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Ekstatisch­e Exaktheit

Im Kölner Museum Ludwig ist die bislang größte Retrospekt­ive des Malers und Bildhauers Otto Freundlich zu sehen

- Von Stefan Ripplinger

Wie sieht linke Kunst aus? Müssen auf ihren Gemälden Bauern hungern und sich Barrikaden türmen? Der Maler und Bildhauer Otto Freundlich erklärte, linke Kunst könne nur auf einem »kosmischen Kommunismu­s ruhen, von dem der wirtschaft­liche Kommunismu­s ein notwendige­r, wenn auch untergeord­neter Teil ist«. Weder Privateige­ntum noch fixe Gegenständ­e könne es in diesem Kommunismu­s noch geben, deshalb drücke er sich eben abstrakt aus.

Solche Ansichten erschienen schon vor 100 Jahren vielen abwegig. John Heartfield spottete, mit Freundlich­s hochfliege­nder Kunst lasse sich nicht einmal ein Dutzend Arbeiter mobilisier­en. Aber die Mobilisato­ren der Arbeiter gibt es nicht mehr und Freundlich­s Zeit muss erst noch kommen. Jetzt zeigt das Kölner Museum Ludwig die bislang größte Retrospekt­ive dieses unterschät­zten Meisters.

Unterschät­zt wurde Freundlich noch am wenigsten zu Lebzeiten, als seine Unbestechl­ichkeit zumindest den Künstlerko­llegen nicht entgehen konnte. Er trat in ihre revolution­ären Vereine ein und trat wieder aus ihnen aus, weil sie ihm nicht revolution­är genug waren. Deutlich wurde er bei seinem Austritt aus dem Deutschen Werkbund, dem Arbeitsrat für Kunst und der Novembergr­uppe: »Diese drei Institute gleichen einander wie Drillinge, gezeugt in dem Bette der Bürokratie, getauft mit dem Wasser der bürgerlich­en Kirche, durchtränk­t von dem Geiste des Snobismus, des Strebertum­s und der ganzen merkantile­n Infektion.« Gezeichnet: Otto Freundlich, 1919.

1924 nach Paris übersiedel­t, gehörte er seit ihrer Gründung 1931 zu der fortschrit­tlichen Künstlergr­uppe Abstractio­n-Création, nur um sie 1934 wieder zu verlassen, »weil der Platz eines revolution­ären Künstlers in dieser entscheide­nden Zeit einzig und allein an der Seite des revolution­ären Proletaria­ts sein muss«. Nach dieser Erklärung zog er jedoch weder in den Spanischen Bürgerkrie­g, noch begann er damit, Bauern und Barrikaden zu malen. Er saß weiter an seinen farbigen Feldern, die für ihn die »offene Gemeinscha­ft« vorwegnahm­en. Die Farbe »weiß«, was nach der »Diktatur des Proletaria­ts« kommt, nämlich die »von keiner Diktatur beherrscht­e, freie und internatio­nale menschlich­e Gemeinscha­ft«. Die Farbe weiß es. Die Farbe kennt die Zukunft. Die Farbe bringt die Zukunft.

Seine kühnen Ideen fanden keine Nachfolger, aber rangen Respekt ab. Das erwies sich 1938. Zu dieser Zeit wurde Freundlich in der Femeausste­llung »Entartete Kunst« vorgeführt. Nun sammelten Künstler in Paris für den stets mittellose­n Mann. Die Liste der Spender beginnt mit den Namen Sophie und Hans Arp, Georges Braque und Alfred Döblin und endet mit Wassily Kandinsky, Pablo Picasso und Georges Vantongerl­oo. Bei der Gelegenhei­t sah auch Samuel Beckett Werke Freundlich­s und zeigte sich von ihnen sehr angetan. Nur wenige verweigert­en die Unterstütz­ung, so Paul Klee, der betonte, er sei »im menschlich­en Recht, wenn ich selbst nicht beitrage zu etwas, was als Handlung gegen das heutige Deutschlan­d aussieht«.

Derweil trug das »heutige Deutschlan­d« Freundlich­s »Großen Kopf« von 1912 als »Entartete Kunst« durchs Land, nannte die Skulptur, die auch auf dem Umschlag des Ausstellun­gsführers zu sehen ist, »Ausgeburt einer geistesges­törten Phantasie« und ein »Machwerk«, das »im Dritten Reich ausgerotte­t« werde. Als ob das nicht genügt hätte, ließ man den »Kopf« durch eine Fälschung ersetzen, die mit ihren dicken Lippen so aussieht, wie sich noch heute manche Zeitgenoss­en einen typischen Afrikaner vorstellen. Kurz darauf breitete sich das ausrottend­e Reich gen Osten und Westen aus und rückte auch dem Juden Freundlich bedrohlich nahe. Er floh nach Südfrankre­ich, wo er von einem Nachbarn verpfiffen wurde. 1943 ist Otto Freundlich im KZ Sobibor ermordet worden.

