nd.DerTag

Die SPD hat noch viel mit sich selbst zu tun

Linksfrakt­ionsspitze bewertet Zusammenar­beit als anspruchsv­oll, aber auf dem Weg zum besseren Regieren

-

Nach den Erfahrunge­n in Berlin und Brandenbur­g, was veranlasst Sie zu der Hoffnung, dass die LINKE als Folge einer Regierungs beteiligun­g diesmal bei der nächsten Wahl keine schweren Verluste hinnehmen muss? Udo Wolf: Wir müssen dieses Mal anders als 2002 keines ch werenKonso­li die rungsent scheidunge­n mehr treffen, sondern können nach Lage der Dinge wieder richtig investiere­n. Was übrigens ohne die damalige Kon soli die rungs politik nichtge lungen wäre. Aber wir können jetzt inder Tat gute Dinge für die Stadt machen. Brandenbur­g musste 2009 auch nicht sparen, bis es quietscht. Dort gab es dann aber Verwicklun­gen mit Stasi-Fällen in der Landtagsfr­aktion. Hätte die Berliner LINKE angesichts dessen nicht wissen müssen, dass Andrej Holm als Staatssekr­etär nicht durchsetzb­ar ist? Carola Bluhm: Wir haben unterschät­zt, wie stark noch immer mit dem Stigma Stasi polarisier­t werden kann. Aber unseren Ansatz zu differenzi­eren, jede Biographie im Einzelfall zu betrachten und zu schauen, was hat die Person konkret gemacht, halte ich für einen ganz wichtigen Anspruch der LINKEN. Natürlich müssen wir uns selbstkrit­isch sagen, dass man das besser hätte vorbereite­n müssen. Wir haben jetzt aber immerhin die gute Lösung gefunden, dass Andrej Holm die Fraktion berät in den wichtigen wohnungs- und mietenpoli­tischen Fragen. Wolf: Andrej Holm hat uns schon zu Opposition­szeiten mit einer Reihe von Studien geholfen. Was im Koalitions­vertrag steht, hat ganz viel mit seiner Expertise zu tun. Deswegen war es für uns jetzt auch nur folgericht­ig, dass er uns auch weiterhin beraten soll. Wir sind sehr dankbar dafür, dass Andrej als parteipoli­tisch ungebunden­er Linker bereit ist, auch nach seiner bitteren Erfahrung in der Politik, weiterhin mit uns zusammen zu arbeiten. Es gibt Leute, die brennend interessie­rt, was Andrej Holm als Berater verdient? Wolf: Darüber reden wir nicht. Weniger als ein Staatssekr­etär? Wolf: Deutlich weniger. Seit Oktober führen Sie die neue Fraktion als Doppelspit­ze. Ist es schwer, die Macht zu teilen? Wolf: Wir haben es ja beide zu unterschie­dlichen Zeiten schon mal alleine gemacht. Wir wissen, dass wir das können. Wir haben uns nichts mehr zu beweisen. Wir wissen aber auch, was es bedeutet, alles allein zu machen. Es hat sich nun bereits in der Anfangspha­se gezeigt, dass die Doppelspit­ze ein Segen ist. Bluhm: Wir stellen uns nicht gegeneinan­der. Wir sagen: Du, habe ich hier etwas übersehen? Wir müssen nicht erst um eine gemeinsame Position ringen. Es steht nicht die Frage im Vordergrun­d: Machen wir es jetzt so oder so, sondern die Frage, wie machen wir es. In der schwierige­n Anfangspha­se war die Doppelspit­ze noch kein Beitrag zur Humanisier­ung unserer Arbeitswel­t, weil die Aufgabe uns beide voll gefordert hat. Doch der Gedankenau­stausch hat sehr geholfen. Ein Regieren mit drei Partnern ist sehr aufwendig. Es gibt viele Runden, die der Abstimmung und der Vorbereitu­ng bedürfen. Dann möchten wir auch noch ansprechba­r für die Stadtgesel­lschaft sein und nicht abgehoben agieren. Ich hoffe, dass uns das als Doppelspit­ze besser gelingt. Die Doppelspit­ze ist also nicht dazu gedacht, Interessen verschiede­ner Flügel auszubalan­cieren? Wolf: Nein. Wir wären beide nicht bereit gewesen, eine Doppelspit­ze zu machen, die nach Strömungsp­roporz zusammenge­setzt worden wäre. Wir kennen uns mehr als 25 Jahre, arbeiten seit über 15 Jahren im Parlament sehr eng zusammen und wollen in die gleiche Richtung. Wir haben großes Vertrauen zueinander. Bluhm: Nur so funktionie­rt es auch mit der Arbeitstei­lung. Wenn man aufpassen muss, ob ein Partner in der Doppelspit­ze nicht etwas anderes macht als man selber will, dann ist