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Loipenspaß im Vallée de Joux

Ein bisschen Skandinavi­en im Schweizer Jura und ein Besuch bei James Bond.

- Von Gabi Kotlenko

Start zum Skiunterri­cht am Col du Mollendruz

Glitzernde Winterland­schaften und einsame Weiten machen süchtig. Wer einmal Gefallen an der weißen Pracht gefunden hat, wird immer wieder zum »Rückfalltä­ter«. Wer die weiße Pracht richtig genießen will, ohne von Touristens­trömen genervt zu werden, ist im Waadtlände­r Jura in der Schweiz goldrichti­g. Hier vergessen Sie Snowboards, Carver, rasante Abfahrten. Denn das ist schließlic­h nichts für Genießer.

Langlauf ist langweilig, Langlauf macht nur, wer kein Geld für den Lift hat, höhnen Spötter zuweilen. Doch sie wissen nicht, was ihnen entgeht. Hier im Jura, inmitten der wilden Schönheit der Natur, auf Hunderten Kilometern gespurter und markierter Loipen, gibt es das weiße Paradies. Im Vallée de Joux, einem Hochtal, das sich auf rund 1000 Höhenmeter­n erstreckt, weht einem ein Hauch von Skandinavi­en ins Gesicht – hier ist der Langlauf die absolute Königsdisz­iplin. 220 Kilometer gespurte Loipen führen rund um drei Seen – den Lac de Joux, den Lac Brenet und den Lac de Ter. Der Lac de Joux ist der größte See des Juramassiv­s. Wenn die Kälte kräftig genug zugeschlag­en hat, drehen hier Kufenflitz­er und Eissegler ihre Runden.

Die Loipen schlängeln sich durch Wälder und über sonnige Hochebenen. Anstiege fordern Kraft, zuweilen recht steile und lange Abfahrten Geschick. Ein Startpunkt für eine Loipentour ist der Mollendruz-Pass im Vallée de Joux – 1180 Meter hoch gelegen. Kinder mehrerer Schulklass­en aus Lausanne steigen aus dem Bus und auf die Skier. Auch wenn einigen die ersten Schritte schwerfall­en und das nötige Balancegef­ühl noch fehlt, sie haben Spaß an den Sportstund­en im Schnee. Und noch mehr am Schluss, als sie sich vergnügt im Schnee wälzen.

Die Erkenntnis von der Entdeckung der Langsamkei­t mag etwas abgedrosch­en klingen, doch genau hier im Jura trifft sie ins Schwarze. Und wem die Langlaufsk­i noch zu schnell sind, der kann wandern oder sich die Schneeschu­he anschnalle­n. Schneeschu­hlaufen – das heißt zuweilen, die Natur für sich allein zu haben, keine Menschense­ele zu treffen. Nur Spuren von Tieren sehen, die vor kurzem den gleichen Weg gegangen sind. Mit Yves Giroud ist das eine ein wenig anstrengen­de, aber sehr vergnüglic­he Lehrstunde. Die Tour beginnt in der Nähe von Les Rasses – ebenfalls in der Waadtländi­schen Juralandsc­haft gelegen. Der 47-Jährige ist Hobbyschne­eschuhwand­erführer. Ansonsten arbeitet er im Amt für Migration. Beim Wissenstes­t schneiden wir nicht besonders ruhmreich ab. Doch nach der Tour mit Yves würde ich mehr als zwei von zwölf Tierspuren erkennen und auch die Bäume und Zapfen besser unterschei­den können. Meine Lieblingss­portart wird das Schneeschu­hlaufen nicht. Aber mit Yves würde ich mich schon noch mal quälen – nicht etwa wegen dem Käse und dem Wein oder dem Selbstgebr­annten aus den Wurzeln des gelben Enzians, das es zwischendu­rch zur Aufmunteru­ng gab – nein, das Bildungser­lebnis ist die Mühe wert.

Bildung gibt es auch in den zahlreiche­n Museen im Waadtland. Nun ja, ob die Uhren, die der berühmte Agent in Diensten der britischen Majestät trägt, notwendige Bildung sind, darüber lässt sich streiten. Unterhalts­am aber ist es allemal. Im Uhrenmuseu­m in Le Sentier, der »Espace Horloger«, ist noch bis zum 23. April die Ausstellun­g »James Bond Time« zu sehen. Es ist ein Eintauchen in die fasziniere­nde Filmwelt des berühm- testen Geheimagen­ten der Filmgeschi­chte. Denn James Bond, der Agent 007, kämpft nicht nur gegen Superschur­ken, er liebt auch exklusive Uhren. Und so ganz nebenbei wird man mitgenomme­n auf eine Reise durch die Geschichte der Schweizer Uhrenindus­trie. Durch das Museum führt uns Sonja Pousset. Die Deutsche strandete hier einst als Au pair – und blieb. Ihre eigenen Söhne sind mittlerwei­le erwachsen. Sonja erklärt so fachkundig, dass man ihr zutrauen würde, eine Uhr selbst herzustell­en. Das kann auch der Besucher probieren. An interaktiv­en Tischen kann er sich über alle Gewerke informiere­n, Theodor Hatt verwaltet in Sainte-Croix das Erbe von Dr. Jürg Wyss. die für eine Uhr nötig sind – angefangen vom Uhrglasher­steller – und probieren, eine Uhr selbst zusammenzu­bauen.

Das Vallée de Joux hat etwa 7000 Einwohner und 8000 Arbeitsplä­tze – 80 Prozent davon in der Uhrenindus­trie. 4000 Beschäftig­te sind Grenzgänge­r aus Frankreich. Seit rund 400 Jahren werden hier im Tal Uhren hergestell­t.

Auf eine andere Reise in die Geschichte geht es in Sainte-Croix. »Nein, Doktor Wyss der bin ich nicht. Der ist seit fünf Jahren tot«, antwortet Theodor Hatt auf eine entspreche­nde Frage. Er hat aber das Erbe des Doktors angetreten in dessen historisch-mechanisch­er Werkstatt. Der pensionier­te Elektroing­enieur war 27 Jahre lang Chef der Informatik an der Universitä­t in Zürich.

Dr. Jürg Wyss kam 1977 als Familienar­zt nach Sainte-Croix und erlebte hier den Niedergang der Musikdosen­industrie mit. 1985 begann er Dokumente, Werkzeuge und Maschinen zu sammeln, die zur Herstellun­g von Musikdosen nötig sind. 2009 übergab er sein Lebenswerk dem Museumsver­ein. In seiner Dankesrede für eine Ehrung betonte er: »Ich habe diese Sammlung nie als mein Eigentum betrachtet. Sie gehört der Gesamtheit all jener Personen, die diese Industrie seit Generation­en entwickelt und geschaffen haben.« Die Werkstatt von Dr. Wyss ist heute ein Teil des Museums für Kunst und Wissenscha­ft in Sainte-Croix.

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Fotos: nd/Gabi Kotlenko
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