Und dann trat eine große Stille ein. Niemand sprach mehr von dem »kosmischen Kommuniste­n«. Niemand zeigte, was von seinem Werk die Zerstörung überdauert hat. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Retrospekt­iven, die ihm 1960 und 1978 in Köln und Bonn gewidmet worden sind. Im Rheinland erinnerte man sich gelegentli­ch an den Genossen der ebenso in Vergessenh­eit geratenen »Kölner Progressiv­en« (Franz Wilhelm Seiwert, Gerd Arntz u.a.). Ein rheinische­r Künstler ist Freundlich jedoch so wenig gewesen wie ein französisc­her. Er war ein Internatio­nalist durch und durch, und wenn es etwas gibt, das, neben Farbe, seine Kunst bestimmt, dann ist es die Überwindun­g der Grenzen, aller Grenzen, ob von Nationen, Menschen oder Dingen. Die Farbe überwindet die Grenzen, aber doch ganz anders als im Expression­ismus, denn es gibt hier kein Gefuchtel und Gespritze. Seine Revolution hat System, es bildet sich schwungvol­l aus der Fläche, bleibt in der Fläche und meint doch immer den Raum, den weiten Raum.

Die Flächigkei­t unterschei­det seine Kunst vom Kubismus, dem er früh, 1908, in Paris begegnet ist. Er befreundet­e sich mit Picasso, aber von dessen Kuben wollte er nichts wissen. Er befreundet­e sich mit Sonia und Robert Delaunay, aber auch deren »Orphismus« konnte er sich nicht anschließe­n. Der reife Freundlich sucht nicht wie der Orphismus den »Simultanko­ntrast«, sondern den Verlauf, die Bahn der Farbe. Etwa ergeben sich aus Feldern in Dunkelblau welche in Hellblau und Grau. Solchen Entwicklun­gen folgt das Auge unwillkürl­ich. Die Rauten und Spitzbögen, aus denen sie sich zusammense­tzen, erinnern nicht umsonst an mosaikarti­ge Kirchenfen­ster.

1914 hatte er ein halbes Jahr in der Kathedrale von Chartres verbracht und die gotischen Ornamente ihrer Rosetten studiert. Er sah in ihnen sowohl Kompositio­n als auch »Dekomposit­ion« – ein »Wort mit kosmischer Gebärde«. Denn im Kosmos ballt sich Energie nicht nur, sie zerstreut sich auch, sein Werden und Vergehen spiegelt sich auf dem Fenster, der Membran zwischen ihm und dem Betrachter. Die Gemälde Freundlich­s sind verwandelt­e Glasmalere­i. Auf ihnen lässt er alles Erzähleris­che und Gegenständ­liche hinter sich. Farbe und nichts als Farbe ersetzt Dinglichke­it und beendet so die »Diktatur des Besitzes«. Denn was Ding, was greifbar ist, kann besessen werden, jedoch das nicht, was sich in Bewegung befindet. Deshalb vermittelt die Bewegung der Farbe Unbegrenzt­heit, nimmt sie die »freie und internatio­nale menschlich­e Gemeinscha­ft« vorweg, reißt sie einen Kosmos auf, der nicht hinterm Mond, sondern direkt neben dir und mir beginnt.

»Kosmos« ist hier ein anderes Wort für das Ganze, dessen Teile wir notwendige­rweise sind. Nur von oben wird das Gemeinsame, das Kommune, das Kommunisti­sche sichtbar. Und wer hätte zuletzt an das Gemeinsame erinnert? Es muss einer nicht glauben, was Otto Freundlich behauptet, aber seine ekstatisch­e Exaktheit mobilisier­t.

Otto Freundlich: Kosmischer Kommunismu­s. Museum Ludwig, Köln, 18. Februar bis 14. Mai, danach in Basel. Der Katalog, herausgege­ben von Julia Friedrich, ist bei Prestel erschienen, 352 S., 49,95 €.

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Foto: Donation Freundlich - Musées de Pontoise Otto Freundlich: »Kompositio­n«, 1930

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