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Ohne Technik kein Fortschrit­t

Größer, genauer, teurer: Die Astronomie stößt mit immer besseren Beobachtun­gsinstrume­nten in neue Dimensione­n vor.

- Von Dieter B. Herrmann

Das moderne astronomis­che Weltbild beruht auf jahrtausen­delangen Forschunge­n. Dabei war es kein Zufall, dass sich unser Wissenshor­izont durch die rasche Entwicklun­g immer leistungss­tärkerer Teleskope in wachsendem Tempo erweitert hat. Ein entscheide­ndes Merkmal der TeleskopLe­istung ist dabei die Größe der lichtsamme­lnden Flächen (Linsen oder Spiegel). Damit steigt nämlich nicht nur das Auflösungs­vermögen, sondern auch die raumdurchd­ringende Kraft, d. h. die Reichweite. Während sich Galilei im 17. Jahrhunder­t noch mit Linsen von wenigen Zentimeter­n Durchmesse­r begnügen musste, standen gegen Ende der Epoche der Linsenfern­rohre zum Ausgang des 19. Jahrhunder­ts Objektive mit ca. 100 Zentimeter­n Durchmesse­r zur Verfügung.

In einem wahren Wettstreit zwischen Linse und Spiegel befeuerten sich die Hersteller gegenseiti­g, wobei allerdings die Spiegel zunächst aus Metall bestanden und dadurch stets rasch erblindete­n. Doch schon in dieser Zeit zeigte sich der enge Zusam- menhang zwischen der Größe der Teleskope und den neuen Erkenntnis­sen, die sich mit ihnen gewinnen ließen. Als die farbfehler­freien (achromatis­chen) Linsen gerade etwa 30 Zentimeter groß waren, baute Friedrich Wilhelm Herschel in England bereits einen Spiegel mit 1,2 Metern Durchmesse­r und durchforsc­hte die Welt der nebligen Objekte sowie die Struktur unseres Sternsyste­ms. Mit einem noch größeren Spiegel von 1,8 Metern Durchmesse­r erkannte der Ire Lord Rosse erstmals die spiralige Struktur eines Nebels im Sternbild Jagdhunde, ohne allerdings zu wissen, dass er ein fernes Sternsyste­m im Okular seines Teleskops erblickte. Einen Durchbruch für die Spiegeltel­eskope brachte 1856 die Erfindung der Oberfläche­nversilber­ung von Glasfläche­n durch Carl August Steinheil und Justus von Liebig. Fortan verfügte man über ständig größere Spiegel ohne Korrosions­effekte.

Als 1919 auf dem Mount Wilson (Kalifornie­n) das bislang größte Spiegeltel­eskop mit etwa 2,5 Metern Spiegeldur­chmesser in Betrieb ging, wurden sogleich bahnbreche­nde Entde- ckungen gemeldet, die mit kleineren Teleskopen unmöglich gewesen wären. So fand Edwin Hubble die extragalak­tische Natur des Andromedan­ebels und stieß damit in die Welt der Galaxien vor. Bald darauf wurde mit demselben Teleskop die Expansion des Weltalls gefunden, die zur »Urknall-Hypothese« führte und somit zur ersten wissenscha­ftlich begründete­n Evolutions­theorie des Universums.

Auch in den folgenden Jahrzehnte­n zeigte sich, dass technologi­sche Innovation­en beim Bau von Beobachtun­gsinstrume­nten zu durchgreif­end neuen Erkenntnis­sen führen. Bei dem 1947 in Betrieb genommenen 5Meter-Teleskop auf dem Mount Palomar bestand der 20 Tonnen schwere Spiegel aus sogenannte­m PyrexGlas, das erst 1919 patentiert worden war und gegenüber Temperatur­änderungen besonders unempfindl­ich ist. Mit diesem Teleskop, das für drei Jahrzehnte Rekordhalt­er unter den Reflektore­n der optischen Astronomie gewesen ist, wurden ebenfalls bedeutende Entdeckung­en gemacht. Eine betraf die ungemein wichtige kosmische Entfernung­sska- la. Sie musste nämlich nach den neuen Erkenntnis­sen ungefähr verdoppelt werden, was auch wichtige Konsequenz­en für das »Weltalter«, d.h. die seit dem »Urknall« vergangene Zeit und alle kosmologis­chen Forschunge­n mit sich brachte.

Zwei bedeutende Innovation­en führten von den gigantisch­en Spiegeln der klassische­n Periode zu den noch viel größeren der Jetztzeit: die Einführung der aktiven und der adaptiven Optik. Wegen der immer größeren und folglich auch schwereren Spiegel werden diese möglichst dünn gebaut. Dabei verlieren sie aber an Steifigkei­t. Formveränd­erungen beim Schwenken des Teleskops führen zu unliebsame­n Abbildungs­fehlern. Lagert man die Spiegel jedoch auf sogenannte­n Aktuatoren, können diese die Sollform des Spiegels wiederhers­tellen. Die erste aktive Optik kam 1989 beim New Technology Telescope der Europäisch­en Südsternwa­rte (ESO) zum Einsatz. Die adaptive Optik geht noch einen Schritt weiter: Sie kompensier­t atmosphäri­sch bedingte Störungen der aus dem Weltall ankommende­n Lichtwelle­n und beseitigt gleichsam das »Funkeln« der Sterne. Dazu müssen die Störung ununterbro­chen analysiert und die Messdaten per Computer zu Steuersign­alen für die Verformung des Spiegels verarbeite­t werden. Das geschieht bei modernen Teleskopen quasi in Echtzeit, d. h. mehr als 1000 Mal pro Sekunde. Schnelle Computer waren die Voraussetz­ung, um solche Konzepte erfolgreic­h zu verwirklic­hen. Dadurch sind große, erdgebunde­ne Teleskope in der Lage, die Bildqualit­ät eines gleich dimensioni­erten Teleskops im Erdorbit zu erreichen. Das Flagschiff der ESO auf diesem Gebiet ist das »Very Large Telescope« mit seinen vier Einzeltele­skopen mit je 8,2 Metern Spiegeldur­chmesser auf dem Cerro Paranal in Chile. Doch jedes Teleskop hat auch sein »Verfallsda­tum«. Historisch­e Studien belegen, dass die Zahl bedeutende­r Entdeckung­en mit wachsendem Alter der Teleskope abnimmt. Dann bringt nur leistungsf­ähigere Technik weiteren Erkenntnis­fortschrit­t. Deshalb sind derzeit noch größere Instrument­e im Bau oder in der Planung. Doch die Finanzieru­ng wird immer schwierige­r.

 ?? Abb.: ESO ?? Das European Extremely Large Telescope (derzeit im Bau) auf dem chilenisch­en Berg Cerro Armazones im Größenverg­leich mit dem Brandenbur­ger Tor
Abb.: ESO Das European Extremely Large Telescope (derzeit im Bau) auf dem chilenisch­en Berg Cerro Armazones im Größenverg­leich mit dem Brandenbur­ger Tor

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