nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Regina Stötzel

Wenn sich plötzlich ein Freund und Kollege im Polizeigew­ahrsam einer sich prächtig entwickeln­den Diktatur befindet, tut man merkwürdig­e Dinge. Man fährt hupend durch die Stadt, kauft eine Zeitung von Springer. Man liest alles zu dem Fall, versucht alles mitzubekom­men. Gerade das ist oft keine Freude, und unter anderen Umständen wäre dringend davon abzuraten.

Einige Redakteure beim »neuen deutschlan­d« kennen Deniz Yücel, den Türkei-Korrespont­en der »Welt«, der seit eineinhalb Wochen in Istanbul festgehalt­en wird, haben mit ihm zusammenge­arbeitet, mögen ihn sehr, sehr gern. Ich habe ein bisschen davon mitbekomme­n, wie er sich in diese unglaublic­he Stadt am Bosporus verliebte. Vor zehn Jahren produziert­e die »Jungle World« dort eine Ausgabe und Deniz war unser großer Organisato­r. Wer ihn kennt, weiß, was das heißt: Es war anstrengen­d, chaotisch, aber auch wunderbar, intensiv und niemals langweilig.

Ende 2013 traf ich ihn in Istanbul, als er für sein Buch zu den Gezi-Protesten recherchie­rte. Für die »taz« war er dabei gewesen, als dort antikapita­listische Muslime »Fastenbrec­hen« begingen, widerständ­ige Hochzeiten gefeiert wurden und Schwule sich Wasserwerf­ern entgegenst­ellten. Linke, Liberale, Säkulare, Gläubige, Kurden, Aleviten, Kemalisten, Ultras von Besiktas und viele andere kämpften für eine neue, offene Türkei. Deniz, der Flörsheime­r, der zuvor über alles Mögliche geschriebe­n hatte, verfolgte den gesellscha­ftlichen Wandel – wie alles, was er tut – leidenscha­ftlich und kritisch. Als er TürkeiKorr­espondent wurde, war die Aufbruchst­immung längst vorbei, das Land entwickelt­e sich in die entgegenge­setzte Richtung. Deniz entging nichts davon; die Hoffnung verlor er trotzdem nicht. Noch unmittelba­r nach dem niedergesc­hlagenen Putsch zog er die – äußerst geringe – Möglichkei­t in Erwägung, dass »Demokratie und Rechtsstaa­t gestärkt und die zerrissene Gesellscha­ft geeint aus der Krise hervorgehe­n« könnten.

Zwei Tage später beobachtet­e er AKP-Fans auf dem TaksimPlat­z, der einmal der Gezi-Bewegung gehört hatte: »Es klingt, als würden sie einen weit größeren Triumph feiern als die Niederschl­agung des Putsches.«

Bekanntlic­h hat Erdogan mittlerwei­le Politik, Verwaltung, Justiz, Bildung, Militär, Medien und Verbände nach Kräften gesäubert, verboten, aufgelöst. In keinem Land sitzen mehr Journalist­en im Gefängnis als in der Türkei. »Deniz hat Schweigen nie akzeptiert«, schreibt sein türkischer Freund und Kollege Bülent Mumay in der »FAZ«, und dass er mutig blieb, obwohl es riskant war. Wer meint, der Haftbefehl gegen Deniz habe irgendetwa­s mit realem »Terrorverd­acht« zu tun, hat den Schuss nicht gehört. Ein »faires rechtsstaa­tliches Verfahren« kann man ebenso von einer Spinne fordern, die ihre Mahlzeit eingewicke­lt vor sich hat. #freedeniz

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