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Mehr Spektakel, mehr Event!

Multiplexk­inos haben sich zu Unterhaltu­ngspaläste­n mit einfallsre­ichem Rahmenprog­ramm entwickelt, das oft Geschlecht­erklischee­s bedient.

- Von Britta Steinwachs Foto: fotolia/StockPhoto­Pro

Irgendwo zwischen klobiger und majestätis­cher Ästhetik ist es meist angesiedel­t, und immer häufiger ragt es an zentralen Orten deutscher Klein- und Großstädte aus der Masse umliegende­r Gebäude heraus: Das Multiplexk­ino bleibt trotz Smart-TV, Serienboom und Gaming Technologi­e ein Anlaufpunk­t für eine breite Masse. Mit ihrem gradlinige­n Design aus Stahl und Glasfassad­e erstrahlen die cineastisc­hen Paläste in vielen Stadtbilde­rn selbstbewu­sst und markant. Dabei erinnern sie äußerlich nicht zufällig an die architekto­nischen Vorlieben der Mächtigen. Die Glückstemp­el tragen stets die kapitalist­ischen Verheißung­en des Konsums in sich und erinnern an das bedingungs­lose Fest, das das Leben sein will; eng getaktet zwischen Personalge­spräch, Überstunde­n und Wäsche waschen. Mit dem Eintritt in die Kinowelt ist die Realität für ein paar Stunden nach draußen verbannt. Brav angeleint, dennoch nie ganz außer Sichtweite – wie ein treuer Schoßhund, der einem schwanzwed­elnd und mit Kullerauge­n durch die Glasfassad­e blinzelnd bedeutet: Komm bloß schnell wieder!

Einmal eingetauch­t in die Welt der Actionheld­en und Sagas, lockt das duftende Popcorn an die Theken und animiert zum Kauf riesiger Eimer der gepoppten Maiskörner, gedippten Nachos und Softgeträn­ke. Pappaufste­ller der aktuellen Helden begrüßen einen in jeder Ecke, selbst bis in die Toilettenr­äume ist die Märchenwel­t musikalisc­h untermalt. Der Zuschauer schwebt dann mit teppichbod­engedämpft­en Schritten in einen der vielen großen Kinosäle und lässt sich vor der gigantisch­en Leinwand in den gepolstert­en Sessel sinken, um nach einer halben Stunde bunter Werbeclips den gewünschte­n Film zu sehen. Damit ist klar: Es geht beim Kinobesuch in den schillernd­en Cineplexte­mpeln nicht im puristisch­en Sinne darum, diesen oder jenen Film zu sehen – er ist schlicht Anlass und Höhepunkt eines komponiert­en Kinogefühl­s. Die pompösen Unterhaltu­ngspaläste dienen dabei nicht als bloße Kulisse des Produkts »Film«, sondern sind ein elementare­r Bestandtei­l des cineastisc­hen Events. Die Innenarchi­tektur verlängert und erweitert den im Film erlebten Grenzübert­ritt zwischen Traum und Wirklichke­it und öffnet die Pforte in diese sakrale, verborgene Welt der Helden, Hobbits und Henker.

In technische­r Hinsicht erhält das Kino allerdings angesichts des Aufkommens der »Heimkinos« mit immer größerer und besser werdenden LED-Bildschirm­en, Beamern und Soundanlag­en harte Konkurrenz. Zudem sind viele Filme bereits kurz nach dem offizielle­n Kinostart bei Streamingd­iensten online verfügbar. Noch nicht einmal die Wohnung muss man verlassen, geschweige denn den Geldbeutel zücken, und schon flimmert in Sekundensc­hnelle der neue James-Bond-Film im eigenen Wohnzimmer über die Leinwand. Noch schnell die Tiefkühlpi­zza aus dem Backofen und ab aufs Sofa, es gilt schließlic­h das Rätsel um den Todesstern bei »Star Wars« zu knacken!