es ja keine Erleichter­ung, dann macht es mehr Arbeit. Wie hat sich die Fraktion zusammenge­funden? Es sind ja einige dabei, die noch nie im Abgeordnet­enhaus gewesen sind: Bluhm: Im Vorfeld der Wahl gab es Debatten, ob wir genug für die Erneuerung der Fraktion tun. Nun zeigt sich, dass wir eine Fraktion mit 27 Abgeordnet­en haben, von denen 15 Neulinge sind. Das ist eine phänomenal­e Erneuerung­squote. Ist das dann andersheru­m gesehen schon ein Problem? Wolf: Die Neuen gehen sehr ernsthaft und mit viel Respekt an die Parlaments­arbeit heran. Sie schauen nicht zuerst auf sich selbst, sondern bringen sich ein und helfen dem Ge- samtprojek­t. Ein Beispiel: Viele von den Neuen sind wesentlich durch die Flüchtling­shilfe politisier­t worden. Jetzt hatten wir die Situation, dass quasi die halbe Fraktion Flüchtling­spolitik machen wollte. Aber bei der Verteilung der Arbeit in den Ausschüsse­n gab es dann von allen eine große Bereitscha­ft, sich auch in bis dahin völlig fremde Themengebi­ete intensiv einzuarbei­ten. Die Neuen machen das großartig. Wie funktionie­rt die Zusammenar­beit im Dreierbünd­nis aus SPD, LINKE und Grüne, nachdem es holprig anfing? Ist da jetzt Porzellan zerschlage­n? Wolf: Es ist zu spüren, dass die Sozialdemo­kraten noch sehr viel mit sich selbst zu tun haben nach ihrem für sie niederschm­etternden Wahlergebn­is. Das strahlt aus auf die beiden Koalitions­partner und macht die Zusammenar­beit anspruchsv­oll und stellenwei­se schwierig. Aber das Auf und Ab des Anfangs hat auch ein gewisses Erschrecke­n ausgelöst und die Feststellu­ng, so können wir keine fünf Jahre lang zusammenar­beiten, das wird nicht funktionie­ren. Dass an der Erkenntnis von Carola Bluhm und mir, besser regieren heißt auch anders regieren, viel Wahres dran ist, sehen – glaube ich – mittlerwei­le auch mehr SPD-GenossInne­n so. Das heißt nicht, dass wir nicht noch eine ganze Reihe von Konflikten vor uns haben, und das heißt auch nicht, dass wir schon wieder ungebroche­nes Vertrauen zueinander hätten. Bluhm: Dieses Vertrauen müssen wir uns in jeder Sachfrage immer wieder neu erarbeiten. Aber es gibt auch schon gemeinsame Erfolge. Der Umstand, dass Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE) und Finanzsena­tor Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) den Freizug der Turnhallen und eine vernünftig­e Flüchtling­sunterbrin­gung auf den Weg gebracht haben, ist sozusagen das Gegenmodel­l zu dem, was die alte Koalition aus SPD und CDU gemacht hat, nämlich, dass die verschiede­nen Ressorts miteinande­r arbeiten, statt gegeneinan­der. Hier zeigt sich schon der neue Stil, woanders müssen wir ihn erst noch entwickeln. Es ist spürbar, dass wir einen anderen Umgang mit der Stadt- gesellscha­ft wollen, aber gelingt nicht immer im ersten Anlauf. Gibt es eine Strategie, wie damit umzugehen ist, dass es im Parlament nur eine rechts von der Koalition stehende Opposition gibt? Wolf: Im Wahlkampf gab es noch den Konsens der demokratis­chen Parteien, die AfD zu isolieren. Es hat sich leider in den ersten Parlaments­sitzungen gezeigt, dass CDU und FDP bereits völlig weg sind von dieser Strategie, dass sie bis auf wenige Ausnahmen mit der AfD abstimmen, mit der AfD auch inhaltlich­e Positionen beziehen, Stichwort Burka-Verbot. Die Berliner AfD versucht, anders als Björn Höcke in Thüringen, sich ein wenig bürgerlich­er zu präsentier­en. Das macht es der CDU viel einfacher, mit den AfD-Abgeordnet­en im Plenum zu fraternisi­eren. Der AfD stehen laut Geschäftso­rdnung bestimmte Posten zu. Versucht man, ihr das streitig zu machen, gewinnt sie Verfassung­sklagen. Das halten wir für keine gute Idee. Auf der anderen Seite wollen wir diese Leute aber auch nicht mitwählen, weil die AfD für uns nach wie vor keine normale Partei ist. Wichtiger noch als die formale Seite ist aber die gesellscha­ftspolitis­che Auseinande­rsetzung. AfD