Aufatmen bei den Bausparkassen
Hunderttausende Verträge wurden von den Anbietern gekündigt, weil sie keine hohen Zinsen zahlen wollen
Dürfen Bausparkassen alte Verträge mit guter Verzinsung einfach kündigen? »Ja«, entschied der Bundesgerichtshof am Dienstag überraschend.
Deutschlands Bausparkassen stecken in der Klemme. Das Niedrigzinsumfeld erschwert ihr Geschäft. Die von der Europäischen Zentralbank ausgelöste Geldflut erlaubt es auch Banken und Versicherern, bauwilligen Kunden preiswerte Kredite anzubieten. Die Summe der Bausparkassendarlehen sank laut Bundesbank im Jahr 2016 auf ein Rekordtief von 14 Milliarden Euro – in guten Zeiten waren es noch über 40 Milliarden.
Doch nicht allein die Erträge sinken: Zusätzlich drücken Altlasten auf die Gewinnmargen. Viele Bausparer schlossen in den 1980er und 1990er Jahren Verträge mit jährlichen Guthabenzinsen von bis zu fünf Prozent ab. Damals war Geld knapp, und die Bausparkassen buhlten um die Sparwilligen. Heute liegen solche Guthabenzinsen weit über den Zinssätzen, die Institute für Kredite kassieren.
Der Bausparvertrag werde als Kapitalanlage missbraucht, so der Vorwurf der Bausparkassen. Viele Kunden weigern sich bisher aber, freiwillig auf ihre lukrativen Altverträge zu verzichten. Die Finanzbranche reagierte darauf vor drei Jahren erstmals mit Kündigungen von Altverträgen. Nach Branchenschätzungen haben sie inzwischen mehr als 250 000 Verträge abgewickelt.
Von Anfang an war diese aggressive Gangart umstritten und Verbraucherzentralen protestierten. Abertausende Bausparer klagten vor Amtsgerichten. Wie ein Sprecher des Verbandes der Privaten Bausparkassen (VDPB) mitteilte, sind bislang über 100 Entscheidungen in Berufungsverfahren vor Oberlandesgerichten zugunsten der Bausparkassen ausgegangen. Allerdings entschieden auch schon Richter im Sinne der Sparer. Am Dienstag befasste sich nun erstmals die höchste Instanz, der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, mit den Kontenkündigungen (AZ.: XI ZR 272/16).
Die Klägerin hatte gemeinsam mit ihrem Ehemann 1999 zwei Bausparverträge über eine Bausparsumme von umgerechnet rund 100 000 Euro ab- geschlossen, mit einem Zins von bis zu 4,5 Prozent. Beide Verträge waren 2001 zuteilungsreif. Das Ehepaar hätte also einen Baukredit aufnehmen können. Stattdessen erfreute man sich der hohen Guthabenzinsen. Bis die Bausparkasse Wüstenrot 2015 die Verträge kündigte. Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte die Kündigung jedoch für nichtig erklärt.
Juristisch sind die Fälle umstritten. Dies erklärt die unterschiedlichen Begründungen von den verschiedenen Gerichten. Nahezu unstrittig ist nur, dass Bausparkassen Verträge kündigen dürfen, die vom Kunden voll bespart wurden und für die der Kunde deshalb gar kein Darlehen mehr erhalten kann. Das Bauspardarlehen entspricht nämlich der Differenz zwischen der Bausparsumme – im Fall der Wüstenrot-Kundin rund 100 000 Euro – und dem angesparten Guthaben. Wenn ein Bausparer die Sparsumme angespart hat, kann die Kasse kündigen. Denn der Zweck des Vertrages, ein zinsgünstiges Darlehen, kann dann nicht mehr erreicht werden.
Doch im Fall der Wüstenrot-Kundin war die gesamte Bausparsumme von 100 000 Euro noch nicht ange- spart worden. Rechtlich ist entscheidend, ob der Vertrag trotzdem unter das Darlehensrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB § 489) fällt – dann durfte er nach zehn Jahren von Wüstenrot gekündigt werden.
Der Stuttgarter Senat hatte dies zuvor anders bewertet. Auf Bausparverträge sei in der Ansparphase das gesetzliche Kündigungsrecht für Darlehen nicht anwendbar, hieß es damals in der Urteilsbegründung. Zudem habe die Bausparkasse freiwillig die hohen Zinsen und das damit verbundene Zinsrisiko übernommen.
Der als verbraucherfreundlich geltende XI. Zivilsenat des BGH widersprach dem nun überraschend: Die Richter folgten damit der »herrschenden Ansicht«, erklärt der BGH. Bausparkassen dürfen kündigen, wenn die Verträge seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, selbst wenn diese »noch nicht voll bespart« sind. Zuteilungsreif ist ein Vertrag, wenn die vereinbarte Ansparsumme eingezahlt, die vereinbarte Mindestsparzeit erreicht und eine bestimmte Bewertungszahl erreicht wurde. Die ist abhängig von der Ansparsumme und dem gewählten Tarif.