Militär macht selten Gefangene
Proteste in Mexiko gegen Ausweitung der Befugnisse der Armee per Gesetz
Der Militarisierung Mexikos wird parlamentarisch weiter der Weg geebnet. Gegen ein geplantes Gesetz über Innere Sicherheit, das das Militär stärken soll, begehren Menschenrechtsorganisationen auf. De facto ist es längst an der Tagesordnung: Das mexikanische Militär übernimmt polizeiliche Aufgaben, obwohl dies von der Verfassung nicht gedeckt. Eine umstrittene Gesetzesinitiative soll dies nun nicht ändern. Vor einem Durchpeitschen des Gesetzes über Innere Sicherheit im Abgeordnetenhaus haben zahlreiche Organisationen aus dem mexikanischen Menschenrechtssektor gewarnt. Stattdessen müsse das Verabschiedungsverfahren gestoppt, Transparenz geschaffen und die gesellschaftliche Beteiligung an der Diskussion ermöglicht werden. Die inhaltlichen Empfehlungen, die internationale Institutionen diesbezüglich an Mexiko gerichtet hätten, seien übergangen worden.
In der Mitte vergangener Woche veröffentlichten gemeinsamen Erklärung, die von praktisch allen namhaften mexikanischen Menschenrechtsorganisationen unterzeichnet ist, wird der Knackpunkt der vorliegenden Gesetzesinitiativen kritisiert. Diese sehen vor, die Beteiligung der Militärs an Aufgaben der öffentlichen Sicherheit zu legalisieren und ihnen Befugnisse für »Verhaftungen, Verbrechensvorbeugung und -ermittlung« zu verleihen.
Zwar beteiligen sich die Streitkräfte vor allem im Rahmen der Drogenbekämpfung schon seit längerem an diesen Aufgaben. Die Legalisierung der Einsätze könnte die Interventionen der Militärs in der inneren Si- cherheit aber zementieren, so die vielfach geäußerte Befürchtung. Stärkung und Professionalisierung der verfassungsmäßig für die innere Sicherheit zuständigen zivilen Polizeikräfte würden dagegen geschwächt.
Die Tageszeitung »La Jornada« bemerkt in einem Leitartikel, die Zivil- gewalt habe nie verstanden, dass »Heer und Marine keine Superpolizisten sind, sondern Institutionen, die dafür gedacht, ausgebildet und vorbereitet sind, die nationale Souveränität und Integrität des Territoriums zu bewahren, sowie der Bevölkerung im Katastrophenfall zu helfen.« Die in den kursierenden Gesetzentwürfen vorgesehene Neudefinition der Aufgaben des Militärs könne eine neue Eskalation von Menschenrechtsverletzungen, die Militarisierung des öffentlichen Lebens und Raums nach sich ziehen und die Streitkräfte weiterem »Verschleiß« preisgeben. Untersuchungen aus dem akademischen Bereich haben vermehrt auf die »Le- talität« der Konfrontationen verwiesen, an denen die Militärs beteiligt sind. Verwundete gäbe es in diesen Fällen selten.
Vor Wochen hatte der mexikanische Verteidigungsminister General Salvador Cienfuegos (übersetzt bezeichnenderweise »Erlöser Hundertfeuer« ...) in einer stark beachteten öffentlichen Aussage beklagt, die Streitkräfte seien auf ihre dauernden Einsätze in der inneren Sicherheit nicht ausreichend vorbereitet. Zwar zielte diese Äußerung indirekt auch auf eine Rechtfertigung gegenüber den zahlreichen Menschenrechtsvorwürfen, die gegen das mexikanische Militär vorgebracht werden. Sie wurden jedoch gleichfalls als ungewöhnlich deutliche Unmutsbekundung der Armeespitze gewertet, die in den vergangenen Jahrzehnten immer loyal gegenüber den zivilen Regierungen war. Das Missfallen der Armeespitze erregt die Tatsache, dass ihre Untergebenen seit mehr als einer Dekade für Aufgaben eingesetzt werden, die nicht zur Kernmission des Militärs gehören.
Die Säuberung der Polizeikräfte von Mitgliedern der Drogenmafia – von deren Infiltration im übrigen auch die Militärs nicht frei sind – ist allerdings eine Herkulesaufgabe. Die von internationalen Experten wie beispielsweise Eduardo Buscaglia immer wieder nahe gelegte Verquickung von Politik, »legaler« Wirtschaft und organisiertem Verbrechen in Mexiko ist ein weiterer Faktor, der die Lösung des Problems zu einer Art Quadratur des Kreises werden lässt. Ein überstürzt verabschiedetes Sicherheitsgesetz würde die Situation aus der Sicht der Kritiker noch verschlimmern. Die von den Menschenrechtsorganisationen geforderte Rückkehr der Streitkräfte in die Kasernen ist aber kurzfristig kaum in Sicht.