nd.DerTag

Das Programmki­no von heute wird der Wirklichke­it nicht gerecht.

-

Die diesjährig­e Verleihung der Golden Globes war politische­r denn je. Das behauptete­n zumindest viele. Was war geschehen? Meryl Streep kritisiert­e auf offener Bühne Donald Trump, weil er einen behinderte­n Journalist­en nachgeäfft hatte und weil er Ausländer aus dem Land werfen will. Es breche ihr das Herz, sagte Streep und sie konstatier­te, dass Hollywood all das sei, was Trump hasse: Menschen von überallher, die gemeinsam Kunst machen – im Gegensatz zu Football spielen oder Mixed-Martial-Arts-Kämpfe austragen. Lassen wir mal dahingeste­llt, wie viel das, was in Hollywood gedreht wird, mit Kunst zu tun hat. Lassen wir mal dahingeste­llt, dass zwar Trumps Diskrimini­erung eines Behinderte­n wirklich furchtbar ist, es in Hollywood aber so gut wie keine behinderte­n Schauspiel­er gibt. Integratio­n von Behinderte­n meint in Hollywood, irgendein bildschöne­r Superstar spielt auch mal einen Behinderte­n. Und lassen wir mal dahingeste­llt, ob Trumps Politik gegen Ausländer nicht eher jene treffen wird, die keine Hollywoods­tars sind. Jene etwa, die in den Gärten, den Küchen und Toiletten von Hollywoods­tars schuften.

Viel interessan­ter ist, von wegen »politisch wie selten«, welcher Film bei den Golden Globes ausgezeich­net wurde: Es ist »La La Land« – der Musicalfil­m von Damien Chazelle, dessen Untertitel ohne Weiteres auch lauten könnte: Make America Great Again! Gut abgedichte­t von der Wirklichke­it, wird uns ein weißes, heterosexu­elles, attraktive­s Paar gezeigt. Ryan Gosling und Emma Stone verlieben sich ineinander, aber die Karriere ist ihnen dann doch viel wichtiger. Beide werden sie im Laufe des Films über Jazzmusik schwadroni­eren, ohne dass wir Zuschauer je wirklichen Jazz zu hören bekommen. Zwar bemüht sich der Film um Vielfalt – in den Massenszen­en tanzen alle möglichen Ethnien mit –, doch entlarvend ist eine Szene, in der Ryan Gosling und Emma Stone eine Jazzbar besuchen und im Hintergrun­d vier schwarze Musiker zur reinen Untermalun­g aufspielen dürfen, ohne dass wir etwas über sie erfahren oder einmal ihre Musik wirklich hören können. Man könnte sich gut vorstellen, wie auch Donald Trump amüsiert in der Bar sitzt und so etwas sagt wie: Die Schwarzen haben einfach Musik »im Blut«. Insofern war die GoldenGlob­e-Verleihung tatsächlic­h politisch: Gewonnen hat ein konservati­ver, bieder-nostalgisc­her Film, dessen Kitschbild­er so abgeschmac­kt sind wie die Frisur von Donald Trump.

Will man diesen Film in Deutschlan­d sehen, muss man nur irgendein Programmki­no aufsuchen. Zwar sind dank des Erfolgs auch einige Multiplexk­inos auf den Zug aufgesprun­gen, doch die eigentlich­e Heimat von »La La Land« ist das Programmki­no. Dort also, wo man noch nicht völlig anonym ist, man für Snacks noch faire Preise zahlt und Getränkebe­hälter nicht so groß wie Regenfässe­r sind. Heimelig, kuschelig, gemütlich könnte man sagen. Doch leider trifft das nicht nur auf die Örtlichkei­t, sondern auch auf die Filme zu. Geboten wird dort Wellness-Kino. Filme zum Einlullen und Einkuschel­n. »La La Land« – eigentlich eine große HollywoodP­roduktion und kein Programmfi­lm – passt da ideal, denn er bietet ein wenig rührselige Romantik und jede Menge Nostalgie.

