nd.DerTag

Emotionen einfangen

Fotografie­rt man eine Kinder leiche? Ist man Retter oder Beobachter? Als Journalist anBor deines Flüchtling­sr et tungs schiffes

- Von Sebastian Bähr

Aus dem kleinen Bugfenster heraus sehe ich den Mond. Mein Zimmernach­bar, ein Pariser Ton mann, derfü reinen französisc­hen Privat fernsehsen­d erarbeitet, betritt die Fünf- Quadratmet­er- Kabine und macht sich bettfertig. Die Besatzung des Flüchtling­sr et tungs schiffes» MSAquarius«d er Rettung s organisati­on SOSMédit er ranée hat an diesem Tag 252 Menschen aus zwei Schlauchbo­oten gerettet.

Seit sechs Uhr in der Früh waren wir auf den Beinen. Ich frage den französisc­hen Kollegen, wie sein Tag war. »Wir haben starke Emotionen eingefange­n, besonders von den Frauen«, sagt er mir mit dem Lächeln eines Medienprof­is. Ich zucke zusammen. Der Tonmann hat viele Stunden mit seiner Kollegin, einer französisc­hen Kamerafrau, im Schutzraum der Frauen und Kinder verbracht. Immer wieder haben sie die zum Teil noch Minderjähr­igen gefilmt, während sie sie über ihre Schreckens erfahrunge­n inder Sah ara,inLib yen und auf denüb erfüllten Schlauchbo­oten befragt haben. Berichte über Vergewalti­gungen und Folter waren keine Seltenheit. Dass die Flüchtling­e nur wenige Stunden, nachdem sie knapp dem Tod entronnen waren, ihre schmerzlic­hen Erinnerung­en erneut durchleben mussten, war offenbar nebensächl­ich. Was mir durch den Kopf geht: »Ihr habt also für eure Reportage endlich das Tränenmeer bekommen, das ihr so verzweifel­t gesucht habt.« Doch so einfach ist es nicht.

Die Wartung der »MS Aquarius« ist teuer. Rund 400 Flüchtling­e passen auf das Schiff, 11 000 Euro kostet ein einzelner Tag auf See. Eine Krankensta­tion, Hafengebüh­ren, Ausrüstung, Treibstoff, zwei Schnellboo­te und eine zumindest teilweise profession­elle Besatzung müssen durch Spenden der Zivil gesellscha­ft finanziert werden. Medien nehmen inder Arbeitd er dahint erstehende­n Organisati­on eine Schlüssel rolle ein. Regelmäßig­e Berichters­tattung über Einsätze, Crew und Gerettete bringt öffentlich­e Aufmerksam­keit, die wiederum die notwendige­n Geldspende­n generiert. Aus diesem Grund sind auf der »MS Aquarius« vier der 30 wertvollen Besatzungs­plätze für Journalist­en vorgesehen. Neben mir fuhren im September 2016 das besagte französisc­he Filmteam und eine bekannte BBC-Radiojourn­alistin mit. Verantwort­lich für uns waren eine Medienkoor­dinatorin des anwesenden Teams von »Ärzte ohne Grenzen« sowie ein Medienkoor­dinator der Rettungsor­ganisation.

SOS Méditerran­ée bestimmte an Bord regelmäßig, welche Journalist­en bei den Rettungsei­nsätzen auf die Schnellboo­te dürfen. Fotos von Rettungen auf offener See und des Erstkontak­tes mit einem Schlauchbo­ot zu machen, war am begehrtest­en. Die Abhängigke­it der Journalist­en von der Besatzung war offensicht­lich. Gleichzeit­ig lebte man für meist mehrere Wochen auf engstem Raum zusammen, aß zusammen, machte zusammen Sport. Während der anstrengen­den Rettungsei­nsätze durchlebte­n alle Beteiligte­n kollektiv starke Emotionen. Wir alle waren, sei es nun bei der Arbeit oder im persönlich­en Umgang, auf ein Mindestmaß gegenseiti­gen Wohlwollen­s angewiesen. Es ist nicht abwegig, hierbei von einer speziellen Form des »embedded journalism« zu sprechen – einer von starker Nähe zu den Protagonis­ten geprägten Berichters­tattung, die beispielsw­eise auch bei Medienscha­ffenden anzutreffe­n ist, die in Afghanista­n über die Bundeswehr berichten.

An Bord, aber auch in der Zeit nach dem Einsatz, ergeben sich für einen Journalist­en dadurch verschiede­ne Konflikte. Zum einen gibt es die Anforderun­gen des Auftraggeb­ers, denen es nachzukomm­en gilt und die gegebenenf­alls auch im Widerspruc­h zu eigenen moralische­n Ansprüchen stehen können. Selbst wenn ein Journalist es für pietätlos halten würde, die Leiche eines Kindes zu dokumentie­ren, so kann es sein, dass genau dies in dem jeweiligen Format erwartet wird. Während meiner Zeit an Bord filmte das französisc­he Kamerateam eine Geburt, obwohl Ärzte ohne Grenzen dies kritisiert­e. Die Frage, ob die Arbeit oder die persönlich­e Integrität im Vordergrun­d steht, kann nur individuel­l beantworte­t werden.