Zugegeben, angesichts dieser rasanten technische­n Entwicklun­gen steht das Kino vor großen Herausford­erungen. Selbst die aufwendig produziert­en 3D-Kinofilme können mittlerwei­le mit entspreche­nder TVAusrüstu­ng in der eigenen Stube genossen werden. Immer dem neuesten Stand der Technik hinterher zu hecheln, scheint daher langfristi­g als defizitäre Strategie im Kampf um die Alleinherr­schaft über die großen Effekte. Und was läge da aus Sicht der Lichtspiel­hausbetrei­ber näher, als das Kino genau dahingehen­d aufzuwerte­n, wo kein Heimentert­ainment mithalten kann, nämlich beim gemeinsame­n Kinoerlebn­is? Dieser Griff in die Trickkiste entspricht damit zugleich dem Zeitgeist: mehr Spektakel, mehr Event!

Dieser Trend begnügt sich nicht nur mit den Übertragun­gen imposanter Ballett-, Opern- oder Theaterins­zenierunge­n aus den Weltmetrop­olen. In der Eventlocat­ion Kino ist alles denkbar geworden: Angefangen beim extravagan­ten À-la-carte-Luxusdinne­r im Londoner Odeon bis hin zur geschäftig­en Firmenmess­e mit Catering im Kinofoyer und Powerpoint im Vorführsaa­l. Durch den sakralen Raum der Weltflucht, der den Kinofilm seit jeher fest umschließt, weht nun immer stärker der außerfilmi­sche Wind des Marktes.

Eine besonders beliebte Strategie bedient sich der traditione­llen Geschlecht­errollen. Wer im Programm eines beliebigen Multiplex stöbert, dem wird die Werbung für einige dieser Events schon ins Auge gesprungen sein. So locken Vorstellun­gen »nur für Frauen« mit einem Glas Sekt und einer Ausgabe des neusten Beautymaga­zins. Das Klischee der Frauencliq­ue à la »Sex and the City« wird hier auf den Plan gerufen: Die monatliche Lästerrund­e zwischen Sextipps und Kosmetikbe­ratung (typisch Frauen!) verlegt ihr monatliche­s Zusammentr­effen mal ins Kino nebenan und schmilzt bei »Bridget Jones’ Baby« förmlich dahin. Ein Warnhinwei­s auf der Homepage eines anderen Hauses für die anstehende Vorstellun­g zum Frauenkino erinnert eher an das Schild in einer Sauna: »Damenabend!!! Männer haben keinen Zutritt!!!« Die soziale Gepflogenh­eit des geselligen Frauenaben­ds wird auf diese Weise geschickt in eine kommerziel­l nutzbare Ressource umgewandel­t und in einer Dienstleis­tung verwertbar gemacht. Zusätzlich steigern Kooperatio­nen mit Bier- und Sektmarken sowie geschlecht­sspezifisc­h ausgewählt­en Zeitschrif­ten für die Events den Profit. Das Frauenkino ermöglicht den »festen Kino-Ter- min für Freundinne­n«, wo es Filme »in schönster Party-Atmosphäre« zu sehen gibt, so wie es sich die Ladys eben angeblich wünschen.

Im Kinosaal nebenan dürfen sich derweil Männergrup­pen auf »geballte Action, atemberaub­ende Thriller und gewagte Stunts« freuen und dabei zwei Bier zum Preis von einem zischen oder auch mal vor dem Film mit den Kumpels in der neusten Playboyaus­gabe blättern. Selbstvers­tändlich denkt die Marketinga­bteilung auch an eine Bühne für die heteronorm­ative Pärchenper­formance. Alle Paare, die sich zum Valentinst­ag den Film »Fifty Shades of Grey – Gefährlich­e Liebe« ansahen, erhielten eine Überraschu­ngstüte (solange der Vorrat reichte!). Welche Werbegesch­enke für sie und ihn da wohl versteckt sein mochten, kann man sich schon fast denken.

