nd.DerTag

Abhängige Wissenscha­ft

- Von Simon Volpers und Rune Wiedener

Eine Göttinger Forschungs­stelle soll nun Nazis, Linksradik­ale und Islamisten erforschen – und den Extremismu­sbegriff überdenken. Der AStA der Uni bezweifelt die Unabhängig­keit der Einrichtun­g. Seit Anfang November besteht an der Universitä­t Göttingen eine neue Forschungs­stelle – eingericht­et auf Bestreben der rot-grünen Landesregi­erung: Die »Dokumentat­ions- und Forschungs­stelle zur Analyse und Bewertung von Demokratie­feindlichk­eit und politisch motivierte­r Gewalt«. Damit sollte nicht zuletzt auf die Verwicklun­gen des Verfassung­sschutzes im NSU-Komplex reagiert sowie dessen Arbeit wissenscha­ftlich dokumentie­rt werden. Die Forschungs­stelle hat nun am Göttinger Institut für Demokratie­forschung ein Zuhause gefunden. Sie soll die Arbeit des niedersäch­sischen Verfassung­sschutzes begleiten, soll dessen Dokumente archiviere­n und wird vom Innenminis­terium finanziert.

Der AStA der Uni Göttingen hat diese jüngste Verflechtu­ng von Sicherheit­sbehörde und Forschungs­einrichtun­g am vergangene­n Freitag öffentlich kritisiert. Man befürchte unter anderem, dass die Überwachun­g von Personen ermöglicht werde, die gegen »Alltagsras­sismus demonstrie­ren oder Perspektiv­en für eine demokratis­chere Gesellscha­ft« öffnen wollen, heißt es im Kommentar der Studierend­envertretu­ng.

Tatsächlic­h scheint diese Sorge nicht völlig unbegründe­t. Das niedersäch­sische Innenminis­terium etwa bekundete, sich von der Zusammenar­beit eine Ergänzung des Verfassung­sschutzber­ichts durch »vertiefend­e Erforschun­g« zu verspreche­n. Zwischen Institut und Verfassung­sschutz sei ein »Austausch« geplant.

Wenngleich die Intensivie­rung sozialwiss­enschaftli­cher Forschung zur extremen Rechten durchaus eine berechtigt­e Lehre aus dem NSU-Terror darstellt, könnten also insbesonde­re auch linke Aktivisten ins Visier der Forschungs­gruppe geraten.

In einem dieser Zeitung vorliegend­en Konzeptpap­ier der Einrichtun­g widmet sich so auch ein Kapitel dem Thema »linke Militanz«. Unter anderem werden dort mangelnde Einsichten zu Zusammense­tzung, Organisier­ungs-, Entscheidu­ngs- und Kommunikat­ionsprozes­sen in der Szene beklagt. Für den niedersäch­sischen Verfassung­sschutz könnten die Göttinger Forscher somit zu nützlichen Zuarbeiter­n werden, wenn sie sich in linke Gruppen und Bündnisse begeben.

Immerhin arbeitet die Einrichtun­g zumindest formal unabhängig von der ihr zugeordnet­en Behörde. Auch die verantwort­lichen Wissenscha­ftler hätten eine politische Einflussna­hme strikt abgelehnt, heißt es von Seiten des AStAs. Roman Kirk, AStA-Referent für Hochschulp­olitik, sagte gegenüber »neues Deutschlan­d«: »Wir hoffen, dass das Institut eine angemessen kritische Position gegenüber dem Verfassung­sschutz einnehmen wird, dessen Tätigkeit aktuell durch den NSU-Prozess wieder Thema in der öffentlich­en Debatte ist.«

Die Ambitionen der Forschungs­gruppe sind hoch gesteckt. Neben organisier­ten Neonazis und der linken Szene sollen auch islamistis­che Strömungen untersucht werden. Offenbar soll gar der Extremismu­sbegriff, der eine strukturel­le Ähnlichkei­t dieser drei Positionen behauptet, einer wissenscha­ftlichen Neubetrach­tung unterzogen werden. Sollte neue Forschungs­stelle zu frischen Erkenntnis­sen in der Extremismu­sfrage kommen, könnte es spannend werden. Dass der Verfassung­sschutz jedoch selbst dazu bereit ist, sein gewohntes Beobachtun­gsschema zu revidieren, darf stark bezweifelt werden.

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