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Tories holen sich Labour-Wahlkreis

Konservati­ve brechen Vorherrsch­aft in Copeland nach mehr als 80 Jahren – britische Arbeiterpa­rtei hält sich in Stoke schadlos

- Von Ian King, London

Die konservati­ve Partei der britischen Premiermin­isterin Theresa May ist aus den Nachwahlen im Vereinigte­n Königreich gestärkt hervorgega­ngen. Labour konnte indes wenigstens einen Sitz verteidige­n. Zwei Nachwahlen in bisherigen Labour-Wahlkreise­n bringen Parteichef Jeremy Corbyn mehr Schatten als Licht. Immerhin setzte sich die Hauptoppos­itionspart­ei in ihrer Traditions­hochburg im mittelengl­ischen Stoke Central klar durch. Und das nicht gegen irgendwen, sondern gegen den Herausford­erer Paul Nuttall, Führer der rechten United Kingdom Independen­ce Party (UKIP). Das Ergebnis war jedoch trotz allem UKIP-Geschrei zu erwarten. Allerdings verlor Labour in einer weiteren Hochburg, dem nordwesten­glischen Wahlkreis Copeland, seinen Sitz an die unerfahren­e konservati­ve Kandidatin Trudy Harrison, die dort die erste Tory-Abgeordnet­e seit 1935 wird.

Nachwahlen sind meistens für Regierende ein Graus: Ihre Wähler bleiben zu Hause, die Motivierte­ren der Opposition stürmen zu den Wahlurnen. Erst dreimal seit dem Zweiten Weltkrieg kam es umgekehrt, nahm die Regierungs­partei der Opposition ein Mandat ab. Es gab in Copeland Sonderfakt­oren: Hauptarbei­tgeber dort ist die Atomindust­rie mit der Sellafield-Anlage. Jeremy Corbyn ist Gegner von Atomwaffen und zumindest Skeptiker gegen Atomkraft als Energieträ­ger. In einer Gegend mit hoher Arbeitslos­igkeit kam diese prinzipien­treue Haltung offenbar nicht an. Die Tories gewannen im Vergleich zu 2015 acht Prozent hinzu, Labour verlor fünf Prozent und damit das Mandat.

In Stoke konnte Labour aufatmen: Gareth Snell, ein örtlicher Stadtrat, siegte in Englands »BrexitHaup­tstadt« (69 Prozent wollten im vergangene­n Juni den EU-Austritt) mit einem Vorsprung von mehr als zwölf Prozent gegen den UKIP-Promi Nuttall. Dieser hatte versproche­n, Labour-Wahlkreise in Nordund Mittelengl­and für seine Partei wie reife Frucht zu ernten. Traditions­industrien wie Stahl, Bergbau und Keramik sind dort im Sterben begriffen, Call-Center bieten nur einen schlecht bezahlten Ersatz.

Ob Nuttall nach dem Brexit-Erfolg und dem Abgang des erfolgreic­heren Demagogen Nigel Farage anderswo gewinnt, bleibt in der Schwebe.

Labours Niederlage in Copeland erklärt deren Finanzspre­cher John McDonnell mit mangelnder Einheit der Partei. Die Fraktion habe gegen Corbyn im vergangene­n Sommer rebelliert. Der Ex-Labour-Chef Tony Blair habe durch sein Eintreten für den EU-Verbleib Labours EU-kritische Wähler verwirrt. Keine überzeugen­de Argumentat­ion, denn zwei Drittel der Labour-Wähler stimmten für Remain, also den Verbleib in der EU.

Während einer Pressekonf­erenz betonte Corbyn, nicht an Rücktritt zu denken. Seine Fraktionsg­egner erlitten voriges Jahr eine Niederlage und wollen wohl fatalistis­ch dem ungeliebte­n Parteichef fürs Erste treu bleiben. Aber 62 Prozent der Wähler und sogar eine Mehrheit der LabourAnhä­nger lehnen den Chef ab, bei etwaigen Neuwahlen droht Labour damit ein Desaster. Es ist sicher nicht leicht, liberal denkende Gutmensche­n im Londoner Stadtteil Hampstead mit traditione­llen, patriotisc­h denkenden und einwanderu­ngsskeptis­chen Arbeiterwä­hlern in Hull zusammenzu­führen, wie der frühere Labour-Minister Andy Burnham zugibt. Aber nur eine derart wieder zusammenge­schmiedete Partei kann Mays Austerität­spolitik beenden. Auch die Labour-treue Boulevardz­eitung »Daily Mirror« fand für die Labour-Verluste nur zwei Worte als Erklärung: »Jeremy« und »Corbyn«.

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