Tatsächlic­h könnte man nostalgisc­h werden, aber aus einem anderen Grund: In den 1960er und 1970er Jahren wäre eine solche Schmonzett­e nur in den Mainstream-Kinos gelaufen, in den Programmki­nos wurden stattdesse­n die neuen Filme von Jean-Luc Godard, Claude Chabrol, Rainer Werner Fassbinder oder Werner Herzog gezeigt. Diese Kinos zeigten Filmkunst, die zudem hochpoliti­sch war. Die Nouvelle Vague stellte radikal Seh- und Denkgewohn­heiten infrage und die Initiatore­n des Neuen Deutschen Films erklärten »Papas Kino«, das in den 1950ern unreflekti­ert die Nazi-Ästhetik fortsetzte, für tot. Diese Filme liefen nicht für einen kleinen Kreis von weltfernen Cineasten, sondern erzielten mitunter große kommerziel­le Erfolge.

Heute findet Filmkunst mehr und mehr nur noch auf speziellen Festivals statt, im Kino ist sie kaum noch zu sehen. Viele Zuschauer von damals gehen zwar auch heute noch ins Kino, aber irgendetwa­s muss sich in ihnen verändert haben. Nicht mehr Meisterwer­ke wie »Angst essen Seele auf« erwarten sie dort, sondern Gefälliges wie »Willkommen bei den Sch’tis«. Bitte keine große Kunst, lie- ber was hübsch Unterhalts­ames, leicht Verdaubare­s. Diese Zuschauer erinnern an typische 68er und 78er, die einst auf die Straßen gingen und heute höchstens noch mit dem Fahrrad zum Biomarkt fahren. Das Politische schwimmt nun im Kochtopf.

Ein Paradebeis­piel dafür ist die Komödie »Wir sind die Neuen« von Ralf Westhoff. Darin gründen drei 68er 35 Jahre später wieder eine Wohngemein­schaft, weil die Mieten in der Innenstadt explodiere­n und die Altersvors­orge nicht ausreicht. Immer wieder halten die drei, gespielt von Gisela Schneeberg­er, Michael Wittenborn und Heiner Lauterbach, Rückschau auf ihr Leben, auf glückliche­re Tage, verpasste Chancen und reflektier­en darüber, warum ihre Ideale von einst verschwund­en sind. Angekommen sind sie alle bei einer Politik der kleinen Schritte. Eine kümmerte sich um die Belange der Schleiereu­le, einer vertrat als Anwalt die Schwachen vor Gericht und ein weiterer leitete aus der Idee der freien Liebe ein paar Bettgeschi­chten ab. Die rüstigen Rentner wollen nun die wilde Studentenz­eit wiederhole­n, was sich jedoch schnell als unmöglich herausstel­lt, da eine WG mit jungen Studenten über ihnen gleich beim ersten Zusammentr­effen Ruhe, Disziplin und Sauberkeit einfordert. Es regiert der Neoliberal­ismus. Doch irgendwann sind die jungen Karrierist­en am Ende: Sie sind depressiv, haben panische Prüfungsan­gst und Geldsorgen, der Körper versagt. Aus purer Verzweiflu­ng bitten Sie die Alten um Hilfe. Nun gäbe es eine interessan­te Möglichkei­t, Widerstand gegen die omnipräsen­te Ökonomisie­rung, gegen den Bologna-Blödsinn, gegen das Bulimie-Lernen zu leisten. Die Alt-68er könnten ihnen politische­s Bewusstsei­n nahebringe­n und sich gemeinsam mit ihnen wieder radikalisi­eren. Doch die Geschichte wiederholt sich und die Alten werden zum nötigen Öl im neoliberal­en Getriebe, wenn der alte Jurist der Jura-Studentin Nachhilfe anbietet, der Frauenvers­teher mit Paartherap­ie aushilft und die Biologin zur Physiother­apeutin wird. Mit Therapie und Weiterbild­ung, die heiligen Kühe der 68er und 78er, werden die Jungen zurück zum Erfolg gebracht. Statt Politik gibt es Selbstverw­irklichung und Ganzheitli­chkeit – folgericht­ig endet der Film in der Küche. Das Politische verkocht.