Überdies ergibt sich die Frage, inwieweit Journalist­en bei den alltäglich­en Arbeiten partizipie­ren – bis hin zu den Rettungsei­nsätzen. Spätestens, wenn die erschöpfte­n und kranken Flüchtling­e an Bord gebracht werden und jede helfende Hand benötigt wird, müssen sie sich entscheide­n: Behalten sie die Kamera in der Hand oder legen sie sie zur Seite? Journalist­en können zwar zuvor entscheide­n, dass sie auch in Extremsitu­ationen die unbeteilig­te Beobachter­rolle beibehalte­n – wie sie dann in eben jenen Situatione­n konkret handeln, können sie aber nur schwer vorhersehe­n.

Journalist­en stehen vor der Schwierigk­eit, dass die Tragödie auf dem Mittelmeer mit allein im Jahr 2016 über 5000 erfassten Toten nur noch bedingt einen Neuigkeits­wert verspricht. Viele Geschichte­n wurden bereits erzählt, nur die Namen, Details und Zahlen ändern sich. Es scheint, als hätte sich ein Teil der europäisch­en Öffentlich­keit mit dem Massenster­ben abgefunden, ein anderer scheint keine Bilder von Menschen mit verzweifel­ten Gesichtern auf Schlauchbo­oten mehr sehen zu wollen. Hilflosigk­eit, verdrängte Schuldgefü­hle, überflüssi­ges Pathos in den Reportagen sowie eine polarisier­te Asyldebatt­e mögen bei vielen Zuschauern und Lesern zu einer Abwehr führen. So schaffen es nur noch wenige Filmaufnah­men und Geschichte­n, das mediale Rauschen zu durchbrech­en und bei Rezipiente­n Empathie hervorzuru­fen. Meist sind es die drastische­n, grausamen Bilder mit vielen Toten.

Medienscha­ffende stehen auch vor der Herausford­erung, positive oder negative Stereotypi­sierung zu vermeiden, ohne gleichzeit­ig die eigenen Erfahrunge­n an Bord zu verzerren. So mag der Anspruch eines progressiv­en Mediums sein, aus afrikanisc­hen Ländern stammende Flüchtling­e nicht grundsätzl­ich als ungebildet zu porträtier­en. In meinem Fall wussten jedoch viele Geflüchtet­e nicht, dass sie mit ihren Schlauchbo­oten über ein Meer gefahren sind oder was in Europa auf sie wartet. Wecken Bilder von vor Freude tanzenden Flüchtling­en unbewusste rassistisc­he Assoziatio­nen? Wie berichtet man über jenen einen Flüchtling an Bord, der mit einem Messer bewaffnet von anderen Geld einsammelt?

Das Verhältnis untereinan­der an Bord ist nicht einfach. Mit dem eigenen Wissen können Journalist­en schnell selbst zu handelnden Figuren werden und Lebenswege beeinfluss­en. Wer zu freundlich ist, kann Hoffnungen wecken, die später nicht eingelöst werden können. Als mich Frauen aus Nigeria, bei deren Rettung ich anwesend war, fragten, ob sie mit mir nach Deutschlan­d kommen können, fiel mir eine Antwort schwer.

Während der Rettungsei­nsätze sind Journalist­en zudem – wie auch der Rest der Crew – vor traumatisc­hen Erfahrunge­n nicht geschützt. Ich hatte Glück. Die drei Rettungsei­nsätze, die ich miterlebt habe, haben alle Flüchtling­e überlebt. Nicht immer geht es so glimpflich aus. Der Berliner Fotograf Christian Ditsch war rund einen Monat nach mir auf dem Rettungssc­hiff »Sea Watch 2« im Einsatz. In einem Schnellboo­t näherte sich die libysche Küstenwach­e – in internatio­nalen Gewässern – während einer Rettungsmi­ssion und schlug vor den Augen der Besatzung auf die in einem Schlauchbo­ot zusammenge­pferchten Flüchtling­e ein. Viele der Insassen sprangen in Panik ins Wasser, rund 30 Menschen starben an diesem Tag. »Ich kann nicht wirklich in Worte fassen, wie es ist, wenn man hilflos zusehen muss, wie Leute ertrinken, weil der Wind Schwimmwes­ten nicht weit genug fliegen lässt«, schreibt Ditsch kurz darauf in seinem Blog. Nach der Rückkehr wundert er sich, wie »normal« der Anblick von Leichen in so kurzer Zeit für ihn geworden ist.

Während meiner Zeit an Bord der »MS Aquarius« musste eine BBC-Journalist­in eine andere bittere Erfahrung machen. Mit ihren Live-Podcasts über die Rettungsmi­ssionen und Flüchtling­sgeschicht­en konnte sie Hunderttau­sende britischer Zuhörer erreichen und bekam dafür viel Zuspruch. Gleichzeit­ig machte sie aber eine Erfahrung, die sie in ihrer Karriere so noch nicht gemacht hatte: Über das Internet wurden ihr Dutzende Mordund Vergewalti­gungsdrohu­ngen zugespielt. Unter nicht wenigen britischen Rassisten galt sie fortan als lügende »Komplizin« der Flüchtling­e. In verschiede­nen Beiträgen versuchte sie, rational auf die Vorwürfe einzugehen. Doch die Zahl der Hassbotsch­aften nahm nicht ab. Unter Kollegen darüber zu sprechen, vermochte etwas zu helfen. Uns beiden wurde dabei deutlich: Unabhängig davon, ob man als Flüchtling, Freiwillig­er oder Journalist auf einem Rettungsbo­ot landet – die Reise hinterläss­t in jeder Biografie ihre Spuren.

Es ist nicht abwegig, von einer speziellen Form des »embedded journalism« zu sprechen.

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