidat sie nach seinen Gesprächen mit den Wählern wiedergibt, wenn er die Dauer des ALG I thematisiert. »Ein Viertel aller Beschäftigten, die nach einer sozialversicherten Arbeit arbeitslos werden, fällt direkt in das Hartz-IV-System«, so legte die Linksfraktion dar. »Vielfach ist der Betrag des Arbeitslosengeldes so gering, dass zusätzlich mit Hartz IV aufgestockt werden muss.« Die SPD-Fraktion lehnte den Antrag dennoch ab.
Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende neben Bartsch, macht es nach eigener Aussage misstrauisch, dass die SPD die vorhandene MitteLinks-Mehrheit im Bundestag für die Umsetzung der Forderungen ihres Kanzlerkandidaten nicht nutzen will. »Es ergibt keinen Sinn, mit den dringend notwendigen Beschlüssen bis nach der Bundestagswahl zu warten.« Und Bartsch dazu: »Wenn es bei der Bundestagswahl nur darum geht, den Lokführer auszuwechseln, aber die Lok ansonsten weiterfahren zu lassen, dann braucht es uns nicht.« Es sei ein Erfolg seiner Partei, wenn Martin Schulz jetzt Veränderungen bei der Agenda 2010 ankündigt. »Wir brauchen aber keine Ankündigungen, sondern konkretes Handeln.«