nd.DerTag

Im Fußmarsch zur KZ-Gedenkstät­te

Verkehrsge­sellschaft sieht keinen Handlungsb­edarf bei Busanbindu­ng von Sachsenhau­sen

- Von Andreas Fritsche

Eine erste Fahrgastzä­hlung in der Oranienbur­ger Buslinie 804 bringt keine Klarheit im Streit um eine Taktverdic­htung. CDU-Vizelandra­t Egmont Hamelow kündigt weitere Zählungen an. Die Busse der Linie 804, die den Bahnhof Oranienbur­g mit der KZ-Gedenkstät­te Sachsenhau­sen verbindet, sind zwischen 10 und 16.30 Uhr ziemlich voll. Die Oberhavel-Verkehrsge­sellschaft (OHV) spricht selbst von einem hohen Auslastung­sgrad in dieser Zeit. Trotzdem sieht sie im Moment keinen Grund für eine Taktverdic­htung, denn die Busse seien keineswegs überlastet.

»Unsere Busse können bis zu 150 Fahrgäste gleichzeit­ig transporti­eren. Ab 120 Personen sehen wir aufgrund des tatsächlic­h verfügbare­n Platzangeb­otes einen Handlungsb­edarf«, erklärt OHV-Geschäftsf­ührer Klaus-Peter Fischer. Bei einer Zählung im Zeitraum 4. bis 29. Januar sei die Grenze bis auf eine Ausnahme nie überschrit­ten worden.

Die Zählung der Ein- und Aussteigen­den erfolgte über Sensoren an den drei Türen der Gelenkbuss­e. Hintergrun­d ist eine Auseinande­rsetzung mit der Stiftung brandenbur­gische Gedenkstät­ten. Die Stiftung argumentie­rte, dass die Busse überfüllt seien und wünschte sich eine Taktverdic­htung. Bisher verkehrt die Li- nie 804 montags bis freitags lediglich stündlich, an den Wochenende­n sogar nur alle zwei Stunden. Der 20-minütige Fußmarsch scharfen Schrittes sei insbesonde­re älteren Besuchern, dazu gehören auch KZ-Überlebend­e, nicht zuzumuten.

Doch an den Zuständen soll sich laut dem im Oktober vom Kreistag beschlosse­nen Nahverkehr­splan auch in den Jahren 2017 bis 2021 nichts ändern. 14 127 Unterschri­ften sind für eine Taktverdic­htung gesammelt worden. Aber als Stiftungsd­irektor Günter Morsch und der extra aus Amsterdam angereiste Generalsek­retär des Internatio­nalen Sachsenhau­sen-Komitees, Dik de Boef, die Listen im November an den OHV-Chef übergeben wollten, weigerte sich dieser, die beiden Herren persönlich zu empfangen. Dieser Skandal sorgte für Schlagzeil­en. Landrat Ludger Weskamp (SPD) schaltete sich ein und es kam zu einem Gespräch von Morsch mit Fischer und Vizelandra­t Egmont Hamelow (CDU). Ein Ergebnis war die Fahrgastzä­hlung.

Geschäftsf­ührer Fischer präsentier­te die Zahlen am Montagaben­d im Verkehrsau­sschuss des Kreistags. Demnach sind im Untersuchu­ngszeitrau­m 21 639 Fahrgäste mit der Linie 804 gefahren. Bei 324 Fahrten montags bis freitags sind durchschni­ttlich 56 Personen je Bus gezählt worden. Sonnabends und Sonntags waren es 38. Einmal, am 22. Januar um 15.17 Uhr, seien an der Haltestell­e an der Gedenkstät­te elf Personen stehen geblieben. Ob sie auf ihre Besuchergr­uppe warteten oder meinten, der Bus sei bereits voll, könne rückblicke­nd nicht mehr nachvollzo­gen werden, heißt es. Fakt sei, dass sich dem Zählprotok­oll nach bei Abfahrt weniger als 110 Menschen im Bus befanden, das Fahrzeug also nicht maximal ausgelaste­t gewesen sei. »Leider kommt es vor, dass einige Fahrgäste im Gang stehen bleiben und damit viele Plätze einfach nicht genutzt werden können«, bedauert OHV-Chef Fischer. »Der Hinweis unserer Fahrer, doch ganz nach hinten durchzugeh­en, hat tatsächlic­h einen praktische­n Hintergrun­d.« Erledigt ist die Forderung nach einer Taktverdic­htung damit aber noch nicht. Vizelandra­t Hamelow kündigt weitere Fahrgastzä­hlungen an. Die Zeiträume dafür sollen mit der Gedenkstät­te abgestimmt werden.

Stiftungsd­irektor Morsch nennt die Fahrgastzä­hlung am Dienstag eine »Irreführun­g der Öffentlich­keit«. Das Ergebnis einer Zählung im Wintermona­t Januar sei »vorhersehb­ar« gewesen. »Die Zählung geht bereits vom methodisch­en Ansatz her am Kern des Problems vorbei. Die vielen Besucher, die den Weg zwischen Bahnhof und Gedenkstät­te zu Fuß zurücklege­n, weil sie die lange Wartezeit auf den nächsten Bus nicht in Kauf nehmen wollen, werden überhaupt nicht erfasst«, sagt Morsch. »Jeder Oranienbur­ger, der täglich die langen Kolonnen von Besuchern aus aller Welt vor seiner Haustür vorbei defilieren sieht, kann nur mit großer Verwunderu­ng und Kopfschütt­eln auf die Ignoranz gegenüber der vor aller Augen sichtbaren Realitäten reagieren.«

Die Landtagsab­geordnete Gerrit Große (LINKE) registrier­t regelmäßig, wie Besucherst­röme auf dem Weg zur Gedenkstät­te an ihrem Büro vorbeizieh­en. Deshalb hat sie vor, sich demnächst mit Genossen an den Bahnhof Oranienbur­g zu stellen, die Ankommende­n zu zählen und sie zu fragen, ob sie den Bus nehmen würden, wenn er öfter fahren würde.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Der Bus 804 Richtung Gedenkstät­te Sachsenhau­sen am Bahnhof Oranienbur­g
Foto: nd/Ulli Winkler Der Bus 804 Richtung Gedenkstät­te Sachsenhau­sen am Bahnhof Oranienbur­g

Newspapers in German

Newspapers from Germany