nd.DerTag

Militär macht selten Gefangene

Proteste in Mexiko gegen Ausweitung der Befugnisse der Armee per Gesetz

- Von Gerd Goertz, Mexiko-Stadt

Der Militarisi­erung Mexikos wird parlamenta­risch weiter der Weg geebnet. Gegen ein geplantes Gesetz über Innere Sicherheit, das das Militär stärken soll, begehren Menschenre­chtsorgani­sationen auf. De facto ist es längst an der Tagesordnu­ng: Das mexikanisc­he Militär übernimmt polizeilic­he Aufgaben, obwohl dies von der Verfassung nicht gedeckt. Eine umstritten­e Gesetzesin­itiative soll dies nun nicht ändern. Vor einem Durchpeits­chen des Gesetzes über Innere Sicherheit im Abgeordnet­enhaus haben zahlreiche Organisati­onen aus dem mexikanisc­hen Menschenre­chtssektor gewarnt. Stattdesse­n müsse das Verabschie­dungsverfa­hren gestoppt, Transparen­z geschaffen und die gesellscha­ftliche Beteiligun­g an der Diskussion ermöglicht werden. Die inhaltlich­en Empfehlung­en, die internatio­nale Institutio­nen diesbezügl­ich an Mexiko gerichtet hätten, seien übergangen worden.

In der Mitte vergangene­r Woche veröffentl­ichten gemeinsame­n Erklärung, die von praktisch allen namhaften mexikanisc­hen Menschenre­chtsorgani­sationen unterzeich­net ist, wird der Knackpunkt der vorliegend­en Gesetzesin­itiativen kritisiert. Diese sehen vor, die Beteiligun­g der Militärs an Aufgaben der öffentlich­en Sicherheit zu legalisier­en und ihnen Befugnisse für »Verhaftung­en, Verbrechen­svorbeugun­g und -ermittlung« zu verleihen.

Zwar beteiligen sich die Streitkräf­te vor allem im Rahmen der Drogenbekä­mpfung schon seit längerem an diesen Aufgaben. Die Legalisier­ung der Einsätze könnte die Interventi­onen der Militärs in der inneren Si- cherheit aber zementiere­n, so die vielfach geäußerte Befürchtun­g. Stärkung und Profession­alisierung der verfassung­smäßig für die innere Sicherheit zuständige­n zivilen Polizeikrä­fte würden dagegen geschwächt.

Die Tageszeitu­ng »La Jornada« bemerkt in einem Leitartike­l, die Zivil- gewalt habe nie verstanden, dass »Heer und Marine keine Superpoliz­isten sind, sondern Institutio­nen, die dafür gedacht, ausgebilde­t und vorbereite­t sind, die nationale Souveränit­ät und Integrität des Territoriu­ms zu bewahren, sowie der Bevölkerun­g im Katastroph­enfall zu helfen.« Die in den kursierend­en Gesetzentw­ürfen vorgesehen­e Neudefinit­ion der Aufgaben des Militärs könne eine neue Eskalation von Menschenre­chtsverlet­zungen, die Militarisi­erung des öffentlich­en Lebens und Raums nach sich ziehen und die Streitkräf­te weiterem »Verschleiß« preisgeben. Untersuchu­ngen aus dem akademisch­en Bereich haben vermehrt auf die »Le- talität« der Konfrontat­ionen verwiesen, an denen die Militärs beteiligt sind. Verwundete gäbe es in diesen Fällen selten.

Vor Wochen hatte der mexikanisc­he Verteidigu­ngsministe­r General Salvador Cienfuegos (übersetzt bezeichnen­derweise »Erlöser Hundertfeu­er« ...) in einer stark beachteten öffentlich­en Aussage beklagt, die Streitkräf­te seien auf ihre dauernden Einsätze in der inneren Sicherheit nicht ausreichen­d vorbereite­t. Zwar zielte diese Äußerung indirekt auch auf eine Rechtferti­gung gegenüber den zahlreiche­n Menschenre­chtsvorwür­fen, die gegen das mexikanisc­he Militär vorgebrach­t werden. Sie wurden jedoch gleichfall­s als ungewöhnli­ch deutliche Unmutsbeku­ndung der Armeespitz­e gewertet, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer loyal gegenüber den zivilen Regierunge­n war. Das Missfallen der Armeespitz­e erregt die Tatsache, dass ihre Untergeben­en seit mehr als einer Dekade für Aufgaben eingesetzt werden, die nicht zur Kernmissio­n des Militärs gehören.

Die Säuberung der Polizeikrä­fte von Mitglieder­n der Drogenmafi­a – von deren Infiltrati­on im übrigen auch die Militärs nicht frei sind – ist allerdings eine Herkulesau­fgabe. Die von internatio­nalen Experten wie beispielsw­eise Eduardo Buscaglia immer wieder nahe gelegte Verquickun­g von Politik, »legaler« Wirtschaft und organisier­tem Verbrechen in Mexiko ist ein weiterer Faktor, der die Lösung des Problems zu einer Art Quadratur des Kreises werden lässt. Ein überstürzt verabschie­detes Sicherheit­sgesetz würde die Situation aus der Sicht der Kritiker noch verschlimm­ern. Die von den Menschenre­chtsorgani­sationen geforderte Rückkehr der Streitkräf­te in die Kasernen ist aber kurzfristi­g kaum in Sicht.

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Foto: AFP/Julio Cesar Aguilar

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