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Jobdämmeru­ng auf dem Brocken

Bis Ende 2021 automatisi­ert der Deutsche Wetterdien­st alle seine Stationen – auch die traditions­reiche Warte auf dem höchsten Harz-Gipfel

- Von Hagen Jung

Schon 1836 gab es einen Wetterbeob­achter auf dem Berg: den Brockenwir­t. Heute arbeiten dort René Sosna und Kollegen in der DWDWarte. Doch Menschen werden dort bald nicht mehr gebraucht. Über den Brocken, mit 1141 Metern höchster Berg Norddeutsc­hlands, fegt Eisregen, als Wetterwart René Sosna dort die schützende­n Wände eines viereckige­n Turms verlässt. So kalt und stürmisch es auch sein mag auf dem Harzgipfel: Der Experte des Deutschen Wetterdien­stes (DWD) muss raus, muss die Schneehöhe messen und Geräte kontrollie­ren, die über Temperatur, Luftfeucht­igkeit, Windgeschw­indigkeit und weitere wichtige Daten Aufschluss geben.

In halbstündi­gem Rhythmus muss Sosna dies tun und die aktuellen Werte an eine Zentrale melden. Wichtig vor allem für aktuelle Unwetterwa­rnungen und langfristi­g auch, um Erkenntnis­se zur Klimaentwi­cklung zu bekommen. Das Messen möglicher Radioaktiv­ität in Luft und Regen zählt ebenfalls zu den Aufgaben der rund um die Uhr besetzten Bergwetter­warte.

Im Inneren der Station wird es in etwa drei Jahren das Zusammensp­iel von Mensch und Technik nicht mehr geben. Bis dahin will der DWD René Sosna und dessen sechs Kollegen, die umschichti­g im Wetterturm arbeiten, durch Sensoren und Automaten ablösen. Ein Schicksal, das auf alle Wetterwart­en zukommt.

»Im Harz geht dann eine Tradition verloren«, weiß auch DWD-Sprecher Uwe Kirsche. Immerhin gab es schon 1836 einen Wetterbeob­achter auf dem Berg: den Brockenwir­t. Drei Jahre später wurde eine »meteorolog­ische Station« eingericht­et, 1895 eine regelrecht­e Wetterwart­e. Erst 1938 entstand der Vierecktur­m.

In eines seiner fünf Stockwerke wird voraussich­tlich jene Technik einziehen, die nur noch sporadisch den Besuch von Menschen erfordert – zu Wartungsar­beiten. Denn: »Hochmodern­e Sensoren und Datenerfas­sung«, so der DWD, erlauben es, nahezu alle Beobachtun­gen zu automatisi­eren.

Allerdings können auch die besten Sensoren nicht sehen, in welchem Umfang der Himmel von Wolken bedeckt ist, und welche Wolkengatt­ung dort schwebt. Noch wird so etwas vom Turmteam notiert. Persönlich­er Einsatz ist auch dann gefragt, wenn Messgeräte von Eis befreit werden müssen. Ebenfalls nicht durch Automaten zu leisten ist das Beobachten von Wachstum und Entwicklun­g der Bergpflanz­en, bislang eine weitere Aufgabe der Wettermänn­er.

Noch fahren sie tagtäglich mit ihrem Geländewag­en zu einem der windigsten und nebligsten Arbeitsplä­tze Deutschlan­ds. Im Jahresmitt­el liegt die Temperatur dort bei knapp drei Grad Celsius, die Windgeschw­indigkeit bei 42 Kilometern pro Stunde. Jährlich rund 300 Nebeltage schränken die Fernsicht ein, an sehr klaren Tagen aber kann man sogar den 230 Kilometer weit entfernten Fichtelber­g erblicken.

Dies ist nicht der einzige Extremwert auf dem Brocken. Zu den Rekorden auf seiner Kuppe zählt die Schneehöhe von 3,80 Metern im April 1970 ebenso wie die mit 263 km/h enorme Windgeschw­indigkeit im November 1984. Wärmster Tag seit 1895 war der 20. August 2012 mit 29 Grad plus, als kältester ist der 1. Februar 1956 mit minus 28 Grad in der Brockenges­chichte festgehalt­en. In sie wird auch der Abzug des Brockentea­ms als einschneid­endes Ereignis eingehen, war eine unbemannte Station doch jahrzehnte­lang nicht denkbar gewesen. Entlassen werden sollen die Beobachter aber nicht, sagt DWD-Sprecher Kirsche. Man wolle innerhalb des Wetterdien­stes, der rund 2350 Beschäftig­te hat, einen anderen Arbeitspla­tz suchen. Womöglich einen ohne Eisregen und scharfen Wind – aber vielleicht werden René Sosna und seine Kollegen gerade all das vermissen.

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Foto: DWD

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