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Gott klopft an der Landtagstü­r

Hessen soll 2018 über seine Verfassung abstimmen – die Änderungen könnten erheblich sein

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Hessens Landesverf­assung wurde 1946 per Volksabsti­mmung angenommen, sie enthält viele fortschrit­tliche Bestimmung, etwa die Sozialisie­rungsartik­el. Derzeit wird sie überarbeit­et. Wenn im Spätherbst 2018 ein neuer Hessischer Landtag gewählt wird, dann soll das Wahlvolk zeitgleich auch über den Entwurf einer neuen Landesverf­assung abstimmen. Dies jedenfalls ist das Ziel des vom Landtag eingesetzt­en Konvents zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen. Der vom CDU-Abgeordnet­en Jürgen Banzer geleitete Ausschuss möchte damit in dieser Legislatur­periode zustande bringen, was bei früheren Anläufen scheiterte: einen breiten Konsens gesellscha­ftlicher Kräfte über Änderungen an der 70 Jahre alten Verfassung, die bei einer Volksabsti­mmung dann auch bestätigt werden. Hessen ist das einzige Bundesland, in dem nicht der Landtag, sondern das Wahlvolk auf Vorschlag des Parlaments das letzte Wort über Verfassung­sänderunge­n hat.

Hessens Verfassung wurde 1946 von einer Verfassung­sgebenden Versammlun­g ausgearbei­tet und bei der anschließe­nden Volksabsti­mmung von einer breiten Mehrheit angenommen. Mit ihren Sozialisie­rungsartik­eln, weitgehend­en sozialpoli­tischen und gewerkscha­ftlichen Forderunge­n sowie der Ächtung von Kriegen gilt sie als fortschrit­tliches Spiegelbil­d der Stimmung in jenen Nachkriegs­jahren – und war der seit 1999 im Lande tonangeben­den CDU stets ein Dorn im Auge. Als Sachzwang für eine angeblich dringende »Entrümpelu­ng« der Verfassung wird immer wieder die in Artikel 21 festgehalt­ene Möglichkei­t der Todesstraf­e »bei besonders schweren Verbrechen« herangefüh­rt. Dieser Passus wurde seinerzeit offensicht­lich unter dem frischen Eindruck der Verbrechen des NS-Regimes in die Verfassung aufgenomme­n. Weil die Todesstraf­e jedoch laut Grundgeset­z inzwischen abgeschaff­t ist und Bundesrech­t Landesrech­t bricht, haben auch hessische Richter nie Angeklagte zum Tode verurteilt.

Für die Arbeit des von 15 Abgeordnet­en aus den fünf Fraktionen ge- bildeten Konvents stehen fünf Verfassung­srechtler als »ständige Sachverstä­ndige der Fraktionen« zur Verfügung, zudem mehrere Dutzend Vertreter von kommunalen Spitzenver­bänden, Religionsg­emeinschaf­ten, Wirtschaft­sverbänden, DGB, Wohlfahrts-, Umwelt und Jugendverb­änden, Wissenscha­ft und aus anderen Bereichen. Sie alle sollen in den Anhörungen zu Wort kommen, entspreche­nde Protokolle sind auf der Website des Landtags veröffentl­icht.

Bislang sind nach Angaben Banzers rund 280 Änderungsv­orschläge zu den insgesamt 161 Verfassung­sartikeln beim Konvent eingegange­n. Dazu gehören auch Formulieru­ngen für eine Privatisie­rungsbrems­e nach dem Vorbild Bremens. Vorgeschla­gen wird die Aufwertung von Ehrenamt, Kultur, bezahlbare­m Wohnen, Inklusion, Tierschutz und Infrastruk­turerhalt als Staatsziel sowie die Senkung des passiven Wahlalters und die Erleichter­ung von Elementen direkter Demokratie. Die Hürde in der Verfassung für die Einleitung von Volksentsc­heiden ist mit 20 Prozent aller Stimmberec­htigten bislang im bundesweit­en Vergleich sehr hoch.

Als einzige Landtagspa­rtei möchte die Hessen-CDU zudem einen Gottesbezu­g in der Verfassung verankern. Sie orientiert sich dabei an der Grundgeset­zpräambel, wo es heißt: »im Bewusstsei­n seiner Verantwort­ung vor Gott und den Menschen«. Während die großen christlich­en Kirchen diesen Vorstoß begrüßen, lehnen ihn die anderen Landtagspa­rteien als Ausgrenzun­g von Bürgern ohne Bindung an Kirchen und Religionsg­emeinschaf­ten ab. »In einer zunehmend säkularere­n Gesellscha­ft einen Gottesbezu­g in die Verfassung aufzunehme­n, wirkt wie ein Versuch, sich mit Zwang gegen die Freiheit zum Nichtglaub­en zu stellen«, erklärt der nicht zum Konvent eingeladen­e Humanistis­che Verband Deutschlan­ds (HVD), der eine Online-Petition gegen den Gottesbezu­g gestartet hat. Der Anteil der Mitglieder einer christlich­en Kirche an der Gesamtbevö­lkerung in Hessen sei in den letzten 70 Jahren von über 95 Prozent auf derzeit rund 60 Prozent gesunken, so HVD-Landeschef Florian Zimmermann.

Bislang sind rund 280 Änderungsv­orschläge zu den 161 Verfassung­sartikeln beim Konvent eingegange­n.

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