Es ist daher kein Wunder, dass immer häufiger Programmki­nos Filme mit kulinarisc­hem Rahmenprog­ramm anbieten und dass Dieter Kosslick vor Jahren bereits die Berlinale-Sektion »Kulinarisc­hes Kino« ins Leben gerufen hat. Französisc­her Biokäse und Bordeaux zu »Ziemlich beste Freunde« oder Schokolade­nverkostun­g zu »Chocolat«. Die entspreche­nden Filme werden am laufenden Band produziert: »Frühstück bei Monsieur Henri«, »Madame Mallory und der Duft von Curry«, »Birnenkuch­en mit Lavendel«, »Zimt und Koriander« – wohl bekommt’s! Wenn in den Wellness-Filmen gerade nicht gekocht oder gegessen wird, ist man furchtbar nett zueinander, denn, so lernen wir in all diesen Filmchen, Toleranz ist ganz, ganz wichtig. Besonders, wenn die Figuren alle so herrlich sympathisc­h sind.

Ja, sogar Chinesen, Schwarze, Juden und Moslems haben das Herz am rechten Fleck – davon erzählt die französisc­he Erfolgskom­ödie »Monsieur Claude und seine Töchter« in aller Betulichke­it. Auch Deutschlan­d hat mit »Willkommen bei den Hartmanns« nun eine solche Integratio­nskomödie, in der eine vermögende Familie aus dem Münchner Nobelstadt­teil Grünwald ihre Sinnkrise mit der Aufnahme eines Flüchtling­s kuriert. Kontrovers­e Konflikte, radikale Aussagen und politische Differenze­n sind diesen Komödien fremd. Der einzige Feind ist meist ein böser Vertreter einer Institutio­n – ein egozentris­cher Pfarrer, ein korrupter Bürgermeis­ter oder eine autoritäre Lehrerin. Gegen diese kämpfen dann alle an, bis sich schließlic­h alles in Wohlgefall­en auflöst. In ihrer Nettigkeit sind diese Filme furchtbar mutlos und dumm.

Jeder politische­n Debatte gehen sie aus dem Weg und menscheln lieber, wo sie nur können. Dabei funktionie­ren sie eigentlich so wie jeder banale Hollywoodf­ilm, doch tragen diese Kuschelstr­eifen immer noch die Überreste des Nonkonform­istengewan­des – viel Selbstgest­ricktes, die Damen ungeschmin­kt, die Männer urwüchsig. Dies ist es, was den Filmen ihre moralische Überlegenh­eit gegenüber Hollywood verleihen soll.

Im Wellness-Kino macht es sich der Zuschauer bequem. Da sitzt er dann mit Rotwein und Häppchen und lässt sich auf der Leinwand noch einmal bestätigen, was er doch für ein lieber, guter Mensch ist und vergisst dabei gerne, dass diese Wohlfühlha­ltung weder dem Kino noch der Wirklichke­it gerecht wird. Das Kino wird zu einem Spa-Bereich für Innerlichk­eiten degradiert. Nach der Vorstellun­g geht man – wie nach ein paar Wellnessan­wendungen – gestärkt zurück in den rauen Alltag. Vielleicht mit einem Lächeln, aber sicher ohne einen klugen Gedanken und ohne den Wunsch, etwas zu verändern.

Wenn in den WellnessFi­lmen gerade nicht gekocht oder gegessen wird, ist man furchtbar nett zueinander, denn, so lernen wir in all diesen Filmchen, Toleranz ist ganz, ganz wichtig. Heute findet Filmkunst mehr und mehr nur noch auf speziellen Festivals statt, im Kino ist sie kaum noch zu sehen.

 ??  ??
 ?? Fotos: plainpictu­re/Kitao/mauro turatti ??
Fotos: plainpictu­re/Kitao/mauro turatti

Newspapers in German

Newspapers from Germany