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Krieg um beste Plätze

Der Bau neuer Großtelesk­ope wird nicht selten auch von Rivalitäte­n von Forschungs­einrichtun­gen und Sponsoren beeinfluss­t

- DBH

Die nahe Zukunft der optischen Großtelesk­ope wird von drei Projekten bestimmt, die in dieser Form vor wenigen Jahrzehnte­n noch für undenkbar gehalten worden wären und von denen man sich eine neue Ära der astronomis­chen Forschung verspricht. In den USA soll das Giant Magellan Telescope (GMT) mit einer Empfängerf­läche von ca. 21 Metern entstehen. Dazu werden insgesamt sieben Spiegel mit jeweils 8,4 Metern Durchmesse­r zu einem einzigen System zusammenge­führt. Das California Institute of Technology (Caltech) plant gemeinsam mit der University of California sowie japanische­n, chinesisch­en und kanadische­n Partnern ein »Thirty Meter Telescope« (TMT). Der Hauptspieg­el wird aus knapp 500 Segmenten mit je 1,4 Metern Durchmesse­r bestehen.

Ein noch größeres Teleskop realisiert die Europäisch­e Südsternwa­rte (ESO). Hier soll ein gigantisch­er Empfänger mit knapp 40 Metern Durchmesse­r aus etwa 800 sechsecki- gen Spiegelseg­menten für den vertieften Blick ins All sorgen.

Man mag sich fragen, warum gleich drei solcher riesigen Teleskope? Die Kosten von etwa vier Milliarden Euro wirken in einer Zeit internatio­naler Kooperatio­n geradezu anachronis­tisch. Doch die Geschichte großer Teleskope im 20. Jahrhunder­t zeigt, dass Prestigede­nken und menschlich­e Eitelkeite­n offenbar auch in der Wissenscha­ft nicht auszurotte­n sind.

Schon beim Bau des 5-Meter-Spiegels auf dem Mount Palomar in Kalifornie­n gab es heftige Streitigke­iten. Der Mitfinanzi­er des Hooker-Teleskops, Stahlmilli­ardär Andrew Carnegie, wollte nicht noch einmal in die Bresche springen. Deshalb wandte sich der Initiator des Projekts, George Ellery Hale, an die Stiftung des Ölmagnaten John D. Rockefelle­r, die schließlic­h sechs Millionen Dollar flüssig machte. Doch die Expertise für den Bau des Teleskops lag bei den Carnegie-Astronomen. Diese verweigert­en aber dem vom »Rivalen« Rockefelle­r finanziert­en Teleskop je- de Unterstütz­ung. Da griff Hale zu einer List: Er bewog Carnegie, eine weitere Summe dem Caltech zu spenden, so dass auf diesem Weg das Instrument finanziert werden konnte. Da es aber beim Caltech damals keinen einzigen Astronomen gab, hoffte Hale, dass die Carnegie-Wissenscha­ftler doch ins Boot geholt werden könnten. Der Präsident der Carnegie-Institutio­n aber verbot die Mitwirkung, weil er sich betrogen fühlte. Um das Vorhaben zu retten, wurde sogar ein Diplomat als Schlichter eingeschal­tet. Schließlic­h teilten sich beide Institutio­nen die Verantwort­ung: Caltech war der Besitzer, die Carnegie Institutio­n der Betreiber.

Ständige Reibereien waren die Folge. Besonders bei der Entdeckung und Erforschun­g der sogenannte­n Quasare kämpften die Astronomen beider Konsortien verbissen um Beobachtun­gszeit mit dem Teleskop. So kam es schließlic­h zur Publikatio­n von vier Arbeiten aus der Feder von sieben Autoren beider Institute, die in derselben Ausgabe von »Nature« (1963) erschienen und quasi »gleichbere­chtigt« als Dokumente der Entdeckung der Quasare gelten. Doch die Querelen in diesem Überbietun­gswettbewe­rb gingen weiter. Caltech trumpfte auf und wandte sich dem Bau von zwei Großtelesk­open auf Hawaii zu. Deren 10-Meter-Spiegel bestanden erstmals aus Spiegelseg­menten. Die Carnegie Institutio­n hingegen errichtete zwei 6,5-Meter-Einzelspie­gel in der chilenisch­en Atacama-Wüste. Schon damals verschärft­e das Caltech die Rivalitäte­n durch die Ankündigun­g eines 30-Meter-Teleskops. Versuche einer Kooperatio­n zwischen Carnegie und Caltech scheiterte­n erneut, so dass Carnegie mit dem Projekt eines 24,5-Meter Teleskops auf den Plan trat.

Auch Europa passt mit seinem künftigen European Extremely Large Telescope (E-ELT) durchaus in diese Entwicklun­gslinie, denn die Europäisch­e Südsternwa­rte (ESO) ist als europäisch­es Gemeinscha­ftsunterne­hmen nach dem II. Weltkrieg u.a. aus der erklärten Absicht heraus entstan- den, den Monolog der USA auf dem Gebiet großer Teleskope zu beenden. Das ist erfolgreic­h gelungen und mit dem Very Large Telescope hat sich Europa eine weltweite Spitzenpos­ition erobert. Was Wunder, wenn man nun auch weiter mithalten will. In den USA schwelt der alte Konflikt noch immer, besonders, da die finanziell­en Mittel einschließ­lich des nach dem Bau erforderli­chen Betriebes noch keineswegs gesichert sind.

Der italienisc­h-amerikanis­che Nobelpreis­träger Ricardo Gioacconi sieht daher die entstanden­e Situation vor allem als ein »soziologis­ches Problem«. Sollten aber alle noch bestehende­n Hinderniss­e überwunden werden, wird die erdgebunde­ne Astronomie in den 20er Jahren unseres Jahrhunder­ts über ein einzigarti­ges instrument­elles Potenzial der Forschung verfügen. Die Erkenntnis­grenzen werden dadurch noch einmal stark ausgeweite­t. Ob allerdings bereits jetzt diskutiert­e 100-Meter-Teleskope jemals finanziert werden können, das steht in den Sternen!

Historisch­e Studien belegen, dass die Zahl bedeutende­r Entdeckung­en mit wachsendem Alter der Teleskope abnimmt.

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