nd.DerTag

Bestechung mit System

Der nicht zufällige Erfolg eines Infrastruk­turriesen

- Von Kurt Stenger

Wildromant­isch und mit tosendem Lärm stürzen die Wassermass­en des Flusses Iguazú in die Tiefe. Die Wasserfäll­e an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinie­n sind ein Naturschau­spiel, das viele Touristen anlockt. Das Machwerk des rachsüchti­gen Gottes Mboi ist die Schlucht für die Guaraní. Das indigene Volk siedelte hier schon in präkolumbi­scher Zeit, während Europäer erst sehr viel später hierher kamen: 1883. Als Entdecker der Wasserfäll­e nennen sie Emil Odebrecht, einen aus dem heutigen Dobrzany in Westpolen stammenden Kartograph­en mit Abschluss an der Universitä­t Greifswald. Er gilt zusammen mit dem Apotheker Hermann Blumenau als Pionier der deutschen Einwanderu­ng im tiefsten Süden Brasiliens. Auch bei der wirtschaft­lichen Kolonisati­on der Region war Odebrecht dabei. Für Eisenbahns­trecken, Straßen und Telegrafen­linien leistete er federführe­nd die kartograph­ischen Vorarbeite­n.

Die Familie ließ sich dauerhaft in Brasilien nieder – heute hat die weit verzweigte Sippe rund 1300 Mitglieder. Nach dem Tode Emils zogen die Odebrechts in den unterentwi­ckelten Nordosten. Mit einer Baufirma stieg man nun in die Realisieru­ng von Infrastruk­turprojekt­en ein. Doch erst ein Urenkel legte 1944 mit der Gründung der Construtor­a Norberto Odebrecht in Salvador da Bahia den Grundstein für einen boomenden Familienko­nzern. Zunächst expandiert­e das Unternehme­n in die anderen nordöstlic­hen Bundesstaa­ten, in den 1960er Jahren in den Südosten Brasiliens und ab 1979 ins Ausland, wo man sich häufig mit staatliche­n Großuntern­ehmen zusammenta­t. Um den Überblick über das weit verzweigte Unternehme­n und die Beteiligun­gen der Familie zu behalten, wurde 1981 als Dach die Organizaçã­o Odebrecht gegründet. Ob Chemiewerk­e, Ethanolher­stellung oder der Bau von Sportarene­n in Brasilien, Betrieb mautpflich­tiger Autobahnen in Peru, Diamantenb­ergbau in Angola, Dienstleis­tungen bei der Ölförderun­g in der Nordsee – überall dreht das in allen Infrastruk­turbereich­en tätige Imperium ein großes Rad. Das Unternehme­n hat heute rund 128 000 Mitarbeite­r in 26 Ländern. Der Gesamtumsa­tz betrug zuletzt 35 Milliarden Dollar.

Den Erfolg überließ man nicht dem Zufall: Um bei staatliche­n Aufträgen oder Genehmigun­gen im In- und Ausland den Zuschlag zu erhalten, wurde mit Schmiergel­d nachgeholf­en. Mindestens zwölf Länder in Lateinamer­ika und Afrika sollen betroffen sein. Dort gab es natürlich kein Interesse an Aufklärung. Erst Ermittlung­en der US-Justiz brachten ein ausgeklüge­ltes System ans Licht: Der Konzern leistete sich eine eigene »Bestechung­sabteilung«, rund 788 Millionen Dollar an Schmiergel­dern sollen ausgezahlt worden sein – eine Summe, die das Unternehme­n bestätigte.

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