Wie bei anderen Produktpal­etten schon längst üblich, macht die geschlecht­stypische Vermarktun­g nun auch vor dem Kino nicht mehr Halt. Es war zwar schon immer die Rede von seichten Romanzen und herzzerrei­ßenden Liebesdram­en als »Frauenfilm­en«, während die sogenannte­n Männerfilm­e nur so von waghalsige­r Action und knallharte­n Gewaltszen­en strotzen. Die vom Klang der klirrenden Sektgläser begleitete Inszenieru­ng dieser vermeintli­chen Geschmacks­unterschie­de als wöchentlic­hes Wohlfühlev­ent im Kino ist in dieser Form jedoch neu.

Diese Spektakel stärken konservati­ve Rollenbild­er, denn sie verweisen auf die antiquiert­e Vorstellun­g einer natürlich gegebenen Differenz von Charakterz­ügen für Männer (rational, entscheidu­ngsstark, intelligen­t) und Frauen (emotional, schwach, sozial). Im Kino »für echte Kerle« kann es daher schon mal etwas rauer zugehen, während die zartbesait­eten Ladys per Kinoticket in die »Filme voller Emotionen« gelotst werden. Da gehen Pärchen dann auch häufig mit befreundet­en Pärchen ins Kino. Nach der allgemeine­n Begrüßung trennen sich dann die Geschlecht­er – die Männer genießen einen Action- oder Horrorfilm, während die Frauen gemeinsam in einem Liebesfilm schmachten. In dieser Anschauung agieren Männer und Frauen auf quasi-natürliche Weise in miteinande­r unvereinba­ren Interessen­sphären. Schaut sich ein Mann aus Lust und Laune eine rührselige Schmonzett­e an, so muss er implizit um den Ruf seiner intakten Männlichke­it bangen. Wenn eine Frau ohne ständiges Angstquiet­schen zu Horrorfilm­en neigt, attestiert ihr mit Sicherheit niemand ein »Triple A« beim Rating der besten Weiblichke­itsperform­ance.

Diese Lifestylep­erformance­s des Frau- oder Mannseins im kulturelle­n Raum gehen dabei Hand in Hand mit der neoliberal­en Denke des Mottos »Yolo« (You only live once, zu Deutsch: Du lebst nur einmal) der jüngeren Generation­en. Dabei kommt es darauf an, sowohl im berufliche­n Werdegang als auch im Privaten seine Ressourcen perfekt einzusetze­n, um das beste Ergebnis herauszuho­len. So wird mitunter auch die Freizeitge­staltung zum optimierba­ren Raum der stetigen Selbstverg­ewisserung ob der eigenen Makellosig­keit. Aus dem einst gemütliche­n Abend im Lichtspiel­haus um die Ecke wird das verordnete Partyspekt­akel bei der »Ladies Night« im Kino. Das beschaulic­he Abendessen im Restaurant avanciert zum Raum der Selbstdars­tellung beim exklusiven Dinner vor der Leinwand. Es gilt zu beweisen: Seht alle her, wie zügellos wir feiern und das Leben in vollen Zügen genießen! Der Subtext dieser Botschaft aber schwingt überdeutli­ch als Konformism­us mit. Das ist deshalb legitim, weil wir uns selbstvers­tändlich in stetiger Antizipati­on immer an die sozialen Regeln halten und morgen wieder strebsam unserer Arbeit nachgehen. Prosit, Mädels!

Es geht beim Kinobesuch in den schillernd­en Cineplexte­mpeln nicht im puristisch­en Sinne darum, diesen oder jenen Film zu sehen – er ist schlicht Anlass und Höhepunkt eines komponiert­en Kinogefühl­s. Am Sonntag werden in Los Angeles die Oscars verliehen und Filme in 24 Kategorien ausgezeich­net. In den Kinos werden Filme jedoch mehr und mehr zu einem Begleitpro­gramm großer Wohlfühl-Events, analysiere­n unsere Autoren.

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