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Trügerisch­e Sicherheit

Nazir lebte in Afghanista­n als Zivilist. Er floh, weil er von den Taliban bedroht wurde

- Von Ilona Kiss *Namen geändert

Bundesinne­nminister de Maizière spricht von ungefährde­ten Zivilisten in Kabul. Der Afghane Nazir arbeitete für eine US-Behörde – und verließ das Land, weil er von den Taliban bedroht wurde. In Hamburg kann Nazir* durchatmen. Die Angst vor den Taliban kann er vorerst abstreifen. Der 37Jährige kommt aus Kabul und hat in der afghanisch­en Hauptstadt für die UN und die US-Behörde für Entwicklun­gsarbeit (United States for internatio­nal Developmen­t kurz US AID) gearbeitet, als Fahrer und Übersetzer. Das gab zwar gutes Geld, rund 1500 US-Dollar monatlich. Doch wer für die westlichen Kräfte im Land arbeitet, der lebt bekanntlic­h gefährlich. Als die Bedrohunge­n für ihn unerträgli­ch wurden, entschied er sich, mit seiner Frau Leyla* und ihrem sechsjähri­gen Sohn Amir* zu flüchten.

Mittlerwei­le lebt Nazir mit seiner Familie seit 16 Monaten in Hamburg. Sie konnten sich einrichten in einem Pavillondo­rf. Amir geht in die Vorschule und spricht fast besser Deutsch als sein Vater. Nazir besucht derzeit einen Integratio­nskurs. »Es ist wichtig, gut Deutsch zu sprechen, damit ich eine Arbeit bekomme«, sagt er und lässt keinen Zweifel, dass er in Hamburg bleiben will.

Als sie beschlosse­n hatten, Afghanista­n zu verlassen, verkaufte Nazir sein Elternhaus weit unter Preis, er beantragte Visa und kaufte Flugticket­s in die Türkei. Das war 2015, als viele Tausende Flüchtling­e über die Balkanrout­e nach Deutschlan­d kamen.

Mit einem Schlauchbo­ot setzten sie von der türkischen Küste nach Lesbos über. Anschließe­nd nahmen sie eine Fähre nach Athen, bestiegen einen Bus nach Mazedonien und einen Zug nach Serbien. Nach einem Nachtmarsc­h von acht Stunden erreichten sie schließlic­h Ungarn. Dort meldete sich die erschöpfte Familie bei der Polizei, die sie für drei Tage in unterschie­dlichen Gefängniss­en inhaftiert­e. Weiter ging es mit dem Bus nach Österreich und Deutschlan­d – ihrem endgültige­n Ziel. »Wir wollten nach Hamburg, weil meine Schwiegere­ltern schon hier leben und meine Frau die notwendige medizinisc­he Versorgung erhält«, erläutert Nazir. Durch die ständigen Bedrohunge­n der Taliban leidet Leyla unter dem posttrauma­tischen Belastungs­syndrom, das dauerhaft therapiert werden muss.

23 Tage dauerte ihre Flucht und kostete rund 20 000 Dollar – die Kosten für diverse Schlepper. Die Frage, ob es sich lohnt, bejaht Nazir sofort: »Endlich sind wir sicher, wir können ein neues Leben beginnen und meine Frau wird richtig behandelt.«

Doch vorerst sitzt Nazir mit seiner Familie in der Warteschle­ife, sie warten auf ihren Asylbesche­id. Von dem Bundesamt für Flüchtling­e und Migration (BAMF) erwartet er, eine faire Prüfung seines Antrages. In einer zweistündi­gen Anhörung im November 2016 hat er seine Lage dargelegt und erklärt, dass eine Rückkehr als Mitarbeite­r der »Ungläubige­n« einem Todesurtei­l gleichkomm­en würde.

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