Die Quallen und der Klimawandel
Eine der besonders giftigen australischen Arten erobert mit zunehmender Erwärmung weitere Gebiete.
Ende 2016 sorgte das IrukandjiSyndrom wieder für Schlagzeilen in den australischen Medien und Angst an den tropischen Traumstränden von Down Under. In nur einer Woche im November waren drei ältere Touristen gestorben, die beim Tauchen am Großen Barrier Riff (GBR) vor der Küste von Cairns mit den von giftigen Nesselzellen besetzten Tentakeln der »Irukandji«Qualle in Berührung gekommen waren.
Erschreckender aber war die Nachricht von drei Frauen und einem zwölf Jahre alten Mädchen, bei denen Ende Dezember 2016 nach einem Badeurlaub auf Fraser Island das 1952 von Hugo Flecker (1884-1957) erstmalig wissenschaftlich beschriebene Irukandji-Syndrom diagnostiziert worden war. Erschreckender deshalb, weil Fraser Island mehr als 1400 Kilometer entfernt liegt vom tropischen Cairns im Norden, der bislang als das einzige Habitat der nach einem Aborigine-Stamm benannten Qualle galt. Für den renommierten Irukandji-Forscher Jamie Seymour von der James-Cook-Universität in Cairns ist der Quallen-Unfall von Fraser Island ein weiterer Beleg für seine Beobachtung, dass die Irukandji sich seit zehn Jahren immer weiter nach Süden ausbreiten. Ursache: die Erwärmung des Meers durch den Klimawandel.
Dem australischen Arzt Jack Barnes kommt das Verdienst zu, mehr als zehn Jahre nach der Beschreibung des Irukandji-Syndroms durch Flecker die erste Quallenart entdeckt zu haben, die das Syndrom auslöst. Lange wurde dann die Carukia barnesi auch Irukandji-Qualle genannt. Inzwischen kennen Quallenexperten zwar mindestens 14 weitere Arten, die das Syndrom verursachen, aber der Name Irukandji hat sich als eine Art volkstümlicher Gattungsbegriff festgesetzt.
Carukia barnesi ist eine winzige, nur millimetergroße, noch wenig erforschte Würfelqualle. Die Gifte der Nesselzellen des Schirms und der Tentakeln einer der kleinsten und giftigsten Quallen der Welt unterscheiden sich deutlich. Eine genaue wissenschaftliche Analyse dieser Substanzen steht jedoch noch aus. Als sicher gilt aber, dass sie auch eine herzschädigende Komponente enthalten, die ohne rasche medizinische Betreuung zum Tod führen kann.
Die Biologin Lisa-ann Gershwin hat eine große Leidenschaft – Quallen. Zwei Gründe haben diese Leidenschaft für die Medusen entfacht. »Da ist zum einen der Aspekt der wissenschaftlichen Entdeckung. Da ist noch so viel über sie zu erfahren. Zum anderen ist es ihre faszinierende Schönheit.« Klein, aber giftig
Wie Seymour ist auch Gershwin eine ausgewiesene Irukandji-Expertin. Sie beschrieb neun der Quallenarten, die das Irukandji-Syndrom auslösen können. Ein weiteres Highlight ihrer Forschung war die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Manteltierinvasionen und einem vermehrten Vorkommen von Irukandji-Arten, wie sie zum Beispiel 2016 an Thailands Traumstränden von Phuket und Krabi beobachtet wurden. Die tonnenförmigen, wabbeligen, transparenten Manteltiere ähneln Quallen, sind aber Verwandte der Wirbeltiere.
Gershwins Wort hat also Gewicht, wenn sie der These ihres Lehrmeisters Seymour von der »Migration« der Irukandji-Arten nach Süden widerspricht. »Irukandji fühlen sich in allen tropischen Gewässern rund um den Globus wohl«, sagt Seymour. Eben auch in Thailand. »Irukandji tauchen offensichtlich seit Jahren immer wieder in Phuket auf«, ist sich Gershwin sicher. In Berichten heiße es, eine »anormal hohe Zahl« von Menschen seien mit anaphylakti- schen Schocks in die Krankenhäuser eingeliefert worden. Nur sei das bisher nicht als Irukandji-Syndrom wahrgenommen oder vielleicht auch aus geschäftlichen Interessen verdrängt worden.
Aber auch Gershwin sieht mit Sorge die Zunahme von Fällen des Irukandji-Syndroms und einen möglichen Zusammenhang mit dem Klimawandel. »Wir sollten uns aber besser auf die Frage konzentrieren, ob die Spezies, die dort (weiter südlich – d. Autor) schon existiert, durch sich verändernde Bedingungen zahlreicher oder giftiger werden.«
Und wie kann man als Strandurlauber erkennen, ob im Wasser schwimmender Glibber gefährlich ist? Gershwin weiß Rat: »Ladet meine neue The-Jellyfish-App runter.« Mehr als 200 Quallen sind dort abgebildet und beschrieben. Und manche sind wirklich faszinierend schön.