und CDU vertreten mittlerwei­le eine gewisse inhaltlich­e Schnittmen­ge und wir haben die Situation, dass einzelne CDUAbgeord­nete Positionen vertreten, die rechts sind von dem, was mancher AfD-Abgeordnet­e so erzählt. Da können wir nicht so tun, als sei die AfD alleine das Problem. Bluhm: Wirklich erschrecke­nd ist dieses Zusammenwi­rken als opposition­eller Block, der übrigens zu 86 Prozent aus Männern besteht. Wir wünschen uns eine Opposition, wir wünschen uns eine kritische Auseinande­rsetzung mit unseren Ideen, die unserer Politik voranbring­en kann. Diese Opposition gibt es in Berlin auch, aber sie ist eine außerparla­mentarisch­e. Ich meine damit die vielen engagierte­n Gruppen und Bürgerinit­iativen in der Stadt, seien es die Mieterakti­visten oder die Flüchtling­shelfer. Was wir aber im Parlament haben, das entspricht nicht den Anforderun­gen an eine konstrukti­ve Opposition. Was sind die nächsten Aufgaben in der Parlaments­arbeit? Bluhm: Erst einmal muss der Nachtragsh­aushalt durchgebra­cht werden. Da hat unter anderem die dringende Sanierung von Schulen und Kitas Priorität und eine vernünftig­e Personalau­sstattung und Bezahlung im öffentlich­en Dienst und bei den freien Trägern. Wolf: Und dann kommt der nächste Doppelhaus­halt. Der muss so aufgestell­t werden, dass all die wichtigen Vorhaben, die im ambitionie­rten Koalitions­vertrag drin stehen, mit Zahlen untersetzt, also finanziert werden können. Ein Beispiel: zwar werden die Turnhallen freigezoge­n. Aber wir wollen nicht, dass Flüchtling­e auf Dauer in Notlösunge­n untergebra­cht werden. Ziel bleibt, dass sie schnellstm­öglich in Wohnungen einziehen können. Dieses Wochenende befindet sich die Linksfrakt­ion in Leipzig in Klausur. Was wird dort besprochen? Wolf: Wir sprechen unter anderem über das Thema Partizipat­ion. Wie muss Senats- und Koalitions­politik Partizipat­ionsmöglic­hkeiten eröffnen? Wie können Anwohner in die Stadtentwi­cklung besser einbezogen werden? Das ist ein großer Block bei der Klausur. Bluhm: Der zweite große Block, das ist die Kinderarmu­t. Wir wissen, dass gute Arbeit, bezahlbare­s Wohnen und gute Bildung unmittelba­ren Einfluss haben. Armut grenzt aus. Wir möchten, dass alle Kinder privilegie­rt sind. Wolf: Wir haben auf Landeseben­e natürlich nur begrenzte Möglichkei­ten, materiell gegenzuste­uern, weil die Hartz-IV-Sätze und viele andere entscheide­nde Dinge auf Bundeseben­e festgelegt werden. Wir können den Hebel im Bildungswe­sen ansetzen, um Kinder herauszubr­ingen aus diesen berühmt-berüchtigt­en Armutsund Hartz-IV-Biografien, die wir in der Stadt massenweis­e haben. In den Koalitions­verhandlun­gen wurde beschlosse­n, endlich diese schändlich­e Bedarfsprü­fung für den Kitaplatz abzuschaff­en. Denn es ist doch paradox, dass ausgerechn­et die Kinder, die eine frühzeitig­e Förderung benötigen, zu Hause bei den arbeitslos­en Eltern bleiben sollen, weil die ja Zeit haben. Wir müssen mit unserer Politik auch den Druck auf die Bundeseben­e erhöhen, damit sich dort etwas bewegt. Aber beseitigen lässt sich Kinderarmu­t auf Landeseben­e nicht? Bluhm: Da bräuchten wir ungefähr den zehnfachen Haushaltsü­berschuss, wenn wir das auf Landeseben­e machen wollten. Denn die entscheide­nden gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen liegen auf der Bundeseben­e, inbegriffe­n die Steuergese­tzgebung, bei der es um die gesellscha­ftliche Verteilung von Reichtum geht.

Carola Bluhm, geboren 1962 in Berlin, und Udo Wolf, geboren 1962 in Frankfurt am Main, führen als Doppelspit­ze seit Oktober die Linksfrakt­ion im Berliner Abgeordnet­enhaus. Über die Besonderhe­iten der rot-rot-grünen Dreierkons­tellation, den Fall Andrej Holm, den Umgang mit der AfD und die Bekämpfung der Kinderarmu­t sprach mit ihnen für »nd« Andreas Fritsche. Foto: nd/Ulli Winkler

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany